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Die Betten, die die Welt bedeuten: Eine Theaterpädagogin bildet Simulationspatienten für das Studienhospital aus

Das gelbe Puder, das Theaterpädagogin Julia Browne aufträgt, macht Michaels simulierte Leberzir-rhose für die Studierenden noch realistischer (Foto: WWU / P. Leßmann)

Münster - Julia Browne und Johanna Kollet empfangen an einem frischen Januartag Gruppen junger Medizinstudierender, die innerhalb ihres „TX-Moduls“ (Transplantationsmedizin) zu Gast im Studienhospital am Malmedyweg sind. Mit dem Leiter Dr. Jan Siebenbrock bilden die Mitarbeiterinnen die Theaterpädagogik des Medicampus und sind dafür verantwortlich, das Studienhospital mit seinen Behandlungsräumen und Praxen zur Bühne für kleine, mitunter dramatische Stücke zu machen. Dafür bringen sie von ihnen ausgebildete Simulationspatienten mit den Medizinstudenten zusammen. Jene transportieren unter Anleitung schauspielerisch die Inhalte der Lehrbeauftragten der Fakultät. „Mein Beruf ist die Vermittlung auf Basis von Schauspielmethoden“, erklärt die 27-jährige Julia Browne.

Heute gehört zu den Methoden auch die Maskenbildnerei. Julia Browne schminkt dafür Michael, 63 Jahre alt, in der Freizeit schauspielender Sänger. Für seinen heutigen Einsatz trägt Julia Browne gelbes Puder auf Michaels Gesicht und Hände auf – der Schauspieler mimt einen Patienten mit Leberzirrhose; die gelb gefärbte Haut ist dabei eines der auffälligsten Symptome.

Die Simulation beginnt, als Clara Eisenhardt unter Beobachtung von vier Studierenden und einer Tutorin, die aus dem angrenzenden Raum durch eine verspiegelte Scheibe ins Behandlungszimmer blicken, die Bühne betritt. Die 22-jährige Medizinstudentin im siebten Fachsemester muss Michael mitteilen, dass er eine Spenderleber benötigt. Zunächst erkundigt sie sich nach dem Zustand des Patienten. Es gehe ihm „beschissen“. Die Studentin ist einfühlsam, wirkt professionell, schildert, welche Untersuchungen bereits durchgeführt wurden. Anschließend kommt die große Herausforderung: „Ihre Leber wird sich nicht mehr erholen“, berichtet sie sachlich, aber nicht kühl; für Michaels Überleben sei „eine Lebertransplantation die einzige Lösung“. Der Simulationspatient zeigt sich verunsichert, überfordert, doch nicht panisch. Der schwierigste Teil für die Studentin ist geschafft, Ärztin und Patient besprechen Fragen und vereinbaren ein weiteres Gespräch.

Zwar sei es immer eine Herausforderung, solch schwierige Nachrichten zu überbringen, doch finde sie „schnell in den klinischen Kontext hinein, da die Simulationspatienten ihre Rolle sehr echt verkörpern“, erklärt Clara Eisenhardt. Sie ist froh über das Angebot: „Bei der Gesprächssimulation ist das Fachliche meines Erachtens zweitrangig und es geht vor allem darum, ein empathisches Gespräch zu führen und so auf die Kommunikation mit Patienten im Krankenhaus vorbereitet zu werden.“ Das unterstreicht auch Julia Browne: „Ein großer Teil der Praxis in der Medizin ist die Kommunikation mit Menschen. Wir bieten den Studierenden einen geschützten Rahmen, in dem sie sich erproben und entwickeln können.“

Zwei Tage zuvor: Julia Browne, Johanna Kollet sowie Michael Jahnig und 14 weitere Simulationspatienten sitzen mit Doro Lamann, Transplantations- und Organspendebeauftragte des UKM, vor ihren Rechnern. Per Zoom führen sie ein Rollentraining durch, besprechen die zu simulierenden Fälle der kommenden Tage, klären Fragen, sprechen über ihre selbst geschriebenen Biografien, führen ihre geplanten Ansätze aus. „Die Atmosphäre unter den Schauspielern ist einzigartig gut“, erklärt Michael. Das gleiche gelte für das Klima und die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen. „Es macht mich stolz, Mitglied dieses Teams zu sein.“ Auch weil er etwas geben könne. „An uns Pseudopatienten können die Studierenden sich ausprobieren und vorfühlen, wie es im echten Leben ist“, betont er. Zum Ensemble des Studienhospitals und der angrenzenden „Limette“ gehören derzeit 144 Simulationspatienten im Alter von 11 bis 79 Jahren, die auf Honorarbasis angestellt sind.

Im Gegensatz zum Theater jedoch wird keine Publikumsaufführung inszeniert, sondern es werden Lernsettings für Medizinstudierende kreiert. Dabei ist es der Anspruch, die (spätere) Arbeitsrealität der Studierenden im geschützten Raum möglichst exakt zu simulieren: „Der hohe Grad der Realität sorgt dafür, dass die Studierenden am intensivsten lernen“, schildert Julia Browne. Während die Simulationspatienten dafür fiktive Rollen spielen, gehen die angehenden Mediziner ohne Rollenschutz in die Settings. „Für sie ist es echt, sie bringen nur sich mit. Sie sind sie selbst.“ Sie stehen mit einem Bein in der Realität ihres späteren Berufes, in denen es keine durchsichtigen Spiegel, kein Publikum, keine ausgedachten Symptome gibt, sondern echte Patienten mit echten Beschwerden und Diagnosen. Für die angehenden Ärztinnen und Ärzte wird der Aufwand seit dem Wintersemester 2007/08 betrieben. 17 Module aus der Human- und Zahnmedizin werden vom Simulationspatienten-Programm begleitet: von der Allgemeinmedizin über die Dermatologie und Psychiatrie bis zur Kardiologie. „Keine andere Medizinische Fakultät in Deutschland bietet den Studierenden so viele Simulationsmöglichkeiten wie die der WWU“, hebt Julia Browne hervor. Um das weiterhin zu ermöglichen, freuen sich die Theaterpädagogen stets über Bewerber für ihr Simulationspatienten-Programm.   Andre Bednarz (wissen/leben 1/2022)