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Wie überstehen Embryos eine Scheintod-Periode? MPI-Forscher Ivan Bedzhov erhält EU-Großförderung für die Klärung

Dr. Ivan Bedzhov. Links ein Maus-Embryo im Blastozystenstadium der Entwicklung: Die pluripotenten Zellen befinden sich im Inneren, umgeben von magentafarbenen Zellen (Fotos: MPI Münster)

Münster (mpi) - Ivan Bedzhov, Leiter der Forschungsgruppe "Embryonic Self-Organization" am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, erhält einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats. Sein Labor wird über einen Zeitraum von fünf Jahren zwei Millionen Euro erhalten, um den Prozess der Embryonenruhe zu untersuchen. Das Projekt zielt darauf ab, zu verstehen, wie der Säugetierembryo seine Lebensfähigkeit und sein Entwicklungspotenzial über längere Zeiträume in einem Zustand des Scheintodes bewahrt.

Schwangerschaft und die Aufzucht des Nachwuchses sind für Mütter sehr energieaufwändig. Interessanterweise können einige Säugetiere die Embryonalentwicklung während solcher Perioden, wie den kalten Wintermonaten, unterbrechen. Dieses Phänomen wurde erstmals Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckt, als Jäger beim Rehwild eine unerklärliche Diskrepanz zwischen dem Zeitpunkt der Paarung und dem Fortschreiten der Trächtigkeit feststellten. Da die Paarung im Sommer stattfindet, sollte man erwarteten, dass die Kitze im Winter zur Welt kommen. Stattdessen kommt die Embryonalentwicklung in einem sehr frühen Stadium – dem Blastozystenstadium - kurz vor der Einnistung für mehrere Monate zu Ruhe. Durch diese Verzögerung werden die Kitze erst im Mai oder Juni geboren, wodurch sich ihre Überlebenschancen verbessern.

Inzwischen konnte die embryonale Diapause bei mehr als 130 Säugetierarten festgestellt werden, wie Ottern, Robben, Fledermäusen, Opossums, Kängurus und auch der Hausmaus, dem bevorzugten Modellorganismus für die biomedizinische Forschung. Obwohl der Prozess der "normalen" (vorübergehenden) Embryogenese bei der Maus intensiv untersucht wurde, ist die embryonale Diapause immer noch ein äußerst rätselhafter Zustand. Wie der schlafende Embryo über längere Zeiträume in einem "Tiefschlaf" verharrt, ohne sein Entwicklungspotenzial zu beeinträchtigen, ist immer noch unklar. Das Verständnis der zugrundeliegenden zellulären Mechanismen zu verbessern, ist daher das Hauptziel des vom ERC finanzierten Projekts mit dem Akronym MORPHEUS (abgeleitet vom Namen des griechischen Gottes der Träume).

Das Projekt konzentriert sich auf die pluripotente Linie des frühen Embryos, die die Zellen enthält, die den Körper des Tieres bilden werden. Die Gruppe von Ivan Bedzhov hat herausgefunden, dass sich die Form und die Signalaktivität dieser Zellen während der Ruhephase des Embryos dynamisch umgestalten. Dies deutet darauf hin, dass die Diapause kein Stillstand ist, sondern ein dynamischer Prozess. Zudem wiesen Bedzhov und Co. nach, dass die Gewinnung embryonaler Stammzellen (ES) aus ruhenden Embryonen paradoxerweise effizienter ist als bei "normalen" Blastozysten. Durch den Einsatz modernster Technologien mit Einzelzellauflösung wird MORPHEUS dazu beitragen, die geheimnisvollen Mechanismen zu entschlüsseln, die die Lebensfähigkeit und das Entwicklungspotenzial der pluripotenten Zellen in einem Zustand des Scheintods erhalten.

Zusätzlich zu den grundlegenden Kenntnissen über die Embryogenese der Maus kann dieses Projekt die Wissenschaft voranbringen, indem es Einblicke liefert in die Embryonalentwicklung von stark gefährdeten Tierarten (z.B. Seelöwen) und von gefährdeten (z.B. Panda- und Eisbären), die die Diapause als Fortpflanzungsstrategie nutzen.

Darüber hinaus kann das Projekt die physiologischen Grundlagen der an der Aufrechterhaltung von ES-Zellen in vitro beteiligten Signalwege aufdecken. Diese Zellen stellen eine große Hoffnung für Zellersatztherapien dar, da sie eine unübertroffene Fähigkeit haben, sich in alle Zelltypen des Körpers zu differenzieren. Zuguterletzt könnte die Aufklärung der Mechanismen der embryonalen Diapause verborgene Parallelen zu anderen ruhenden Zelltypen wie adulten Stammzellen und ruhenden Krebszellen aufdecken und damit neue Wege für die Grundlagen- und angewandte Forschung eröffnen.

Ivan Bedzhov studierte Molekulare Biologie, Gentechnik und Zelltechnologie an der Universität Sofia in Bulgarien. Nach seiner Promotion in Freiburg und einer Zeit als Postdoktorand unter anderem in Cambridge übernahm er 2015 eine Emmy-Noether-Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster. Der jetzt an ihn vergebene ERC Consolidator Grant ist eine Förderlinie der Europäischen Union für exzellente Pionierforschung. Kriterium für die Bewilligung ist allein die wissenschaftliche Exzellenz. Bei der aktuellen Förderungsrunde wurden 2.652 Anträge eingereicht, von denen nur rund ein Zehntel erfolgreich war.