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bvmd-Podium: "In Zeiten der Ökonomisierung müssen Hochschulen dem Ärzte-Nachwuchs Rückgrat vermitteln"

Gefüllt bis zum letzten Platz: Der Hörsaal L 10 während der Podiumsdiskussion (Foto: fsmed)

Kontroverse Podiumsdiskussion beim Bundeskongress der Medizinstudierenden in Münster
Münster (mfm/pc) - Prof. Dietrich Grönemeyer war krank und fiel aus. Aber auch mit etwas geringerem Promi-Faktor verlief die Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft der Medizin. Wer setzt uns Grenzen?“ am vergangenen Samstag im Hörsaalgebäude der Medizinischen Fakultät an der Albert-Schweitzer-Straße äußerst spannend. Sie war der Höhepunkt des diesjährigen Bundeskongresses der Medizinstudierenden, den das münstersche Fachschaftsteam organisierte und ausrichtete. Die Münsteraner erwiesen sich dabei erneut als hoch professionelle Veranstalter – auch im Fall des Ausfalls: Als Ersatz für Grönemeyer konnten sie kurzfristig den Vorsitzenden der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Rudolf Henke, gewinnen, so dass keiner der roten Sessel auf der Bühne des L 10 leer blieb.
Außer Henke, der für die CDU im Bundestag sitzt, war als weiterer Politiker MdB Professor Karl Lauterbach, Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie der Universität zu Köln und Gesundheitsexperte der SPD, zu Gast. Außerdem diskutierten Prof. Bettina Schöne-Seifert, Direktorin des Instituts für Ethik, Theorie und Geschichte der Medizin der Universität Münster, Professor Jürgen Hescheler, Direktor des Instituts für Neurophysiologie der Uni Köln und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Stammzellforschung, sowie Prof. Dieter Bitter-Suermann, Vorsitzender des Medizinischen Fakultätentages und zugleich Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von dem Rundfunk-Journalisten Helge Haas („Q 21“).
Gleich zu Beginn stieg die Runde aus Wissenschaftlern und Politikern in die Ethikdebatte um den Schutz von Embryonen und die Stammzellforschung ein. Der Stammzellforscher Henscheler sprach sich für die Freiheit der Forschung aus. Sie sei die Voraussetzung für medizinischen Fortschritt. „Wir dürfen den Anschluss an die internationale Entwicklung nicht verpassen“ argumentierte er. Ansonsten würden Patienten ins Ausland abwandern. Dem widersprach Karl Lauterbach vehement und erntete dafür den Applaus des Publikums: „Die Frage der Werte, auf denen unsere Gesellschaft basiert, können wir nicht ans Ausland delegieren. Besonders angesichts unserer Vergangenheit  tun wir gut daran, ethische Ansprüche zu haben, die über das internationale Mindestniveau hinausgehen.“
Auch Professor Schöne-Seifert unterstrich, dass die gesetzlich verbriefte Forschungsfreiheit „kein Blanko-Scheck“ sei, und sprach sich für den vollen Lebensschutz der befruchteten Eizelle aus. Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) sei sie dafür, diese in „in engen Grenzen“ zuzulassen. Die jährlich etwa 500 Paare, die wegen familiärer genetischer Defekte davon Gebrauch machten, sollten nicht für die Gräueltaten der Nazis bestraft werden. Außerdem ergäbe sich sonst ein Widerspruch zum Abtreibungsparagraphen, der bei einer medizinischen Indikation einen Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten erlaubt. Bis auf Rudolf Henke, der dafür plädierte, die PID generell zu verbieten, bis festgelegt sei, was „enge Grenzen“ bedeutet, schloss sich das Podium dieser Meinung an.  
Nicht weniger brisant war die Frage nach den Kriterien für eine faire Rationierung der Leistungen, die Haas im Anschluss in die Runde warf. Prinzipiell waren sich alle Experten einig, dass künftig nicht alles medizinisch Mögliche aus solidarisch finanzierten Töpfen bezahlbar sein wird. Schöne-Seifert plädierte dafür, Therapien auf ihre Nützlichkeit hin zu überprüfen und auf dieser Basis nachvollziehbare Entscheidungen darüber zu treffen, was medizinisch unbedingt notwendig und was lediglich sinnvoll sei. Als Beispiel nannte sie ein teures Medikament, das das Leben eines Krebspatienten lediglich um drei Monate verlängert. Da müsse überlegt werden, ob die Krankenkassen dies bezahlen sollen. „Fortschritte in der Medizin sind anfangs immer klein“, entgegnete Bitter-Suermann. „Wo ist die Grenze zu sagen: Das ist nicht vertretbar?“
Neue Therapien, wie Unikliniken sie anbieten, bräuchten einen Vorlauf von mindestens drei oder vier Jahren, bevor ihr Nutzen gesichert sei und sie in das Fallpauschalen-System aufgenommen würden. „Da andere Krankenhäuser die bewährte Therapien lediglich anwenden, arbeiten sie tendenziell billiger“, nahm Gesundheitsökonom Lauterbach den Faden auf. Er sprach sich dafür aus, den Uni-Kliniken für ihre zusätzlichen Aufwendungen für die Forschung Zuschläge auf die Fallpauschalen zu zahlen. „Was ist, wenn ein Sterbenskranker zum Beispiel sagt, er möchte noch einige Monate leben, um noch das Abitur seiner Tochter zu erleben?“ fragte Lauterbach. Die Politik müsse den pharmazeutischen Unternehmen verlässliche Regeln vorgeben, bis zu welcher Höhe Leistungen jeweils erstattet würden. Er sprach sich dafür aus, die klinische Forschung an den Universitäten zu stärken, um unabhängiger zu werden von den internationalen Pharma-Konzernen. „Diese Firmen zwingen uns sonst eine überzogene Rationierungsdebatte auf.“
Der Marburger-Bund-Vorsitzende Rudolf Henke brachte die Nachhaltigkeit ins Spiel. „Wir können dem System immer nur das entnehmen, was die jeweilige Generation erwirtschaftet“, sagte er. Die Kosten für die oft als „höchstes Gut“ bezeichnete Gesundheit müssten in einem angemessenem Verhältnis stehen zu anderen wichtigen Werten wie Bildung und soziale Gerechtigkeit. Henke glaubt, dass die gesellschaftliche Debatte um die Verteilungsgerechtigkeit von Gesundheitsleistungen erst ganz am Anfang steht. „Wir Ärzte allein können das Problem nicht lösen“, betonte er. Aufgabe der Hochschulen sei es, den angehenden Ärzten „Kreuz und Rückgrat“ zu stärken, damit sie sich gegen die Ökonomisierung wehren und ihre Entscheidungen in erster Linie anhand fachlicher Erwägungen treffen könnten.

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