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Sind künstliche Welten „schärfer als die Realität“? DGPPN-Nachwuchspreis für Uni-Medizinerin Dr. Swantje Notzon

Dr. Swantje Notzon mit DGPPN-Fachreferatsleiter Prof. Martin Heinze, der ihr den Förderpreis der Fachgesellschaft überreichte (Foto: DGPPN)

Berlin/Münster – Ein Abtauchen in künstliche Wirklichkeiten kann gewollt sein, zum Beispiel bei PC-Spielen. Oder aber es ist das Ergebnis einer psychischen Erkrankung. Was lässt sich aus solchen Realitätskonstruktionen über unser Wirklichkeitserleben lernen? Dieser Frage ging die münstersche Uni-Medizinerin Dr. Swantje Notzon in ihrer Studie „Schärfer als die Realität?“ nach. Für ihre Arbeit erhielt sie jetzt den diesjährigen „Förderpreis für Philosophie in der Psychiatrie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Die Auszeichnung, die die Fachgesellschaft gemeinsam mit der Stiftung für Seelische Gesundheit vergibt, ist mit 1.000 Euro dotiert. Die Übergabe erfolgte auf dem DGPPN-Kongress in Berlin. 
Dr. Swantje Notzon ist Ärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Münster. Ihr Beitrag behandelt Realitätskonstruktionen bei verschiedenen psychiatrischen Störungsbildern. Viele Menschen setzen sich heute künstlichen Wirklichkeiten aus, indem sie sich in Computerwelten bewegen. Bei psychischen Erkrankungen können jedoch Trugwahrheiten als wirklich eingeordnet werden – und umgekehrt tatsächliche Erlebnisse als unwirklich. Notzons Studie zeigt auf, dass das Wirklichkeitserleben bei Erkrankungen und in virtuellen Welten denselben Grundsätzen folgt und unser Gehirn seine Umgebung ständig auf ihren Realitätsgehalt prüft. Gefühls- und Wirklichkeitserleben beeinflussen sich gegenseitig.
Die Assistenzärztin, derzeit in der Weiterbildung zur Fachärztin für Psychiatrie, setzt sich mit der Rolle von Sinneswahrnehmungen auseinander, diskutiert die Möglichkeiten zur Erfassung und Beeinflussung von Wirklichkeitserleben und nähert sich der Frage, unter welchen Bedingungen dies süchtig machen kann. Dies erklärt einen Teil des Suchtpotentials von virtuellen Realitäten, insbesondere von Computerspielen im Netz, weshalb die 31-jährige einen wertvollen Beitrag leistet sowohl für die Psychiatrie als auch die Philosophie.
Notzons Schlussfolgerung: „Wirklichkeitserleben ist eine fundamentale und auf den ersten Blick banale menschliche Erfahrung. Deshalb läuft es Gefahr, durch die Beschäftigung mit eindrücklicheren psychischen Beschwerden in den Hintergrund gedrängt zu werden.“ Dabei, so Notzon weiter, verdient unser so genanntes ‚Realometer’ gerade im heutigen Zeitalter der multiplen virtuellen Wirklichkeiten Aufmerksamkeit: „Damit es sich nicht in die Irre führen lässt und uns weiter zu erkennen hilft, was wirklich und wichtig ist.“
Mit dem DGPPN-Preis für Philosophie in der Psychiatrie werden hervorragende wissenschaftliche Arbeiten im Grenzgebiet zwischen beiden Disziplinen ausgezeichnet. Notzons Studie bewertete die Fachjury als „aktuell relevant“ und „in ihrem Vorgehen innovativ“.

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