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Patienten, Prototypen und Patente: Berufsweg von Josef Boes spiegelt Geschichte der Forschungswerkstätten

Josef Boes bei der Arbeit in der Werkstatt, eine Aufnahme aus dem Jahr 2000 (Foto: privat)

„Ein großer Könner“: Nach 38 Berufsjahren im Dienst der Universitätsmedizin geht der Feinmechaniker-Meister in den Ruhestand

Münster (mfm/pc) – Das Handwerk von der Pike auf gelernt, Aufstieg, jahrzehntelang beim selben Arbeitgeber – Laufbahnen wie die von Josef Boes werden immer seltener. Genau 38 Jahre lang hat der Leiter der Forschungswerkstätten der Medizinischen Fakultät seine Kompetenz in den Dienst der Patienten gestellt. Jetzt geht er in den Ruhestand.
Ob ihn ein Operateur um einen Tipp bat, wie eine verkantete Schraube am besten herauszuziehen sei, ob eine Spezialprothese für einen Tumorpatienten angefertigt werden sollte – keine Anfrage erschien dem Feinmechanikermeister zu „kleinteilig“, keine zu schwierig, als dass er sich nicht unmittelbar an die Lösung begeben hätte. Da wundert es nicht, dass an Boes’ letztem Arbeitstag drangvolle Enge in der zentralen Forschungswerkstatt herrschte. Kollegen aus den unterschiedlichsten Bereichen von Fakultät und Uni-Klinik waren in die Domagkstraße 3 gekommen, um sich für die Zusammenarbeit zu bedanken. „Das hat mich sehr gefreut“, sagt der 63-Jährige - und fügt hinzu: „Leicht fällt mir der Abschied nicht.“
Rückblende: Josef Boes, 1948 geboren, wächst auf einem Hof in Ostbevern auf, doch Landwirt werden möchte er nicht. „Schon mein Vater hatte die Ackerflächen zum größten Teil verpachtet.“ Nach der Schule absolviert er in seinem Heimatort bei einer Gerätebau-Firma eine Ausbildung zum Feinmechaniker, steigt schnell zum Vorarbeiter auf und ist bereits damals ein kreativer Tüftler: So reicht er als Verbesserungsvorschlag ein überarbeitetes Konstruktionsprinzip für ein Handy-Steckerladegerät ein - die neue Version wird später millionenfach gefertigt.
Der junge Facharbeiter möchte die Meisterprüfung machen, doch bei seinem Arbeitgeber ist eine nebenberufliche Weiterbildung kaum möglich. Da entscheidet Boes sich für einen Wechsel und nimmt eine Stelle in der neu gegründeten Feinmechanischen Werkstatt der Orthopädischen Universitätsklinik in Münster an. „Dort konnte ich sofort mit dem Kurs beginnen“, betont er. Schon zwei Jahre später hat er den Meisterbrief in der Tasche und erhält Anfang 1976 an der Uni-Klinik einen neuen Vertrag als Feinmechaniker-Meister und Ausbilder.
Seit 1972 baute Prof. Jürgen Polster mit Prof. Paul Brinckmann in der Orthopädischen Klinik eine Arbeitsgruppe (das spätere Institut) für Experimentelle Biomechanik auf. Boes und sein Kollege Werner Ruck sind fasziniert von den anspruchsvollen Aufgaben: „’Den Patienten helfen, wo’s nur geht’, das war unser Prinzip“, erinnert sich Boes und zitiert einen weiteren Leitspruch seines Kollegen Ruck: „’Wir stellen das her, was es nicht zu kaufen gibt.’“ Gemeinsam mit den Wissenschaftlern, die als Physiker höchste Präzisionsanforderungen stellen, führen sie Materialtests durch, entwickeln neue Messapparate sowie Laborgeräte und arbeiten an der Verbesserung von Implantaten. „Josef Boes und Werner Ruck haben immer selbst mit überlegt, wie das jeweilige Problem am besten zu lösen wäre“, erinnert sich Prof. Brinckmann. „Nur mit Gesprächen auf Augenhöhe konnten wir die Dinge voranbringen. Umgekehrt habe ich dafür gesorgt, dass die Werkstatt alles bekam, was sie für ein optimales Arbeiten benötigte“.
