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Wenn das Gehirn außer Balance gerät: Forscher entdecken mögliche molekulare Mechanismen für Schizophrenie

Prof. Weiqi Zhang leitete den münsterschen Teil der jetzt publizierten Studie (Foto: privat)

Münster - Was für den Hochseilakt eines Artisten gilt, trifft auch auf das menschliche Gehirn zu: Die richtige Balance ist das A und O. Verliert die Signalübertragung zwischen den hemmenden und erregenden Nervenzellen im Gehirn die Balance, drohen gravierende Fehlfunktionen: Angsterkrankungen, Schizophrenie und andere neuropsychiatrische Krankheiten können die Folge sein. Die Forschungsgruppe um Professor Dr. Weiqi Zhang von der Universität Münster hat zusammen mit Hirnforschern aus Göttingen und anderen internationalen Kollegen hierzu eine wichtige Entdeckung gemacht: Die Wissenschaftler konnten die molekularen Mechanismen, welche für die Ausgewogenheit im Gehirn sehr wichtig sind, im Detail beschreiben. Von ihren Erkenntnissen, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Cell Reports“  veröffentlicht wurden, erwarten die Forscher auch neue Möglichkeiten für die Therapie.
Schizophrene Patienten sind häufig nicht in der Lage, zwischen der Realität und den eigenen Vorstellungen zu unterscheiden. Damit verbunden sind Veränderungen in der Wahrnehmung, im Denken und im Verhalten. Solche Krankheitserscheinungen sind einschneidend für das Leben der Patienten und ihrer Familien. Bisher geht die Fachwelt davon aus, dass das Krankheitsbild durch Störungen in der Kommunikation zwischen den Nervenzellen im Gehirn entsteht. Allerdings ist die genaue Ursache weitgehend unbekannt.
Die Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn erfolgt an deren Verbindungsstellen, den Synapsen. An diesen mikroskopisch kleinen Zellstrukturen treten sendende und empfangende Zellen miteinander in Kontakt. Zur Signalübertragung schüttet die elektrisch erregte „Senderzelle“ Botenstoffe - Fachbegriff: Neurotransmitter - aus, die sich an spezialisierte Rezeptorproteine auf der Oberfläche der Empfängerzelle binden und deren Erregung steuern. Das Gros der Synapsen im menschlichen Gehirn ist erregend. Das heißt: Hier löst die Informationsübertragung meist elektrische Entladungen auf Seiten der Empfängerzelle aus, so genannte Aktionspotentiale, mit deren Hilfe das Gehirn Informationen „weiterleitet“.
Zusätzlich wird das Netzwerk erregender Synapsen durch ein weitverzweigtes System hemmender Synapsen begleitet. Es kontrolliert die Erregbarkeit des Gehirns, stimmt Hirnbereiche aufeinander ab und beeinflusst maßgeblich die Informationsverarbeitung im Gehirn. Das Gehirn kann nur dann richtig funktionieren, wenn diese beiden Systeme, das erregende und das hemmende System, im richtigen Verhältnis zueinander stehen.
Hier setzen die Forschungsergebnisse der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Weiqi Zhang (Dr. Mingyue Zhang, Dr. Irina Trembak-Duff und Dr. Zenghui Teng), des Teams um Hirnforscher Dr. Markus Schwab vom Göttinger Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin sowie anderer internationaler Kollegen an: Die Wissenschaftler untersuchten einen Schlüsselmechanismus, der für das Balancehalten im Gehirn verantwortlich ist. "Unsere Arbeiten zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen den Proteinen Neuregulin1 und ErbB4 beim Balancehalten der verschiedenen Systeme eine kritische Rolle spielt", erklärt Prof. Zhang, der an der münsterschen Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie das Labor für Molekulare Psychiatrie leitet. "Neuregulin1 und ErbB4 sind jeweils Proteine an den beiden Enden der Synapse, deren Funktion ähnlich ist wie die eines Wasserhahns: Sie regulieren die Menge an Neurotransmitter, die der sendende Teil der Synapse an den empfangenden Teil verschickt. Damit können sie die richtige Dosierung beziehungsweise den Informationsfluss an einer solchen Synapse steuern".
Die Forscher fanden heraus, dass hierfür die richtige Mischung von Neuregulin1 und ErbB4 essentiell ist. Die Wissenschaftler konnten Mäuse genetisch so verändern, dass diesen die Fähigkeit zur Erzeugung von Neuregulin1 fehlt oder aber sie zu viel davon produzieren. "In beiden Fällen wird die Balance zwischen erregenden und hemmenden Synapsen fundamental gestört", so der Göttinger Hirnforscher Dr. Schwab. Hierdurch überwiegt die Funktion der hemmenden Synapsen in verschiedenen Hirnbereichen der Tiere; die Kommunikation zwischen diesen Gehirnbereichen wird verzögert und gestört.
Die Forschergruppe um Zhang und Schwab hat mit ihrer Arbeit nicht nur eine fundamentale Frage der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung geklärt. „Studien verschiedener Kollegen zeigen, dass eine genetisch verursachte Störung des von uns untersuchten Proteinnetzwerks beim Menschen zur Entstehung von Schizophrenie und anderen psychiatrischen Erkrankungen beitragen kann“, berichtet der Hirnforscher Zhang. Er ist wie seine Kollegen deshalb davon überzeugt, dass die neue Entdeckung von großer medizinischer Bedeutung sein wird. Sein Kollege Schwab ergänzt: "Der von uns beschriebene Mechanismus bestimmt, wie gut der Informationsfluss zwischen verschiedenen Gehirngebieten verläuft. Es ist daher möglich, dass eine Störung dieses Prozesses bei Schizophrenie eine Rolle spielt, und möglicherweise gilt das auch für andere Hirnerkrankungen“.
Die Forscher wollen sich deshalb nun der Frage widmen, wie die außer Kontrolle geratende Balance in der Kommunikation durch chemische Substanzen wieder ins Lot gebracht werden kann. Zudem wollen sie herausfinden, ob solche Stoffe für therapeutische Zwecke genutzt werden können.

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