Bezahlbare HIV-Tests: Prof. Wolfgang Göhde entwickelte vor 45 Jahren in Münster die Fluorzytometrie-Technologie

Prof. Wolfgang Göhde in einer ländlichen Region im westafrikanischen Benin (Foto: Göhde-Stiftung)

Münster (mfm/mk) – Von 40 auf zwei Euro: Das ist der oftmals Leben rettende Unterschied, den Millionen HIV-Patienten weltweit der Durchflusszytometrie zu verdanken haben. Erfunden wurde dieses bahnbrechende Diagnostikverfahren 1968 von Prof. Wolfgang Göhde in einem Labor an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster. Heute ist die Fluorzytometrie, die auch zur Diagnostik von Krebs, Leukämie und anderen Krankheiten eingesetzt wird, die am schnellsten wachsende Diagnostiksparte der Welt; etwa zehn Milliarden Euro jährlich werden weltweit damit umgesetzt.
Wolfgang Göhde stammt gebürtig aus Görlitz in Sachsen und floh mit gerade einmal 18 Jahren aus der DDR in den Westen. Als er die wegweisende Technologie der fluoreszenzbasierten Durchflusszytometrie erfand, war der Nachwuchswissenschaftler erst seit drei Jahren promoviert und am münsterschen Institut für Strahlenbiologie tätig. Göhdes Ideen bauten auf der in den 1960er Jahren bereits bekannten Tatsache auf, dass bei Zellgemischen, beispielsweise aus Tumorbiopsien, zwischen gesunden und Tumorzellen unterschieden werden konnte. Das Verfahren dafür war allerdings teuer und zeitraubend – pro Zelle wurden damals etwa anderthalb Stunden veranschlagt. Das änderte sich mit der Erfindung der Durchflusszytometrie schlagartig.
„Mit der neuen Technik konnten nun pro Sekunde etwa 1.000 Zellen vermessen und zugeordnet werden“, berichtet Göhde – ein Meilenstein der medizinischen Diagnostik, für den er das weltweit erste Patent erhielt. Göhde, der zuvor in Münster Biologie, Chemie und Physik studierte und an der naturwissenschaftlichen Fakultät promoviert wurde, gründete dann gemeinsam mit seiner Frau Hildegard, die ebenfalls promovierte Biologin ist, die Firma Partec – „um die Technologie auch in praxistauglichen Geräten umzusetzen“.
Der erste Internist, der diese Geräte dann in der Diagnostik und Therapiebegleitung von Leukämieerkrankungen einsetzte, war ebenfalls in Münster tätig: der heutige Emeritus der Medizinischen Fakultät Prof. Thomas Büchner. Damit war der Grundstein für den erfolgreichen Einsatz der Durchflusszytometrie in der klinischen Praxis gelegt. In den folgenden Jahren erschienen hunderte wissenschaftliche Arbeiten, die auf Forschungen mit dieser Technologie basierten.
Wissenschaftlicher und humanitärer Einsatz für Millionen Menschen
Parallel weitete Wolfgang Göhde seinen eigenen Aktionsradius aus: Nachdem er sich 1973 am Institut für Strahlenbiologie habilitiert hatte, wurde er vier Jahre später zunächst als Associate Professor an das überaus renommierte M.D. Anderson Hospital and Cancer Center der Universität Texas in Houston, USA, berufen, bevor er noch im selben Jahr Professor für Strahlenbiologie an der Universität Münster wurde. Seit den 1980er Jahren war Göhde zudem immer wieder als Gastprofessor tätig, so beispielsweise an den Universitäten von Neu Delhi, Rom, Krakau und Perugia. „In dieser Zeit etablierte sich die Fluorzytometrie außerdem als Standardmethode zur Immuntypisierung von Zellen, Tumorzellen und Leukämiezellen“, schildert Göhde, „und wurde vor allem mit dem Aufkommen und der zunehmenden Verbreitung der AIDS-Krankheit immer wichtiger.“
Diagnose und Therapie von AIDS setzen voraus, dass regelmäßige Immunstatusbestimmungen durchgeführt werden. Im Jahr 2002 hatten von bereits etwa 30 Millionen HIV-Infizierten nur 286.000 Patienten Zugang zu dieser lebenslang erforderlichen Diagnostik. Noch immer war die alle drei Monate durchzuführende Untersuchung mittels der Durchflusszytometrie der Blutzellen zu teuer für viele Erkrankte aus verarmten Gebieten der Welt. Daraufhin entwickelte Göhde seine Technologie noch einmal weiter und konnte so im Verbund mit dem technologischen Know-How der von seiner Frau geführten Firma Partec dazu beitragen, dass der Preis von vormalig 40 Euro pro Test auf gerade einmal zwei Euro sank.
