Gegen den Leidensdruck: Anne Wolowski schaut als Zahnmedizinerin in Klinik, Forschung und Lehre genau hin
Münster (upm) - Die Zahnklinik an der Waldeyerstraße ist ein belebter und heller Ort – unter weißem Licht, an weißen Wänden vorbei und in ebenso weißen Kabinen bewegen sich lehrende wie lernende Zahnmedizinerinnen und -mediziner in weißen Kitteln, getragen von bequemem Schuhwerk, um Patientinnen und Patienten bestmöglich zu behandeln. Zum Fachpersonal in Weiß gehört auch Dr. Anne Wolowski, Professorin für Zahnmedizin mit den Schwerpunkten Prothetik und Funktion sowie Patienten mit unklaren Kiefer-Gesichts-Beschwerden. In ihrem Büro sitzend, nur wenige Meter von der Geschäftigkeit des Behandlungsareals, vermittelt die Zahnärztin während des Gesprächs etwas, nach dem sich vermutlich viele Menschen sehnen: große berufliche Zufriedenheit und Selbstgewissheit.
Schon früh wusste Anne Wolowski, was sie machen möchte und so, das ist zu spüren, beschreitet sie seit nunmehr 40 Jahren einen Weg, den sie als gut und passend und richtig empfindet. Anfang der 1980er, nach ihrer Kindheit und Jugend in Kleve und dem Abitur im Ruhrgebiet, entschied Anne Wolowski sich mehr für die Zahn- als gegen die Humanmedizin, die Kinder- und Jugendpsychiatrie oder die Architektur. „Obwohl ich zu den geburtenstarken Jahrgängen gehöre, konnte ich glücklicherweise nach meiner Bewerbung mein Wunschstudienfach am Wunschort studieren“, erklärt sie. Sie konnte nicht ahnen, wie weitreichend diese Entscheidung sein würde. „Ich hatte zu Beginn meines Medizinstudiums an der WWU nicht geplant, so lange in Münster zu bleiben. Doch irgendwann wurde daraus eine bewusste Entscheidung. Ich lehnte verlockende Angebote aus anderen Städten ab und blieb hier – in der Stadt mit dem so grünen Umland und der Zahnklinik“, sagt sie. Als sie diesen Bogen schlägt, von ihren Anfängen bis zu dem, was sie in beruflicher Hinsicht an einem kühlen Novembertag 2022 ist, wirkt Anne Wolowski sehr zufrieden.
An der Zahnmedizin reizt die Ärztin die Kombination aus Medizin, kreativem Denken und einem Handwerk, das die Natur nachempfindet. Schon vor dem Ende ihres Studiums 1988 interessierte sie sich für die Prothetik, also den teilweisen oder ganzen Zahnersatz. 1989 trat sie in genau diesem Fach eine Stelle an. Zuvor schrieb sie ihre Dissertation, allerdings in einem anderen Gebiet. „Ich promovierte in der medizinischen Soziologie mit einer Arbeit zu Formen, Funktionen und dem Wandel von Zahnpastawerbung“, erklärt Anne Wolowski. „Mir war es wichtig, etwas anderes, Nichtalltägliches zu machen, bei dem ich zeitlich flexibel bin.“
Vielfältigkeit mache die Prothetik aus, betont die Zahnärztin. „Wir stehen am Anfang und Ende einer Behandlungskette.“ Anne Wolowski ist jedoch nicht nur Expertin für Zahnersatz, sondern auch für Patienten mit unklaren Kiefer-Gesichts-Beschwerden. „Wenn wir feststellen, dass nach den Regeln der zahnmedizinischen Kunst keine Schmerzquelle ausfindig gemacht werden kann, ist es unsere Aufgabe, zu schauen, ob es andere Einflussfaktoren gibt, die einen oft extremen Leidensdruck der Betroffenen ausmachen.“ Den Patienten, die oft unzählige Zahnarztbesuche hinter sich, aber keine Erklärung für ihre gravierenden Einschränkungen haben, ist Anne Wolowski ein Anliegen, in dem sie unentwegt nach neuen Erkenntnissen strebt. „Inzwischen hat der Großteil der Zahnärzteschaft auf dem Schirm, dass psychosoziale Einflussfaktoren eine Rolle spielen können. Unser Alltag besteht oft daraus, die Patienten zu überzeugen, dass keine die Beschwerden erklärenden Befunde vorliegen, und ihnen den Weg zu anderen Disziplinen zu weisen, beispielsweise der Psychotherapie.“
Anne Wolowski hört und guckt bei ihren Patienten genau hin – dental wie menschlich. So scheint es auch kein Zufall zu sein, dass ihr Lieblingsgerät die Lupenbrille ist. „Ich liebe sie. Sie erleichtert mir die Arbeit, ich kann alles so ausleuchten, wie ich es brauche.“ Ein unverstellter Blick voller Licht und Präzision. Klarsicht und Genauigkeit braucht Anne Wolowski nicht nur als leitende Oberärztin, sondern auch als Dozentin. Als sie von der Lehre während der Corona-Pandemie spricht, ist spürbar, wie wichtig ihr dieser Teil ihrer Arbeit ist. Es sei eine große logistische Leistung aller Lehrenden in der Zahnklinik gewesen, die Kurse mit bis zu 60 Studierenden zu planen und durchzuführen, ohne dass es zu einem unvertretbaren Infektionsrisiko kommt. „In kürzester Zeit haben wir die komplette Lehre umgestellt und so trotz der Widrigkeiten und hohen Praxisanteile sichergestellt, dass die Studierenden kein Semester verlieren.“ Mit Mitgefühl fügt sie hinzu: „Die jungen Leute haben unter Corona sehr gelitten.“
Anne Wolowskis Arbeitstag ist aufgebaut wie ein Dreieck, bestehend aus Lehre, Klinik und Forschung mit jeweils wechselnden Anteilen. „Es ist eine Kunst, alles unter einen Hut zu bringen. Doch genau diese Abwechslung meines Berufs schätze ich sehr“, führt sie aus. Die Zeit, die sie in ihre Arbeit investiert, spiele für sie persönlich eine untergeordnete Rolle, da ihr der Beruf viel Freude bereite. Das liege auch an der Arbeit mit dem und am Patienten. „Ohne das geht es nicht, das macht schon Spaß. Immerhin bin ich zuerst Zahnärztin. Außerdem ermöglichen mir die Behandlungen, viele Entwicklungen in meinem Fach mitzuerleben.“
Wie wichtig es ihr ist, dabei zu sein und mitzumischen, verdeutlichen auch zwei Ehrenämter, die sie trotz der vielen Anforderungen in Münster ausübt: Sie ist Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien. „Ich habe es als Ehre empfunden, gefragt und gewählt zu werden. Mir ist es wichtig, mich dort einzubringen, wo ich etwas bewegen und gestalten kann.“ Wenn sie das nicht an der Universität, dem Universitätsklinikum und anderen Einrichtungen macht, fotografiert die Zahnärztin gerne, am liebsten Landschaften, mag die Bewegung in der Natur und stärkt Körper und Geist, indem sie kocht und backt.
Autor: André Bednarz (Unizeitung wissen|leben Nr. 8/2022)
Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.