Osteoporose – Ist das Treatment Gap noch immer ein Problem?

Autorin: Dr. Jeanette Köppe
(Foto: cottonbro studio)

"Die Menschen brechen sich ja ständig etwas. Vorher, nachher und einfach niemand ändert anscheinend etwas. Das kann doch nicht wahr sein".  Das späte Meeting, an dem wir (Christoph, Josef und ich) über den neusten Ergebnissen zu Osteoporose und die erschreckend seltene medikamentöse Behandlung von Patient*innen nach Oberarmkopffraktur sprechen, war zum Teil mit Fassungslosigkeit verbunden.

Uns standen für die Analyse die bundesweiten Daten aller bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK; bereit gestellt vom Wissenschaftlichen Institut der AOK) gesetzlich versicherten Patient*innen zur Verfügung.

Zugegeben das sog. Osteoporose-Treatment Gap ist schon länger bekannt und in der Literatur beschrieben [1], nur hat sich leider in den letzten Jahren sehr offensichtlich auch nichts verändert.

Doch was haben wir eigentlich herausgefunden?

Die Motivation hinter dieser Analyse war wie folgt: Die Oberarmkopffraktur (proximale Humerusfraktur) stellt eine Indikatorfraktur für Osteoporose dar. Was passiert eigentlich nach der operativen Versorgung?
Bei wie vielen Personen erfolgt eine Diagnosestellung der sehr wahrscheinlich vorliegenden Osteoporose? Wie viele erhalten in diesem Fall auch eine nach Leitlinien induzierte medikamentöse Versorgung?

(Bild: Jeanette Köppe)

Die Antwort hierauf: Leider viel zu wenig! Bei den Patient*innen ohne bereits bekannte Osteoporose wird innerhalb der nächsten 3 Jahre nur bei 33% eine Diagnose gesichert gestellt. Also nur bei jedem*r dritten*r Patient*in. Dementsprechend ist die Rate dieser Patient*innen mit einer empfohlenen pharmazeutischen Therapie noch geringer: nur etwa 20% der Patient*innen, werden entsprechend medikamentös eingestellt.
Zu betonen ist, dass die betrachtete Kohorte aus Patient*innen ab 65 Jahren besteht, die alle aufgrund einer Oberarmkopffraktur operativ behandelt wurden, also eine mit Osteoporose in Verbindung stehende Fraktur erlitten haben. Das Vorliegen einer Osteoporose ist daher wohl sehr wahrscheinlich.

Ein weiterer Aspekt ist die hohe Rate an weiteren Fragilitätsfrakturen: Auf der einen Seite hatten 23% bereits vor der von uns als Start gewählten Oberarmkopffraktur eine vorherige Fraktur (wohl bemerkt sehr häufig auch bei Patient*innen ohne vorhandene Diagnose). Auch danach ist die Rate sehr hoch: 21% der Patient*innen erlitten eine weitere Fraktur innerhalb der nächsten 5 Jahre. Das Femur (proximal) und Wirbelkörper waren vor und nach der proximalen Humerusfraktur dabei am Häufigsten.

Zusammengefasst gibt es einen nicht unerheblichen Teil an Menschen mit zwei, manchmal sogar drei unterschiedlichen Frakturen über den Verlauf, bei denen dennoch weder eine Diagnose zu finden ist, noch eine Therapie eingeleitet wird. Frakturen, deren Rekonvaleszenz teilweise sehr langwierig und mit einer stark herabgesetzten Lebensqualität einhergeht.

Jetzt versteht man auch den Aufschrei von Christoph…

Unsere Fragen gingen weiter.  OK, die Therapie mit Calcium/Vitamin D Präparaten oder Bisphosphonaten erfolgt seltener, als wir uns das wünschen würden.

Aber bedeutet die Therapie denn überhaupt einen Nutzen für die Patient*innen?

Wie ist das Risiko für erneute, mit Osteoporose-assoziierte Frakturen in Abhängigkeit von Diagnose und medikamentöser Therapie?

Unsere Studie, bei der über 40.000 Patient*innen analysiert wurden zeigt, dass die entsprechenden Anti-Osteoporose Medikamente mit einer Risikoreduktion für erneute Frakturen nach Oberarmkopffraktur verbunden waren. Zudem scheinen insbesondere männliche Patienten davon noch mehr zu profitieren als Frauen. Es geht aber noch weiter: Wir konnten außerdem feststellen, dass bei Patient*innen, die (knochenerhaltend) mittels winkelstabiler Plattenosteosynthese versorgt wurden, durch eine langzeitige pharmazeutische Anti-Osteoporose Therapie auch ein niedrigeres Risiko für chirurgische Komplikationen (wie beispielsweise Revisionseingriffe) zu beobachten war.

(Bild: Jeanette Köppe)

Die Verringerung von Frakturen bedeutet den Erhalt der Lebensqualität und der Selbstständigkeit der betroffenen Personen. Darüber hinaus wird durch den demographischen Wandel der Anteil an betroffenen Menschen weiter zunehmen, sodass so auch eine enorme Belastung für die Gesundheitssysteme weltweit entstehen wird. Mit derzeitigen Ressourcen – finanziell wie personell – wird die Versorgung dieser Altersfrakturen eine kaum zu realisierbare Herausforderung sein.

Eine Prävention von Osteoporose muss in Zukunft einen höheren Stellenwert in unserem Gesundheitssystem und auch in der Politik einnehmen, und zwar nicht erst nach der ersten Fraktur, sondern schon früher.

Es muss ein Umdenken stattfinden und zwar jetzt!

Originalarbeit:
Effects of anti-osteoporosis therapy on the risk of secondary fractures and surgical complications following surgical fixation of proximal humerus fracture in older people
Age and Ageing 52 (6): 2023.
J.C. Katthagen, J. Köppe, J. Stolberg-Stolberg, R. Rischen, M. Freistuehler, A. Faldum, M.J. Raschke.

 

weitere Quellen:
[1] McCloskey, E., Rathi, J., Heijmans, S. et al. The osteoporosis treatment gap in patients at risk of fracture in European primary care: a multi-country cross-sectional observational study. Osteoporos Int 32, 251–259 (2021).