Proximale Humerusfraktur – Die Therapiewahl ein Fall für ein tierisches Konsil?

Autorin: Dr. Jeanette Köppe
(Foto: Jeanette Köppe)

Welche Patient*in behandle ich konservativ? Und was ist die optimale Operationsmethode? Hast du dir diese Fragen auch schon gestellt, oder dich gefragt, wie erfahrene Expert*innen sich entscheiden würden?

In einer 2020 veröffentlichten Studie von Sam Razaeian und Kollegen  wurde der Konsens über die Therapiewahl bei Patient*innen mit Oberarmkopffraktur zwischen zwei Expert*innengruppen verglichen. Die erste Gruppe bestand aus erfahrenen Unfallchirurg*innen aus Deutschland und den USA mit einer Spezialisierung auf die obere Extremität.

Die zweite Gruppe war durch eine Thüringer Kolonie von Makaken gegeben. Bei den Makaken handelt es sich um eine kleinere Affenart, die hin und wieder gern Steine als Sexspielzeug verwendet. Derlei Informationen lagen über die teilnehmenden Homosapiens leider nicht vor.

(Foto: Erik Karits - pixabay.com)

Es wurde untersucht, für welche Therapieform sich die Expert*innen bei der präsentierten Oberarmkopffraktur entscheiden würden. Insgesamt wurden den Expert*innen neun willkürlich gewählte Fälle mit proximaler Humerusfraktur zur Verfügung gestellt. Es sollte neben der allgemeinen Therapiestrategie (operativ oder konservativ) auch die bestmögliche operative Methode bestimmt werden. Den Homosapiens wurde eine umfangreiche Falldarstellung, bestehend aus Bildgebung (Röntgen, 3D-CT), demographischen Angaben, Informationen über Nebenerkrankungen und der allgemeine Gesundheitszustand vor der Verletzung, zur Verfügung gestellt.

Die Entscheidung der menschlichen Expert*innen wurde über Fragebögen abgefragt.

Bei den Makaken erfolgte die Fallpräsentation über Poster mit der relevanten Bildgebung, die Entscheidung erfolgte durch die Wahl eines Snacks (eine Mischung aus Wallnüssen, Erdnüssen und Sultaninen) aus der zur Therapie gehörenden Nierenschale. So ein Vorgehen zur Befragung tierischer Expert*innen durch das Zurverfügungstellen von Nahrung wird als environmental enrichment bezeichnet.

Innerhalb der zwei Gruppen (spezialisierte Unfallchirurg*innen und Makaken) wurde die Interrater-Reliabilität, also das Maß der Einigkeit über die Therapiewahl, über Fleiss Kappa abgebildet.

Die Studie war statistisch sehr sauber konzipiert und kommt zu dem Ergebnis, dass die Affenbande genauso gut einen Konsens findet – und sogar besser, als die erfahrenen Ärzt*innen.

Natürlich kann man kritische Fragen an das Studiendesign stellen. So könnte man hinterfragen, warum die Ärzt*innen eigentlich keine Snacks bekommen haben, oder ob die Makaken unbeeinflusst ihre Meinung äußern konnten.

Interaktion zwischen leitenden Makaken und seinem Assistenten. (Quelle: Sam Razaeian et al (2020) [doi:10.1136/bmj.m4429]. )

Es wurde beobachtet, dass die leitenden Makaken bei der Anleitung ihrer Assistenten vollen Körpereinsatz zeigten, was wohlmöglich stärker als angenommen Einfluss auf deren Entscheidungsfindung ausübt. Die anscheinend vorherrschenden (teilweise schwerwiegenden, siehe Bild links) Interessenskonflikte zwischen den einzelnen Hierarchien der Makaken-Gemeinschaft wurden retrospektiv von den Autoren offen diskutiert. Auch eine mögliche Bevorzugung der einzelnen Komponenten des environmental enrichment könnte nachträglich betrachtet unglücklich sein, da die Präferenz einzelner Studienteilnehmer*innen seitens der Makaken ein Bias erzeugen könnte.

Nichtsdestotrotz bleibt die Frage: Wie kann das sein? Wie kommt so ein Ergebnis zustande?

Sollte in jeder Klinik jetzt ein Äffchen Einzug halten, das man um Rat fragen kann?

Natürlich nicht, das würde wohl den ohnehin schon zu engen finanziellen Rahmen der Kliniken sprengen, der nur wenig Budget für zusätzliche Rosinen und Erdnüsse zulässt.

Aber diese Studie schlägt tief in eine allgemeine Wunde und spiegelt provozierend wie treffend die Emotionen der (jungen) Ärzt*innen wieder: "Die Wahl fühlt sich mitunter beliebig an!" „Ich kann in den Besprechungen manchmal nicht nachvollziehen, warum wir diese Patientin jetzt operieren.

Die Studie zeigt eins: Es sollte ein Umdenken passieren, weg von der reinen Entscheidung anhand der Bildgebung, hin zu einer individuellen Entscheidungsfindung mit dem/der Patient*in und den Angehörigen gemeinsam.

Originalarbeit:

Nonsensus in the treatment of proximal humerus fractures: uncontrolled, blinded, comparative behavioural analysis between Homo chirurgicus accidentus and Macaca sylvanus
BMJ 371:m4429, 2020
S.Razaeian, B. Wiese, D. Zhang et al.