„Heute werden nach Angaben internationaler Organisationen pro Jahr mehr als drei Millionen AIDS-Patienten in 100 Ländern mit durchflusszytometrischer Diagnostik gezielt antiretrovial therapiert“, sagt Göhde. Davon versorgt allein Partec etwa 40 Prozent mit den sogenannten CD4-Tests, über die die erforderliche Aussage zum Zustand des Immunstatus der Betroffenen vorgenommen wird. Auch für andere Krankheiten wie die ebenfalls weit verbreitete und häufig tödliche verlaufende Malaria ist die durchflusszytometrische Diagnostik mittlerweile unerlässlich. Und sogar in eher alltäglichen Prozeduren wird sie eingesetzt, so zur mikrobiologischen Untersuchung von Lebensmitteln.
Besonders wichtig ist Wolfgang Göhde und seiner Familie aber der Einsatz für humanitäre Projekte. Auf zahlreichen Reisen, bei denen er und sein Sohn gelegentlich hochrangige Vertreter der Bundesregierung begleiteten, lernten beide entlegenste Gebiete Afrikas kennen, in denen selbst eine Grundversorgung mit Wasser fehlte. „Nach meiner Auffassung gibt es eine moralische Verpflichtung, vom eigenen Glück etwas zurückzugeben“, so Göhde, „daher habe ich gemeinsam mit meiner Frau und unseren Kindern eine Stiftung gegründet. Deren Anliegen ist es, die Menschen beispielsweise mit Wasser, Strom und Bildung zu versorgen, „aber eben auch mit medizinischer Basisversorgung, die im Kampf gegen AIDS, Malaria und Tuberkulose unerlässlich ist.“
Zahlreiche Auszeichnungen
Für seine wissenschaftlichen Erkenntnisse, seinen Unternehmergeist und sein humanitäres Engagement für günstige Diagnostik in den ärmsten Ländern der Welt wurde Göhde bereits vielfach ausgezeichnet: so mit dem IQ Innovationspreis Mitteldeutschland 2007, dem Wirtschaftspreis der Stadt Münster und Ehrenmitgliedschaften bei der Deutschen Gesellschaft für Zytometrie sowie der Internationalen Durchflusszytometrie-Gesellschaft. Mittlerweile hat sich Wolfgang Göhde, der 2005 emeritiert wurde, aus dem operativen Geschäft der Firma Partec zurückgezogen und arbeitet an Projekten zur Behandlung der sogenannten „neglected tropical diseases“, also bislang vernachlässigten tropischen Infektionen, die besonders in armen Gebieten Afrikas, Asiens und Südamerikas auftreten.
Die strahlenbiologische Ausbildung für junge Ärzte und Wissenschaftler hält Göhde weiterhin für enorm wichtig. „Ärzte und Radiologen sollten auch in Zukunft Grundkenntnisse in der Strahlenbiologie und im Strahlenschutz erlangen“, sagt er. Unerlässlich sei dies beispielsweise bei der Anwendung von ionisierender Strahlung in der Krebstherapie, aber auch bei der beinahe alltäglichen Röntgenpraxis: „Ohne die Erkenntnisse der Strahlenbiologie wäre es vermutlich auch heute noch gang und gäbe, Kinder und Schwangere beim Röntgen gefährlicher ionisierender Strahlung auszusetzen“, so Göhde. Als außerordentlich problematisch sieht er beispielsweise. die Ganzkörper-Scanner an Flughäfen, die Passagiere, darunter auch werdende Mütter, mit ionisierender Strahlung belasten – ein laut Göhde „nach EU-Gesetz klarer Verstoß gegen den Strahlenschutz“. Seine frühere Wirkungsstätte, das Institut für Strahlenbiologie in Münster, habe darin in vielerlei Hinsicht Standards gesetzt – eine Aussage, die sicher auch auf Prof. Wolfgang Göhde selbst zutrifft.

(Mit dem vorstehenden Bericht setzt der Alumni-Verein "MedAlum" der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher "Ehemaliger" fort.)

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