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Organspende: „Im Gespräch mit Angehörigen ist viel Sensibilität und Kompetenz erforderlich, kein Druck“

Prof. Dr. Dr. Fritz Muthny (Foto: privat)

Münster (UKM/mfm/dre) - Wie und wann sollen Ärzte und Pflegekräfte in Kliniken Angehörige eines unmittelbar Verstorbenen zum Thema Organspende ansprechen, wenn der Patient selbst keinen eindeutigen Willen hierzu hinterlassen hat? „In einer solchen Situation muss man natürlich primär den Bedürfnissen der trauernden Angehörigen gerecht werden, gleichzeitig aber auch die Patienten im Blick haben, die auf eine Organspende angewiesen sind, nicht nur im Hinblick auf eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität bei einer schweren Erkrankung, sondern nicht selten sogar im Hinblick auf ein Überleben. Aus meiner Sicht sind beide Aspekte als ethisch gleichwertig zu betrachten. Vor diesem Hintergrund sind gezielte Trainingsangebote für Ärzte und Pflegekräfte von immenser Bedeutung“, erklärt Prof. Dr. Dr. Fritz Muthny, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Fakultät Münster.
Über zehn Jahre lang - bis 2006 - hat er rund 100 Moderatoren (meist erfahrende Psychotherapeuten) trainiert, die nach einem speziellen Programm („EDHEP-Programm“), organisiert durch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), solche eintägigen Fortbildungen in den Kliniken durchgeführt haben. Dabei wurden in über 900 Seminaren fast 10.000 Ärzte und Pflegekräfte für solche Gespräche mit Angehörigen in der Klinik geschult. „Unsere Erfahrungen haben gezeigt: In einer solchen Extremsituation müssen die oft schockartigen Belastungen, Bedürfnisse und Fragen der Angehörigen primär im Mittelpunkt stehen. Oft haben sie natürlich auch konkrete Fragen zum Tod ihres Angehörigen und zu den Rettungsbemühungen, deren einfühlsame und geduldige Beantwortung ihnen sehr beim Begreifen des eigentlich Unbegreiflichen hilft und sehr wichtig für den weiteren Trauer- und Bewältigungsprozess sein kann", so Muthny.
Er ergänzt: "Mitunter tauchen auch von Angehörigenseite früh Fragen zur Organspende allgemein und zu speziellen Aspekten auf, z.B. ob nach einer Organentnahme noch eine Aufbahrung des Verstorbenen möglich ist. Auf diese Fragen muss man vorbereit sein und sie in Ruhe beantworten. Angehörige brauchen nicht nur Informationen, sondern ganz wesentlich auch Trost, Verständnis und Hilfe. Nach einem Unfall z.B. sind es häufig Fragen zum Unfallhergang, zu den Verletzungen und zu der Behandlung, die eine wichtige Rolle für die Bewältigung spielen. Solche Informationen sollte der Gesprächsführende besitzen bzw. von Kollegen einholen, um möglichst überzeugend aufklären zu können. Das schafft wichtiges Vertrauen. Daher sollte im Idealfall derArzt das Gespräch führen, der den Patienten behandelt hat – nicht nur wegen der Informationen, sondern auch, weil diese Person für die Angehörigen eine besondere Bedeutung hat, weil sie nah bei dem Verstorbenen war“.
Prof. Muthny hat die früheren Seminare umfassend evaluiert, ein Ergebnis ist: „Das wichtigste war für viele Teilnehmer das Erkennen des richtigen Zeitpunkts, um die Frage nach der Organspende zu stellen. Dabei spielen die Akzeptanz des Todes und die Bereitschaft und die Möglichkeiten, Abschied zu nehmen, eine wichtige Rolle. Gegenseitige Unterstützung verschiedener Familienangehöriger kann hier sehr hilfreich sein. Bei der Behandlung des Themas Organspende ist ganz wichtig, dass zunächst der - mutmaßliche - Wille des Verstorbenen eruiert wird, der ja nach ethischen und juristischen Grundsätzen oberste Richtschnur für alles weitere Handeln ist. Erst wenn dieser nicht feststellbar ist - was leider bei über 70 Prozent der Fälle gilt -, treffen die Angehörigen im Sinne der bei uns gültigen ‚erweiterten Zustimmungslösung’ die Entscheidung im Hinblick auf eine Organspende.“ Bei solchen Gesprächen sei auch, vor allem bei geäußerten Bedenken, ein frühes Signal an die Angehörigen wichtig, dass ihre letztendliche Entscheidung - für Organspende, für Organspende mit Einschränkungen oder gegen Organspende - in jedem Fall akzeptiert werden wird.
Muthny: „Geduldige und bedarfsgerechte Aufklärung sollte im Vordergrund stehen, dabei darf allerdings kein Druck ausgeübt werden und einseitig die Perspektive der potentiellen Empfänger im Vordergrund stehen. Wichtig ist, dass diese manchmal schwierigen Gespräche einfühlsam, aber auch mit Selbstverständnis geführt werden. Dass diese Gespräche über eine mögliche Organspende früher mitunter einfach vermieden wurden, ist einerseits menschlich verständlich, kann aber kaum als ethisch begründet gesehen werden.“
Auch die Rahmenbedingungen vor Ort sind nicht unwichtig. Dazu zähle etwa ein ungestörter Raum, in dem solche intimen Gespräche geführt werden können bzw. wo Angehörige sich austauschen und zur Ruhe kommen können. Neben dem gezielten Training der Ärzte und Pflegekräfte zur Gesprächsführung mit den Angehörigen sei es auch wichtig, dieses Thema schon früh in die ärztliche Ausbildung mit aufzunehmen. Hier ist Münster Vorreiter: Im Jahr 2008 setzte die Medizinische Fakultät Münster das Thema als einwöchiges Modul auf den Lehrplan. Dort wird den Studierenden nicht nur das nötige Fachwissen vermittelt: Im Studienhospital werden unter Anleitung Angehörigengespräche mit Schauspielern zum Thema Organspende simuliert. Prof. Muthny: „Dieser Ansatz einer frühen Sensibilisierung für die Thematik und auch der Erwerb konkreter Gesprächskompetenzen ist sehr wichtig, denn im klinischen Alltag werden die angehenden Ärzte häufig vor dieser und ähnlichen Situationen stehen. Dann können sie auf dieses Wissen zurückgreifen und es auch später in ihre Kliniken tragen.“

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