Hildebrandt, F. et al. J Am Soc Nephrol 2009;20:23-35

Nach neusten pathophysiologischen Erkenntnissen zählt die Nephronophthise zu den sog. Zilienerkrankungen. Das rührt daher, dass mit einer Ausnahme alle bislang bekannten NPHP-Genprodukte, die sog. Nephrozystine,  im renalen Primärzilium, in den Basalkörperchen, den Zentrosomen oder der Mitosespindel exprimiert werden. Selbst Uromodulin, das MCKD Typ2 verursacht, konnte ziliär lokalisiert werden. Primären Zilien fungieren als sensorische Organellen, die visuelle, mechanosensorische, olfaktorische oder andere Stimuli an die Zelle übermitteln und darüber den Zellzyklus, die Zellarchitektur und wahrscheinlich noch andere bislang unbekannte Vorgänge beeinflussen. Am Nierentubulus haben die Primärzilien, die in das Tubuluslumen hineinragen, möglicherweise die Aufgabe, den Fluss des Primärharns zu detektieren. Wird diese Funktion gestört, kommt es zu einer Ausbildung von Zysten. Dieser Pathomechanismus scheint beinahe allen Erkrankung, die mit einer Zystenbildung einhergehen, gemeinsam. So werden inzwischen u.a. die polyzystischen Nierenerkrankungen (ADPKD, ARPKD), das Bardet-Biedl-Syndrom und die Nephronophthise unter dem Oberbegriff Zystopathien zusammengefasst.  Der Nachweis dieser Zystoproteine (z.B. der Nephrocystine) in anderen Zilien-tragenden Zellen (Photorezeptoren, Ependymzellen, Cholangiozyten, Chondrozyten) erklärt auch die unterschiedlichen extrarenalen Manifestationen der NPH. So wurde eine Expression von Nephrozystin-5 und Nephrozystin-6 im Verbindungszilium von Photorezeptoren gefunden. Diese Verbindungs-Zilien sind für den geregelten Transport des Sehfarbstoffs Rhodopsin verantwortlich. Ist der Rhodopsin-Transport gestört, entwickelt sich eine Retinitis pigmentosa.

Weitere ziliäre Expressionen von Nephrozystinen wurden auch im zentralen Nervensystem und in Gallenwegszellen der Leber beschrieben, was die Assoziation der Nephronophthise mit cerebellären Symptomen des Joubert-Syndroms sowie das Auftreten einer Leberfibrose erklären könnte.  Auch für die Pathogenese des Jeune-Syndroms scheinen Zilien von entscheidender Bedeutung zu sein, da bei betroffenen Patienten Mutationen in einem Transportprotein des intraflagellaren Transports (IFT80) nachgewiesen werden konnten. Um diese pathophysiologischen Zusammenhänge zu unterstreichen, wurde ein weiterer neuer Begriff geprägt, nämlich der Begriff der Ziliopathien, zu denen auch die Zystopathien gehören. Einen umfassenden Überblick über den derzeitgen Kenntnisstand geben zwei aktuelle Reviews:

  • [Hildebrandt F et al., J Am Soc Nephrol 2009 20:23-35]
  • [Fliegauf M et al., Nat Rev Mol Cell Biol 2007 8:880-893]