Unfallchirurgie eine Männerdomäne? Unsere Forschung ist weiblich – und das ist gut so!

Autorin: Dr. Jeanette Köppe
(Foto: privat)

Bei allen Bestrebungen nach mehr Gleichberechtigung, gibt es unzählige Bereiche unseres Lebens, wo genau das teilweise glorreich gescheitert ist, oder es erst gar nicht versucht wurde.

Ganz dem Motto: Gut gedacht ist nicht gleich gut gemacht.

Eine wunderbare Sammlung solcher teils schwer nachvollziehbarer Beispiele hat Caroline Criado-Perez in ihrem Buch Unsichtbare Frauen zusammengetragen. Sie erläutert das Problem was oft zu Grunde liegt – das sogenannte Gender Data Gap. Forschung, das Design von Autos, Arbeitsschutzkleidung, die Städteplanung und vieles mehr beruht auf Daten, die von Männern über Männer erhoben werden und führt dazu, dass Frauen teilweise keinerlei Berücksichtigung finden. So werden Frauen bei Verkehrsunfällen häufiger schwerverletzt, weil die Autos mit Crash-Test Dummys getestet werden, die keiner Frau auch nur annähernd nahekommen.

Dieses Vorgehen des Testens am vermeintlich allgemeingültigen Männerkörper und die stumpfe Übertragung kommt dir bekannt vor, oder?

In der medizinischen Forschung war das oft die gängige Praxis. So wurden und werden teileweise immer noch in den klinischen Studien bevorzugt Männer eingeschlossen. Auch heute noch eine hin und wieder anzutreffende Begründung: Der weibliche Zyklus – das lassen wir einfach mal so stehen.

Nur sind wir eben nicht gleich. Frauen sind keine kleinen Männer mit Uterus. Die Geschlechter unterscheiden sich teilweise deutlich in ihrer Anatomie, in ihren Symptomen bei Erkrankungen oder bei der Pharmakokinetik von Medikamenten, selbst unsere Gehirne arbeiten unterschiedlich. Eine Geschlechtsspezifische (und natürlich auch Genderspezifische) Forschung ist daher unerlässlich, um die Sicherheit aller Patient*innen zu gewährleisten.

Ein aktuelles Beispiel ist eine kürzlich im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Studie über Patient*innen mit St-Hebungsinfarkt ohne vorher bekannte koronare Herzkrankheit, also mit STEMI als Erstevent.

In dieser Studie mit über 17.000 Patient*innen wurde beobachtet, dass vor allem junge Frauen unter 50 Jahren während der Akutphase eine erhöhte Sterblichkeit aufwiesen. Überleben die Frauen die ersten 90 Tage nach STEMI, zeigt sich in allen Altersgruppen keinerlei Risikoerhöhung mehr. Wahrscheinlich ist ein Grund, dass Frauen andere Symptome zeigen als Männer. Dadurch werden vor allem junge, (scheinbar) gesunde Frauen ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren zu Beginn falsch eingeschätzt und die Diagnose verzögert sich mitunter. Eine fatale Situation, die schwerwiegende Folgen haben kann.

Wenn du Hufe hörst, denk an Pferde, nicht an Zebras“. Ein EKG schreiben schadet im Zweifelsfall wohl aber auch niemanden.

Auch in der Math-Surg Gruppe sind wir der Frage nach gegangen, ob es Unterschiede im Outcome von Patient*innen mit opetativ versorgter Oberarmkopffraktur zwischen Männern und Frauen gibt. Wir haben in einer Studie mit über 50.000 Patient*innen beobachtet, dass Männer nach proximaler Humerusfraktur schlechtere Verläufe aufweisen, d.h. eine höhere Mortalität und mehr schwere Komplikationen (wie Herzinfarkt und Schlaganfall) hatten. Interessanterweise wurde bei den Männern, die mittels inverser Schulterendoprothese behandelt wurden, ebenfalls ein höheres Risiko für chirurgische Komplikationen beobachtet. Bei der zweiten untersuchten Behandlungsgruppe, bei denen knochenerhaltend die Fraktur mit einer winkelstabilen Platte versorgt wurde, zeigt sich kein Unterschied für chirurgische Komplikationen im Verlauf.

(Quelle: Koeppe et al. J Clin Med. 2021 Jun; 10(11): 2500.)

Wie kommt diese unterschiedliche Rate an erneuten Operationen bei den Prothese-Patienten zustande?

Haben die Männer ein schlechteres Outcome, weil deren Compliance niedriger ist? Oder werden Frauen systematisch seltener operiert, weil die Funktion bei ihnen oft als weniger wichtig eingestuft wird?

Beides ist denkbar und mit der zugrundeliegenden Datenquelle nicht abbildbar. Dennoch zeigt diese Studie eins:

Wir brauchen mehr Forschung, die sich mit den Unterschieden der Geschlechter auseinandersetzt! 

Auch ist es wohl kaum verwunderlich, dass sich sehr oft Frauen mit diesen Themen beschäftigen. Leider nimmt im medizinischen Bereich der Anteil an weiblichen Forscherinnen mit aufsteigender Karriereleiter ab. Eine Analyse der medizinischen Fakultät Münster ergab, dass 2017 61% der Studierenden in Münster weiblich waren, aber nur noch 18,5% der Habilitand*innen weiblich sind. Ein enormer Rückgang, der sich direkt in einer niedrigen Quote in weiblichen Chefärztinnen an Unikliniken widerspiegelt. Ein Bild, dass sich bundesweit zeigt. Wir müssen die Gründe hierfür besser verstehen und Wege finden die Frauen in der Wissenschaft zu halten.

Umso mehr freut es mich, dass wir durch das Förderprogramm Innovative Medizinische Forschung unserer Fakultät erste finanzielle Ressourcen haben und unsere Forschergruppe um zwei Wissenschaftlerinnen erweitern konnten.

Dr. Janette Iking, Biologin und Medizinstudentin auf der klinischen Seite und die Mathematikerin Karen Fischuber (Doktorandin am IBKF der WWU) an der methodischen Front verstärken unsere Gruppe seit Juli 2022. Zudem begrüßen wir seit April 2023 noch eine weitere medizinische Doktorandin – Charlotte Ramadan – in unserem Team.

(v.l.n.r.: Karen Fischhuber, Dr. Janette Iking, Charlotte Ramadan. Foto: Privat, UKM)

Der Anteil der Frauen in der Math-Surg Gruppe liegt damit über 50% - Tendenz steigend. Unter den obengenannten Aspekten finde ich diese Entwicklung mehr als begrüßenswert.