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Neben „Einsatzwagen“ auch „Fahrradstreifen“: Neuroimmunologen charakterisieren Multiple Sklerose genauer denn je

Zufriedene Gesichter bei den Autoren der Studie (v.l.n.r): David Schafflick (Doktorand), Priv.-Doz. Dr. Gerd Meyer zu Hörste und Maike Hartlehnert (Doktorandin) (Foto: Anna-Lena Börsch)

Münster (mfm/sk) – “Gesucht wird ein Fahrzeug.“ Mit einem Fahndungsplakat dieses Inhalts würde die Polizei wenig Erfolg haben. Nicht weit entfernt davon war die bislang die Situation von Neuroimmunologen, ging es um die Beschreibung der Zellen, die entzündliche Prozesse im zentralen Nervensystem auslösen und fördern: Zum einen sind diese Objekte der Erkenntnisbegierde rar, andererseits schwimmen sie in der Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark schützt. Die Zellen sind daher nur schwer zu entnehmen - mit der Folge, dass immer nur sehr wenig Material für Untersuchungen zur Verfügung steht. Neuroimmunologen der Universität Münster konnten nun zusammen mit Kollegen der University of California in Berkeley/USA die gesuchten Zellen näher beschreiben – und damit so etwas wie „Fahndungsfotos“ erstellen.

Möglich wurde der Fortschritt, mit dem das Team weltweit zu den Pionieren zählt, durch hochauflösende Analysen mittels Einzelzell-Transkriptomik. Diese stellt die Gesamtheit aller in einer Zelle vorliegenden Moleküle dar, die aus der Erbinformation in Bauanleitungen übersetzt werden. So verglichen die Wissenschaftler in einem Projekt des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs „Multiple Sklerose“ das Profil gesunder Menschen mit dem von Multiple-Sklerose-Patienten. Die kurz auch MS genannte Autoimmunerkrankung betrifft das Nervensystem, sie führt zu wiederkehrenden schubhaften Entzündungen von Gehirn und Rückenmark.

Es zeigte sich, dass MS Zellen im Blut kaum, im Nervenwasser aber auf vielfältige Weise verändert. „Das hat uns sehr überrascht”, erläutert Priv.-Doz. Dr. Gerd Meyer zu Hörste, Letztautor einer Studie, die jetzt im hochrangigen Fachblatt „Nature Communications“ erschien. Der Wissenschaftler greift zu einem Vergleich: „Wenn man sich die Immunzellen als Körperpolizei vorstellt, dann sind die Polizeiautos im Blut der Gesunden blau und bei MS-Patienten grün. Und im Nervenwasser der erkrankten Patienten finden sich neben Polizeiautos auch noch Motorradstreifen, Bullis und radelnde Polizeibeamte.“

Zusammen mit den Kollegen aus Berkeley entwickelten die Westfalen eine Analysemethode für so komplexe Daten - die „Cell Set Enrichment Analysis“ (CSEA) -, mit der sie bewiesen: Zwei Arten von Immunzellen im Liquor fördern die Entzündungsreaktion im Liquor, der Körperflüssigkeit in Gehirn und Rückenmark, besonders. „Im Tiermodell konnten wir bereits exakt sehen, wie das passiert”, zeigt sich Meyer zu Hörste begeistert von der Detailgenauigkeit der Methode. Da sie die einzelne Zelle analysiert, ist die Traskriptomik nicht nur präziser als alle anderen bisherigen Verfahren, sie ist auch breiter anwendbar: Das liegt daran, dass Zellen im Nervenwasser bei zahlreichen neurologischen Krankheiten eine zentrale Rolle spielen. Prof. Heinz Wiendl, Direktor der münsterschen Uniklinik für Neurologie und Mitautor der Studie, freut sich bereits auf weitere Forschungen: „Dank dieser Methode werden wir künftig nicht nur besser verstehen, wie MS-Behandlungen wirken. Wir werden auch sehen, wie der Liquor auf andere Gehirn-Erkrankungen reagiert.“

Pubmed-Link

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