News

Familienplanung mit Hormonpräparat: Vor 50 Jahren kam die „Pille“ auf den Markt - wann folgt die für den Mann?

Vor 50 Jahren begann ihr Siegeszug: Die „Pille“ ist ein - bis heute viel diskutiertes - Erfolgsprodukt der medizinischen Forschung (Foto: tw)

Münster (mfm/tw) – Jubiläum für die Antibabypille: Vor 50 Jahren hat der Siegeszug der hormonellen Verhütung begonnen. Seitdem ist die „Pille“ in Deutschland zum meistgenutzten Verhütungsmittel geworden – mit der Folge, dass Kontrolle und Verantwortung meist bei der Frau bleiben. Ob und wann die „Pille für den Mann“ auf den Markt kommt, ist noch nicht abzusehen. Wörtlich ist der Begriff ohnehin nicht zu nehmen: Geforscht wird an einer Hormonspritze.
1957 kam Enovid auf den amerikanischen Markt, erst nur als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden. Zur Antibabypille wurde das Medikament 1960, nachdem die amerikanische Food and Drug Administration am 9. Mai dieses Jahres ihren Segen erteilt hatte. Ein Durchbruch der hormonellen Empfängnisverhütung – und der Anfang einer Erfolgsgeschichte: Rund 100 Millionen Frauen weltweit nehmen inzwischen die Pille. In Deutschland mussten die Frauen ein Jahr länger warten. 1961 brachte die Berliner Schering AG eine grüne Pille auf den Markt – Anovlar, 7 Millimeter im Durchmesser und 140 Milligramm schwer.
Das Grundprinzip ist seit den Anfängen gleich geblieben: Die Pille trickst mit einer Kombination zweier Klassen weiblicher Geschlechtshormone, Östrogenen und Gestagenen, den Monatszyklus aus, unterdrückt Eireifung und Eisprung. Moderne Präparate schaffen das mit deutlich weniger Wirkstoffen als ihre Vorgänger. Enovid enthielt noch 150 Mikrogramm des Östrogens Mestranol, Anovlar wirkte mit 50 Mikrogramm Ethinylestradiol. Moderne Mikropillen kommen mit 20 Mikrogramm davon aus und sind dabei verträglicher. Minipillen enthalten kein Östrogen – sie wirken durch Gestagene und versperren den Spermien ihren Weg zur Gebärmutter.
„Mit der flächendeckenden Verbreitung Mitte der 1960er Jahre hatte vor allem die katholische Kirche große Probleme“, dies zeigt eine Studie von Dr. Andrea Bührmann, Soziologieprofessorin an der Universität Münster. Die Kirche habe der Medizin und den Frauen vorgeworfen, damit zu sehr in den Schöpfungsakt einzugreifen. Von der Frauenbewegung und den 68ern wurde die Pille als Befreiung wahrgenommen – obwohl sie gerade zu Beginn eine wahre Hormonbombe war. Die Einstellung vieler Frauenrechtlerinnen änderte sich zum Ende der 1970er Jahre: Die Pille wurde kritisiert, nicht zuletzt wegen der Nebenwirkungen und der alleinigen Verantwortung der Frau. „Es wurde die Frage gestellt: Warum sollte sich die Frau mit Hormonen belasten, die damals noch viel stärkere Nebenwirkungen hatten?“, so Bührmann.
An den Universitäten Münster und Halle läuft seit 2009 eine Studie der Weltgesundheitsorganisation, die zur Gleichberechtigung beitragen könnte. „Die ‚Pille für den Mann‘ funktioniert, in vier oder fünf Jahren kann sie auf dem Markt sein“, erläutert Studienleiter Prof. Dr. Michael Zitzmann vom münsterschen Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (Männerkunde). Geforscht wird daran seit Jahrzehnten. Wenn die Pille kommt, kommt sie als Spritze, mit Testosteron und Gestagen. „Dem Körper wird eine Spermienproduktion vorgegaukelt“, so Zitzmann: „Drei Monate nach der ersten Spritze haben die Männer keine Spermien mehr, die Methode ist zuverlässiger als die klassische Pille und ähnlich sicher wie die Durchtrennung der Samenleiter.“
Alle acht Wochen muss nachgespritzt werden, nach dem Absetzen erholt sich die Spermienproduktion innerhalb einiger Wochen vollständig. Die teilnehmenden Paare – 80 in Deutschland – sind laut Zitzmann sehr zufrieden, Probleme gebe es nicht. „Ein britischer Journalist hat nach der Studienteilnahme ein Buch veröffentlicht und darin von starken Nebenwirkungen berichtet“, sagt Zitzmann – „Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen. Der Mann hat aber an einer Doppelblindstudie teilgenommen und weiß nicht, ob ihm der Wirkstoff tatsächlich verabreicht wurde. Die Symptome traten in der Wirkstoff- und in der Placebo-Gruppe gleich häufig auf. Das ist ein psychisches Problem.“
60 bis 80 Prozent der Männer wäre nach Umfragen zum Rollentausch bei der Verhütung bereit. Die Hälfte würde es tatsächlich tun, schätzt Zitzmann. „Bei den Studien und im privaten Bereich sagen mir viele Frauen, dass sie die Last der Verantwortung gern ihrem Partner überließen“, so der Mediziner – „andere wiederum würden die Verhütung nie aus der Hand geben“. Die Soziologin Bührmann merkt an: „Frauen, die sich darauf verlassen, leben risikoreich, weil sie die Folgen im Wortsinn austragen müssen.“ Andererseits ließe sich die Spritze alle acht Wochen leicht kontrollieren, das Risiko durch Nachlässigkeit ist gering. Die Pharmaindustrie, die ihre eigenen Forschungen zuletzt eingestellt hatte, zeigt laut Zitzmann jedenfalls wieder Interesse: „Die Substanzen sind ja längst auf dem Markt. Sie müssen von den Behörden nur noch als Verhütungsmittel freigegeben werden, dann könnte die Spritze bald auf den Markt kommen.“   Tobias Wesselmann

Folgendes könnte Sie auch interessieren: