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Mastzellen „fangen“ Neutrophile: Studie erlaubt neue Einblicke in die Funktionsweise des Immunsystems

Aufnahme eines Rasterelektronenmikroskops von dem Moment, in dem degranulierende Mastzellen (sepia) lebende Neutrophile (türkis) anlocken und beginnen, sie in sich aufzunehmen (Foto: M. Frank und Karoline Schulz/Unimedizin Rostock)

Freiburg/Münster (mpi) - Mastzellen sind Immunzellen und vor allem für ihre Rolle bei allergischen Reaktionen bekannt. Bei Kontakt mit Allergenen setzen sie Substanzen frei, die die typischen Allergiesymptome wie Gewebeschwellung und Entzündung verursachen. Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg und der Universität Münster hat nun eine verborgene Fähigkeit der Mastzellen entdeckt: Sie können eine andere Gruppe von Immunzellen – die sogenannten Neutrophilen – lebend in sich aufnehmen und nutzen. Diese Entdeckung wirft ein neues Licht auf die Funktionsweise unseres Immunsystems, insbesondere während allergischer Reaktionen.

Entzündungen sind die Reaktion des Körpers auf schädliche Reize. Sie äußern sich durch Symptome wie Hitze, Schmerz, Rötung, Schwellung und Funktionsverlust des betroffenen Gewebes. Im optimalen Zustand dient die Entzündung als Schutzmechanismus des Körpers, die die Ursache beseitigt und die Gewebereparatur einleitet. Allerdings kann eine übermäßige Entzündungsreaktion das Gegenteil bewirken und zu Gewebeschäden und Krankheiten führen. Im Zentrum des Entzündungsprozesses stehen verschiedene Arten von Immunzellen, die Teil der angeborenen Immunantwort sind und zusammenarbeiten. Je nach Art des schädlichen Reizes variiert die Zusammensetzung der beteiligten Immunzellen und beeinflusst das Ergebnis der Entzündungsreaktion.

Allergische Reaktionen werden durch Mastzellen in Gang gesetzt. Diese sind gewebeständige Zellen der angeborenen Immunantwort, die wesentlich für die Initiierung von Entzündungen sind. In den Mastzellen befinden sich unzählige Granula gefüllt mit entzündungsfördernden Substanzen, die bei Kontakt mit verschiedenen potenziell gefährlichen Umweltsignalen freigesetzt werden. Bei vielen Menschen reagieren Mastzellen auch auf scheinbar harmlose Umweltfaktoren, die dann als Allergene wirken und Allergien auslösen. Ob und wie Mastzellen mit anderen Immunzellen an Orten allergischer Reaktionen interagieren, war bisher weitgehend unerforscht.

Eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg unter der Leitung von Tim Lämmermann, der im Herbst 2023 als Direktor an das Institut für Medizinische Biochemie der Universität Münster gewechselt ist, hat nun eine verblüffende Entdeckung gemacht: Bei der Beobachtung von Immunzellen während einer allergischen Reaktion mithilfe spezieller Intravitalmikroskopie sahen die Forschenden in Tierversuchen an Mäusen, dass sich innerhalb der Mastzellen noch ein anderer Immunzelltyp befand: sogenannte Neutrophile – die schnellen Jäger des Immunsystems. „Wir konnten es kaum glauben: Lebende Neutrophile saßen innerhalb lebender Mastzellen. Dieses Phänomen war absolut nicht zu erwarten und wäre in Experimenten außerhalb eines lebenden Organismus wahrscheinlich gar nicht zu entdecken gewesen“, sagt Tim Lämmermann.

Neutrophile sind Zellen, die an der vordersten Frontlinie unseres Immunsystems stehen. Sie gehören zu den quirligsten Zellen der angeborenen Immunantwort, die sehr schnell und sehr allgemein auf mögliche Bedrohungen reagieren. Im gesunden Zustand zirkulieren sie im Blutkreislauf und können so die Blutgefäße an Orten, an denen sich eine Entzündung entwickelt, schnell verlassen. Sie sind perfekt ausgerüstet, um zum Beispiel Bakterien oder Pilze zu bekämpfen, indem sie Eindringlinge verschlingen, antimikrobielle Substanzen freisetzen oder netzartige Fallen, die „Neutrophil Extracellular Traps“, bilden. Zudem können Neutrophile miteinander kommunizieren und Schwärme bilden, in denen sie die Fähigkeiten vieler einzelnen Zellen bündeln, um das gesunde Gewebe zu schützen. Ihre Rolle bei Entzündungsreaktionen im Zusammenhang mit Allergien war bisher aber noch weitgehend unerforscht.

„Es war schnell klar, dass die Immunzellen im Doppelpack kein bloßer Zufall sind. Wir wollten also verstehen, wie genau Mastzellen ihre Kollegen einfingen und warum sie das tun“, erklärt Michael Mihlan, Erst- und Co-corresponding-Autor der Studie. Um den Prozess und die molekularen Details genau zu verstehen, replizierten die Forschenden in der Zellkultur, was sie zuvor im lebenden Gewebe beobachtet hatten. Auf diese Weise fanden sie heraus, dass die Mastzellen eine Chemikalie namens Leukotrien B4 freisetzen, die die Neutrophilen normalerweise selbst als Kommunikationssignal verwenden, um ihre Zellschwärme zu initiieren. Wie ein Magnet ziehen die Mastzellen mit dieser Substanz die Neutrophilen an. Sind die Neutrophile nah genug, nehmen die Mastzellen sie in eine Vakuole auf und bilden eine Zell-in-Zell-Struktur, die die Forschenden als „Mast Cell Intracellular Trap“ bezeichnen. „Es ist schon ironisch, dass Neutrophile, die Fallen bilden, um Mikroben bei Infektionen zu fangen, nun selbst von Mastzellen unter allergischen Bedingungen gefangen werden“, sagt Tim Lämmermann.

Mithilfe eines großen internationalen Teams konnten die Forschenden die Bildung der Fallen auch an menschlichen Proben nachweisen und das Schicksal der beiden beteiligten Immunzelltypen untersuchen. Sie stellten fest, dass die gefangenen Neutrophilen schließlich doch absterben und deren Überreste in den Mastzellen gespeichert werden. „Hier nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung. Mastzellen können das Material der Neutrophilen recyceln, um ihre eigene Funktion und ihren Stoffwechsel zu verbessern. So können Mastzellen die aufgenommenen Bestandteile der Neutrophilen zeitverzögert wieder freisetzen“, erklärt Michael Mihlan. Dieser Prozess, den die Wissenschaftler als Nexozytose bezeichnen, kann zusätzliche Immunreaktionen auslösen und dazu beitragen, Entzündungen und die Immunabwehr aufrechtzuerhalten.

„Unser bisheriges Verständnis über allergische Reaktionen und Entzündungen erhält durch dieses nun entdeckte Zusammenspiel von Mastzellen und Neutrophilen eine völlig neue Ebene. Es zeigt, dass Mastzellen Neutrophile nutzen können, um ihre eigenen Fähigkeiten zu verbessern – ein Aspekt, der Auswirkungen auf chronische allergische Zustände haben könnte, bei denen wiederholt Entzündungen auftreten“, sagt Tim Lämmermann. Die Forschenden haben bereits damit begonnen, dieses Zusammenspiel in entzündlichen Erkrankungen des Menschen, die durch Mastzellen vermittelt werden, weiter zu untersuchen. Ziel ist es, herauszufinden, ob die Entdeckung zu neuen Therapieansätzen bei Allergien und entzündlichen Erkrankungen führen könnte.

PubMed-Link zur Studie

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