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Suizid als letzter Ausweg: Stolpersteine erinnern an WWU-Professoren Walter Groß und Paul Krause

Gedenken vor der Pathologie: Peter Schilling, Vorsitzender von "Spuren Finden", legt Blumen am Stolperstein für Prof. Walter Groß ab (Foto: Peter Leßmann)

Münster (mfm/tb) - Beide gehörten als Direktoren zum Führungspersonal der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU), beide amtierten als Dekane, einer sogar als Rektor. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme aber endete die Karriere der Medizinprofessoren Walter Groß und Paul Krause – und dann auch ihr Leben. Drangsaliert von den neuen Machtinhabern, teils auch von zuvor loyalen Kollegen, wählten die Hochschullehrer den Freitod. An ihr Schicksal erinnern nun zwei Stolpersteine vor den früheren Wirkungsstätten. Anlässlich der Verlegung der Steine erinnerten der münstersche Verein „Spuren Finden“ und die Medizinische Fakultät der WWU mit einer Gedenkveranstaltung an das Schicksal der NS-Opfer.
Mit den neuen „Bürgersteigdenkmalen“ des Künstlers Günter Demnig knüpfen die Organisatoren an vorherige Steinverlegungen für WWU-Mediziner an. Vor der Augenklinik des Universitätsklinikums erinnert bereits ein Stein an deren früheren Leiter Prof. Aurel von Szily, vor dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie einer an Prof. Hermann Freund. Beide Direktoren gerieten schon wegen ihrer jüdischen Herkunft ins Visier der NS-Diktatur. Bei Groß und Krause ist der Sachverhalt komplexer und die Bewertung damit schwieriger.
Prof. Paul C. H. Krause, geboren am 30.09.1871 in Glogau (Schlesien), gilt als Pionier der Röntgendiagnostik. Er untersuchte schon früh die biologischen Wirkungen der Strahlen auf tierische sowie menschliche Gewebe und veröffentliche auf seinem Gebiet rund 120 Arbeiten, darunter das „Lehrbuch der klinischen Diagnostik innerer Krankheiten“. Die Gründung des Deutschen Röntgenmuseums in Remscheid ging auf seine Initiative zurück. Die Magen-Darm-Diagnostik erneuerte Krause, indem er radioaktive Wismut-Salze durch Bariumsulfat ersetzte. Nach seinem Medizinstudium in fünf deutschen Städten und beruflichen Stationen in Hamburg, Breslau, Jena und Bonn war er 1923 an die in Gründung befindliche Medizinische Fakultät der WWU berufen worden. Zusammen mit der Professur übernahm der Internist die Leitung der „Medizinischen Klinik“.
Als Gründungsdekan der Fakultät wirkte Krause an der Erstbesetzung der neuen Lehrstühle mit. 1930/31 stand er der WWU als Rektor vor und fungierte zudem als Verwaltungsdirektor der Medizinischen Einrichtungen. Wenig später geriet der Röntgen-Experte dann in Konflikt mit dem NS-Regime: Ein Brief, in dem er einen Entwurf zum „Heilpraktikergesetz“ der Nazis als „Kurpfuscherei“ kritisierte, führte zum Konflikt mit dem Reichsärzteführer. Es folgten Boykottmaßnahmen nationalsozialistisch gesinnter Studenten, unterstützt von Nachwuchswissenschaftlern, und schließlich ein selbst gestellter Antrag auf Versetzung in den Ruhestand. Die Umstände seines Suizides am 7. Mai 1934 - wenige Tage nach dem Antrag - können als politisches Signal gedeutet werden: Dieser erfolgte bei Bad Ems am Grab des bekannten preußischen Staatsmannes und Reformers Freiherr vom Stein. Selbst im Tod blieb Krause seiner Wissenschaft treu: Sein Körper, so der testamentarische Wille, sollte für wissenschaftliche Untersuchungen in der Röntgenkunde dienen.
Zu dieser Zeit war Krauses Kollege Prof. Walter Groß bereits ein halbes Jahr tot. Der gebürtige Badenser – geboren am 12.01.1878 in Waldkirch – hatte nach Studium, Promotion und einigen Assistentenstellen zunächst an der Universität Heidelberg gearbeitet, wo er 1911 habilitiert und 1917 zum Professor ernannt wurde. Seit 1921 Lehrstuhlinhaber für pathologische Anatomie in Greifswald, erhielt Groß drei Jahre später einen Ruf nach Münster und übernahm dort die Leitung des Pathologischen Instituts. Seinem Suizid gingen schwerwiegende Differenzen in der Einrichtung voraus. So gab es Vorwürfe wegen einer angeblichen Unterschlagung von Institutsgeldern durch seine Sekretärin. Des Weiteren soll sich Groß „politisch zweifelhafte Äußerungen“ erlaubt haben, wie es in einem überlieferten Schriftstück heißt. Drei seiner Assistenten intrigierten massiv gegen ihn.
Am 14. September 1933 sah sich Groß dem Druck nicht mehr gewachsen und verübte – in seinem Institut – mit Zyankali Selbstmord. Er hinterließ Frau und zwei Kinder. Wie sein Direktorenkollege hatte auch Groß - zu dessen Schülern der spätere Nobelpreisträger Gerhard Domagk gehörte - sein Fachgebiet durch wichtige Arbeiten bereichert, so zur Physiologie der Nieren, die Kriegs-Nephritis und die pathologische Anatomie des Nervensystems.
„Die damaligen Geschehnisse dürfen sich nicht wiederholen. Daher ist es gut, dass die Stolpersteine unübersehbar im Blickfeld der Passanten liegen und damit auch den Nachwuchs – die Studierenden – an ihre Verpflichtung erinnern“, sind sich Prof. Wilhelm Schmitz, Dekan der Medizinischen Fakultät, und Peter Schilling, Vorsitzender von „Spuren Finden“ einig. Der Gedenkakt begann mit Schweigeminuten an den Stolpersteinen in den Eingangsbereichen zum Gerhard-Domagk-Institut für Pathologie (Domagkstraße 17) und zur früheren Medizinischen Klinik (heute: Domagkstraße 3). Im Hörsaal dieses Gebäudes schlossen sich eine Gedenkrede von WWU-Prorektorin Dr. Marianne Ravenstein und ein Vortrag von Dr. Ursula Ferdinand aus Berlin an. Die Historikerin hat sich in einem Forschungsprojekt intensiv mit der Geschichte der münsterschen Medizinischen Fakultät in der NS-Zeit befasst und stellte die Vita der beiden Professoren dar.

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