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„Lehre braucht den Lustfaktor“: Hertie-Stiftungs-Chef Madeja über seine Zeit als Student und „Assi“ in Münster

Prof. Michael Madeja, Geschäftsführer der Hertie-Stiftung

Münster (mfm/tb/pc) - Als Geschäftsführer der Hertie-Stiftung ist Prof. Michael Madeja vor allem eines: Manager in Sachen Forschungsförderung. Mit 800 Millionen Euro Kapital gehört die Stiftung zu den größten Deutschlands. Eines ihrer Hauptthemen ist aber weiterhin auch das persönliche Anliegen des Mannes an der Spitze: Gerade erst hat der gebürtige Detmolder ein viel beachtetes Buch über die Hirnforschung veröffentlicht. Das Fundament für Karriere und Know-how legte Madeja an der WWU: als Medizinstudent und später Assistent an der Medizinischen Fakultät. Für "CommUNIty", den Newsletter des Alumni-Vereins MedAlum der Medizinischen Fakultät, erinnert er sich an diese Zeit. Lesen hier die ungekürzte Fassung des Interviews.
Tipp: Beim nächsten „Welcome [back]"-Alumni-Tag der Fakultät am 23. Juni 2012 wird Professor Madeja - inzwischen auch Mitglied von MedAlum - einer der Referenten sein.

