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Von Angesicht zu Angesicht mit holografischen Patienten: Augmented Reality zieht ins Medizinstudium ein
Münster(mfm/mh) - Lehre in Zeiten der Pandemie: Dass Corona komplett andere Anforderungen an die studentische Ausbildung stellt, wurde allen Lehrenden schon im ersten „Online-Semester“ klar – erst recht in der Medizin, einem auf Patientenkontakt angewiesenen Fach. Mit den Erfahrungen aus der Eiltempo-Digitalisierung in lebhafter Erinnerung hat sich auch PD Dr. Markus Holling, Lehrbeauftragter und stellvertretender Direktor der münsterschen Uniklinik für Neurochirurgie, geschworen, schnell wieder in Anwesenheit zu unterrichten - und das möglichst interessant und innovativ. Seine Lösung: Er setzt – eine bundesweite Premiere - auf Augmented-Reality-Brillen (AR-Brillen). Der Begriff klingt wie Virtual Reality (VR) – und Ähnlichkeiten gibt es auch, aber diese Technik reicht weiter.
Im Gegensatz zur virtuellen konzipierten Realität der VR liegt der AR die echte physische Welt zur Grundlage. Konkret: Die Realität, wie die Augen sie sehen, interagiert mit den gewünschten virtuellen Informationen im Raum. Wie die VR kann die Schwester-Technik ebenfalls alle menschlichen Sinne ansprechen. Der große Unterschied zur VR und Vorteil der AR ist, dass es sich um Mischform aus Realität und Simulation handelt. Durch den geringeren Grad von „Künstlichkeit“ sind der Einstieg und das alltägliche Arbeiten für Unerfahrene nicht nur einfacher, sondern auch verständlicher. Zudem begeben sich die Nutzer nicht in eine völlig fremde VR-Welt, sondern können in ihrem gewohnten Umfeld realitätsnah lernen.
Als zu projizierende virtuelle Komponente wählte Holling dreidimensionale Aufnahmen der Strukturen des Kopfbereichs realer Patientinnen und Patienten aus. Die Studierenden des achten Medizin-Fachsemesters können diese durch die AR-Brillen sehen, bearbeiten und eine Operation nachahmen. „Für ein chirurgisches Fach ist es unabdingbar, dass praktische Aspekte dargestellt werden und nicht nur die Theorie vermittelt wird. Deshalb ist dieses deutschlandweit erste Projekt dieser Art so wichtig“, unterstreicht Prof. Walter Stummer, Direktor der Uniklinik für Neurochirurgie. Die - sehr gute - Evaluation der Lehrangebote spiegelt wider, wie die Studierenden die Technik wahrnehmen: „Sehr interaktiv und zukunftsorientiert. Ich fände es cool, wenn man das beste Praktikum des Semesters freiwillig immer wieder nachholen könnte“, so eine der vielen positiven Rückmeldungen.
„Es war klar, dass wir die übliche Ausbildung am Krankenbett mit Untersuchung und Falldiskussion nicht pandemiegerecht durchführen können“, beschreibt Neurochirurgie-Facharzt Holling den Ausgangspunkt seiner Überlegungen. Bisherige Highlights der neurochirurgischen Lehre, wie die Operation von Tumormodellen unter echten OP-Mikroskopen, die „Kraniotomie“ (operative Schädeleröffnung) an Kokosnüssen oder das mikroskopische Nähen von Hirnhautimitaten, mussten pandemiebedingt weichen. Dass sein innovatives Lehrkonzept in Zukunft immer wichtiger werden wird, steht für den 42-Jährigen fest: „Wir sind als deutschlandweit erste Lehreinrichtung in der Lage, ein hochgradig individuelles und aktuelles Lehrformat anzubieten - auch wenn die Patiententür vorerst verschlossen bleibt“. Über weitere digitale Aspekte in der neurochirurgischen Lehre hinaus, soll zeitnah aber auch wieder gebohrt werden – das ist und bleibt ein Wunsch der Studierenden und auch ihres Ausbilders.