Einen Einschnitt bringt das Jahr 1994: Das neue „Medizinprodukte-Gesetz“ (MPG) verschärft die rechtlichen Anforderungen an die Herstellung. Boes und Ruck erfüllen diese und erhalten eine Zulassung, damit wird die münstersche Feinmechanik-Werkstatt zur einzigen in Deutschland, die Sonder-Implantate nach dem MPG für Patienten anfertigen darf. Mehr als 200 Patienten der Orthopädie profitieren in den Folgejahren davon. Prototypen entstehen, die teils später von der Industrie weiterentwickelt werden. Edelstahl als Material für Prothesen wird von Titan abgelöst, es ist leichter und bruchfester. „Aber auch spröder und deshalb schwieriger zu verarbeiten“, so Prof. Brinckmann. „Boes und Ruck haben sich hierbei als wahre Könner erwiesen.“ Die individualisierte Medizin, die heutzutage im Gesundheitsbereich als Schlagwort die Runde macht – in der Uni-Orthopädie in Münster wurde sie bereits vor Jahrzehnten verwirklicht. „Möglich wurde dies auch durch das Interesse von Boes und Ruck, sich im Operationssaal ein eigenes Bild von den Erfordernissen zu machen und im Anschluss die Güte ihrer Arbeit dort auch zu überprüfen“, hebt Brinckmann als ehemaliger Vorgesetzter hervor.
Ebenso gern hat Josef Boes junge Menschen ausgebildet: Insgesamt 17 Lehrlinge führte er erfolgreich zur Abschlussprüfung. „Natürlich mussten die Kandidaten bestimmte formale Kriterien erfüllen, aber vor allem habe ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen: Die Chemie musste stimmen“, erklärt Boes sein Auswahlprinzip. Acht seiner Auszubildenden haben das Abitur nachgeholt und danach Maschinenbau studiert, zwei ihren Meister gemacht und die übrigen als hochqualifizierte Facharbeiter gute Stellen gefunden – einer von ihnen in den Forschungswerkstätten der Fakultät.
„Josef Boes ist ein sehr guter Pädagoge“, lobt Prof. Burkhard Drerup, der lange in der Experimentellen Biomechanik und der Technischen Orthopädie tätig war. „Das fing schon bei Kleinigkeiten an. Zum Beispiel zeigte er den Azubis ganz zu Beginn, wie sie sich beim Feilen richtig hinstellen.“ Den Werkstattleiter erlebte Drerup als sehr pflichtbewussten Menschen: „Wenn es nötig war, arbeitete er bis in den Abend hinein. Die einfachen Skizzen von Medizinern setzte er in präzise Anleitungen um, wie sie für die Arbeit an CNC-Fräsmaschinen benötigt werden. Das waren vielfach Tätigkeiten, wie sie sonst Ingenieure ausüben.“
Die Kompetenz der Werkstatt in der Orthopädie sprach sich bald herum; in den Folgejahren war sie immer öfter auch für die Chirurgische Klinik und andere Kliniken tätig. Schon jetzt eine „interdisziplinär“ arbeitende Einrichtung, wird diese das vollends, als 2005 eine Neustrukturierung und Zentralisierung des gesamten Werkstatt-Bereichs erfolgt. Statt neun kleiner Werkstätten gab es nun nur noch drei, mit Josef Boes als zentralem Leiter der Forschungswerkstätten. Das Dekanat der Medizinischen Fakultät übernahm die frühere Orthopädie-Gründung als Stabsstelle und öffnete sie als Serviceeinrichtung für sämtliche Institute und Arbeitsbereiche von Fakultät und Uni-Klinik. „Umstrukturierungen sind immer schwierig. Herr Boes hat es geschafft, die Leute zu halten und zu motivieren“, erinnert sich Prof. Brinckmann.
Konzentriert, ruhig, freundlich und zugewandt – so kennen die Kollegen Josef Boes. Als „geerdeten“ Westfalen, der um seine Person nicht viel Aufhebens macht. Mit Feinmechanik wird sich der Ruheständler auch weiterhin beschäftigen. In Ostbevern – wo er immer noch wohnt – wird er aber immer öfter Bohrer, Feile und Fräsmaschine auch gegen Spaten und Hacke eintauschen und in dem großen Garten der Familie arbeiten. „Ich möchte jetzt viel Zeit mit der Familie und den vier Enkelkindern verbringen, die mit auf dem Hof leben. Und meine Frau freut sich auf Pättkestouren mit den neu angeschafften Elektrofahrrädern.“

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