Herr Professor Madeja, war Münster für Ihr Medizinstudium damals die erste Wahl?
Ja, dafür gab es zwei Gründe. Zum einen lag Münster nicht sehr weit entfernt vom Wohnort meiner Eltern, zum anderen hatte Münster schon damals in der Humanmedizin einen hervorragenden Ruf. Ich habe mir Göttingen, Würzburg und Münster angesehen und dann Münster bei den Wunschstudienorten an die erste Stelle gesetzt.
Vom Beginn Ihres Studiums bis zum Jahr 2004, als Sie Ihr Labor nach Frankfurt verlegt haben, sind Sie der Uni Münster treu geblieben. Was war in Münster so besonders?
Die Arbeitsbedingungen am Institut für Physiologie waren ganz hervorragend, was zu einem guten Teil an Prof. Speckmann lag. Außerdem habe ich mich dort auch persönlich sehr wohl gefühlt. Mehrere, zum Teil sehr erfolgreiche Wissenschaftler habe ich um Rat gefragt: ‚Soll ich wechseln oder bleiben?’ Alle rieten mir zu bleiben, denn jeder Wechsel kostet Zeit. Zeit, die einem für Publikationen fehlt. Für eine Karriere als Wissenschaftler ist eben sehr entscheidend, wieviel man veröffentlicht hat. Ich blieb also.
Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Zu einem Wissenschaftlerlebenslauf gehört heutzutage einfach dazu, dass man einige Zeit im Ausland verbracht hat. Jedem jungen Kollegen würde ich deshalb empfehlen, für einige Zeit an eines der Top-Labore zu wechseln, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet – und dann wiederzukommen. Ich selbst wäre bestimmt wieder nach Münster zurückgekehrt.
Kann die Medizinische Fakultät Münster Ihrer Ansicht nach mit vergleichbaren Einrichtungen weltweit mithalten?
In der Humanmedizin in Münster gibt es sowohl stärkere als auch schwächere Einrichtungen. Ich glaube, Spitzenforschung hängt immer von einzelnen Köpfen ab. Professor Speckmann war im Bereich der Epilepsieforschung zusammen mit einem weiteren Wissenschaftler in Deutschland sicher führend und gehörte auch zu den führenden Köpfen weltweit. Und insofern war ich in seinem Institut an der richtigen Stelle.  
1999 wurden Sie an der Fakultät zum „Lehrer des Jahres“ gewählt. Hat die Vermittlung der Erkenntnisse Ihres Fachgebiets Sie auch damals schon sehr interessiert?
Ja, die Lehre hat mir Spaß gemacht. Der Lustfaktor muss bei der Lehre einfach mit dabei sein. Ich habe immer den Sinn darin gesehen und die Notwendigkeit. Auch für meine Forschung, denn um Doktoranden für das eigene Fachgebiet zu gewinnen, muss man gute Lehre machen. Die Persönlichkeit Professor Speckmanns war dabei sehr wichtig. Er hat uns jungen Assistenten die Begeisterung für die Lehre, aber auch die entsprechenden Fertigkeiten mitgegeben. Wir wurden quasi gezwungen, uns mit der Lehre auseinanderzusetzen, und mussten nicht nur vor Fachpublikum, also Studierenden der Medizin oder Wissenschaftlern, sprechen, sondern auch Vorträge vor einer breiteren Öffentlichkeit halten. Das hat mich wesentlich geprägt. Speckmann gehört zu den großen Lehrerpersönlichkeiten meines Lebens.
In ihrem „kleinen Buch vom Gehirn“ gelingt Ihnen das Kunststück, medizinischen Laien den Aufbau des Gehirns und den aktuellen Stand der modernen Gehirnforschung ganz ohne Fachbegriffe sehr anschaulich  zu erklären. Weshalb war Ihnen dies ein Anliegen?
In meiner Tätigkeit für die Hertie-Stiftung bin ich auf viele Leute getroffen, die keine Neurowissenschaftler sind und keinen Zugang zum Thema Gehirn haben. Meine Tätigkeit als  Geschäftsführer der Hertie-Stiftung wurde in Gesprächen zwar zur Kenntnis genommen, hat aber keine Nachfragen ausgelöst. Als ich dann hinzugefügte, ich sei auch Hirnforscher, wurde es für meine Gesprächspartner mit einem Mal sehr interessant: Viele baten mich, ihnen ein allgemeinverständlich geschriebenes Buch zu dem Thema zu empfehlen.
Das hat mich erstaunt. Denn ich hatte den Eindruck, dass fast jede Woche ein neues Buch zur Gehirnforschung auf den Markt kommt, und ich kannte selbst sehr gute populärwissenschaftliche Titel zu dem Thema. ‚Was hält kluge und gut ausgebildete Menschen davon ab, mehr über das Gehirn zu lernen?’, habe ich mich gefragt. Es sind wohl zwei Aspekte: Das eine ist die Art der Darstellung. Grafiken und wissenschaftliche Schaubilder erleichtern Lesern ohne naturwissenschaftliche Vorkenntnisse das Verständnis nicht, sondern erschweren es eher. In meinem Buch habe ich deshalb auf solche Abbildungen komplett verzichtet. Und das zweite sind die Fachbegriffe. Selbst wenn sie erklärt werden, muss der Leser sich ihre Bedeutung merken. Auch das hält sehr vom Verständnis ab. Als eine Erfahrung meines Buches würde ich mir wünschen, dass auch Experten anderer Fachgebiete solche Bücher versuchen. So würde ich selbst zum Beispiel gern ein Buch lesen, in dem mir als Laien die Zusammenhänge der Finanzwirtschaft ohne Fachbegriffe erklärt werden.
Warum ist es Ihnen so wichtig, neben Ihren Managementaufgaben bei der Hertie-Stiftung weiterhin zu forschen?
Forschung gehört für mich zur Lebensqualität, sie ist in der modernen Welt das letzte große Abenteuer. Als ich mich bei der Hertie-Stiftung um die Position bewarb, habe ich zur Bedingung gemacht, dass mir neben meiner Tätigkeit als Manager ein gewisses Zeitkontingent für meine Forschung zur Verfügung steht. Sonst passiert es in solchen Positionen leicht, dass man den „Stallgeruch“ verliert und mit der Zeit nicht mehr weiß, was eigentlich in der Forschung vor sich geht. Durch die begrenzte mir dafür zur Verfügung stehende Zeit bin ich gezwungen, mich noch stärker auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und ich hoffe, dass ich auch künftig hoch stehende Forschung werde betreiben können. Erst kürzlich sind Ergebnisse, die in Zusammenarbeit mit einer kanadischen Arbeitsgruppe entstanden, in einer Fachzeitschrift erschienen.*
Warum sind Stiftungen in Ergänzung zu anderen Drittmittelquellen so wichtig?
Bei der Förderung gibt es einen prinzipiellen Unterschied zwischen einer Einrichtung der öffentlichen Hand wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft und einer Stiftung. Eine Stiftung kann aussichtsreiche Projekte fördern, ohne dabei auf Gerechtigkeit oder Chancengleichheit zu achten. Die üblichen politischen Erwägungen spielen keine Rolle. Das macht uns als Stiftung viel beweglicher, die Entscheidungswege sind kürzer. Wenn bei uns ein Wissenschaftler einen Antrag auf Forschungsgelder gestellt hat, weiß er im Durchschnitt nach 39 Tagen, ob er jetzt loslegen kann oder nicht. Obwohl die Fördersumme, die die Hertie-Stiftung der Gehirnforschung zur Verfügung stellen kann, nur etwa zehn Prozent dessen beträgt, was die DFG dafür aufwendet, können wir mit dieser Beweglichkeit sinnvoll agieren.. Die Aufgabe von  Stiftungen sehe ich auch darin, Modelle dafür zu entwickeln, wie Forschung möglichst effizient gefördert werden kann.   
Wo wird die Gehirnforschung in zehn Jahren stehen? Werden neurologische Erkrankungen wie Parkinson, Demenz, Epilepsie oder Multiple Sklerose dann heilbar sein?
Lassen Sie mich das Beispiel der Multiplen Sklerose nehmen: Es hat im letzten Jahrzehnt keinen großen Durchbruch in der Therapie gegeben. Aber durch viele kleine Fortschritte ist die Lebensqualität der Patienten deutlich gesteigert worden und für sehr viele ein normales Leben möglich.
Die neurologischen Krankheiten fächern sich in viele unterschiedliche Formen auf, deshalb sind Wundertherapien, die mit einem Schlag alle Patienten dieser Erkrankung heilen, nicht zu erwarten. Aber ich bin optimistisch, dass wir in den nächsten Jahren die Krankheiten sehr viel besser therapieren können, so dass vielen Patienten ein Großteil ihrer Lebensqualität erhalten bleibt.  
Kommen Sie noch gelegentlich nach Münster?
Ja, aber leider viel zu selten. Persönlich habe ich eine sehr schöne Zeit in dieser Stadt verbracht; das prägt natürlich mein Bild von ihr. Und dass so viel Rad in Münster gefahren werden kann, sehe ich mit etwas Sehnsucht.

* Michael Madeja, Wibke Steffen, Ivana Mesic, Bojan Garic, and Boris S. Zhorov: Overlapping Binding Sites of Structurally Different Antiarrhythmics Flecainide and Propafenone in the Subunit Interface of Potassium Channel Kv2.1. In: Journal of. Biological Chemistry. 2010 285: 33898-33905. doi:10.1074/jbc.M110.159897

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