Um die Eizelle zu befruchten, müssen die Spermien des Mannes einen langen, hindernisreichen Weg zurücklegen. Die Natur hat sie dafür mit einem erstaunlichen Repertoire von Fähigkeiten ausgestattet, die zur richtigen Zeit und am richtigen Ort abgerufen werden müssen.
Die schützende Hülle, mit der sich die Eizelle umgibt, stellt für die Spermien die finale Hürde dar. Sie muss überwunden werden, um mit der Eizelle verschmelzen zu können. Um sich durch die Eihülle zu bohren, schlagen die Spermien besonders kraftvoll mit ihrem Schwanz (Flagellum). Diesen speziellen Schlagstil nennt man „hyperaktives Schwimmen“.
Die Spermien-Hyperaktivierung wird von Proteinen (Eiweißen) im Spermienschwanz gesteuert, den sogenannten CatSper-Kanälen. CatSper reguliert den Kalzium-Haushalt der Spermien und steuert dadurch – wie ein „molekularer Dirigent“ – ihr Schwimmverhalten.

CatSper-Kanäle im Flagellum dienen Spermien als polymodale Sensoren, um Signale aus ihrer Umgebung wahrzunehmen. Indem sie Kalziumionen in das Flagellum leiten, lösen die CatSper-Kanäle Änderungen im Spermien-Schwimmverhalten aus.
Wenn die CatSper-Kanäle nicht richtig funktionieren, können die Spermien nicht hyperaktivieren, bleiben in der Eihülle stecken und können folglich die Eizelle nicht befruchten. Männer mit CatSper-Defekten sind daher unfruchtbar.
Um betroffenen Paaren zu helfen, ist eine besonders abgestimmte Kinderwunschbehandlung erforderlich. Ein CatSper-Defekt lässt sich jedoch mit der konventionellen Diagnostik im medizinischen Labor nicht nachweisen.

Links: Mit einem kraftvollen, peitschenhiebartigen Flagellenschlag durchbohren „hyperaktivierte“ Spermien die Eihülle, um die Eizelle zu befruchten. Um die Hyperaktivierung auszulösen, ist der CatSper-Kanal unentbehrlich. Rechts: Ist CatSper defekt, bleiben die Spermien in der Eihülle stecken. Weil sie die Eizelle nicht befruchten können, ist der Mann unfruchtbar.
Für das betroffene Paar ist ein unerkannter CatSper-Defekt tückisch, denn dadurch wird die Indikation für eine Kinderwunschtherapie mitunter erst sehr spät gestellt - oder es werden Behandlungsstrategien verfolgt, die keine Aussicht auf Erfolg haben.
Deshalb haben wir ein Testverfahren entwickelt, mit dem sich ein CatSper-Defekt erstmals im Umfeld eines medizinisch-diagnostischen Labors nachweisen lässt. Unser „CatSper-Aktivitäts-Test“ ist ein Labortest, der mit einem winzigen Volumenteil einer Samenprobe parallel zur konventionellen Samenanalyse durchgeführt werden kann. Eine spezielle Testlösung macht die molekular hoch komplexe Funktion des CatSper-Kanals als lichtmikroskopisch einfach sichtbare Bewegungsantwort der Spermien erkennbar: Das Ergebnis steht schon nach etwa dreißig Minuten fest.
Damit Patienten in Zukunft von dieser Innovation profitieren können, arbeiten wir derzeit daran, den Prototyp unseres Tests in ein regelkonformes In-vitro-Diagnostikum zu überführen. Gegenwärtig ist der CatSper-Aktivitäts-Test noch nicht in der Krankenversorgung verfügbar.
European Patent Application: PCT/EP2020/057904.
"CatSper-Activity-Test for determining male infertility."
Schiffer, C., Brenker, C., Strünker, T., Young, S. (2020)