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Den “Mörder“ merkt man sich schneller: WWU-Psychologen untersuchen Einfluss negativer Infos auf Gesichtswahrnehmung

Die Forscher des Instituts für Medizinische Psychologie und Systemneurowissenschaften unter Leitung von Prof. Thomas Straube (2. v.r.) untersuchten in einer Studie, welche Auswirkungen negative Informationen auf unsere Gesichterverarbeitung haben (v.l.: Dr. Sebastian Schindler, Robert Moeck, Claudia Krasowski, Dr. Maximilian Bruchmann) (Foto: WWU/L. Jeremies)

Münster (mfm/lt) – Der Augenblick ist flüchtig, kaum mehr als der Bruchteil einer Sekunde – doch ein unangenehmes Gefühl bleibt. Wir halten inne, drehen uns um, mit suchendem Blick, betrachten die Passanten, überzeugt, dass uns gerade ein bekanntes Gesicht „über den Weg gelaufen“ ist. Menschen verarbeiten Gesichter innerhalb wenigen Zehntelsekunden. Unser Gehirn ordnet das Gegenüber dabei in verschiedene Kategorien ein: Kennen wir diese Person? Oder – könnte sie uns gefährlich werden? Ein Forschungsteam der Universität Münster (WWU) hat in einer Studie untersucht, wie negative Informationen über eine Person unsere Verarbeitung von Gesichtern beeinflussen. Ergebnis: „Mörder“ bleiben besser hängen als Durchschnittstypen, selbst bei Ablenkung

Reize, egal welcher Art, werden im Gehirn verarbeitet und sind als elektrische Impulse messbar. Analysierbar werden sie durch die Aufzeichnung eines Ereigniskorrelierten Potentials (EKP). Das sind spezifische Wellenformen in einem Elektroenzephalogramm (EEG), einer grafischen Darstellung, die die elektrische Aktivität des menschlichen Gehirns aufzeichnet. Ein EKP besteht aus mehreren positiven oder negativen Ablenkungen, sogenannten Komponenten. Befasst sich das Gehirn mit Gesichtern, tritt bereits nach etwa 170 Millisekunden die Komponente N170 auf. Neurowissenschaftler wissen: Die Größe dieser Komponente wird unter anderem dadurch beeinflusst, welche Bedeutung ein Gesicht für jemanden hat.

Bei der Studie am Institut für Medizinische Psychologie und Systemneurowissenschaften der WWU, die jetzt in der Fachzeitschrift „Psychological Science“ publiziert wurde, bekamen 40 Versuchspersonen zwei Zeitungsartikel vorgelegt, bebildert mit jeweils vier Gesichtern von Männern. Optisch waren diese kaum auseinanderzuhalten, einen entscheidenden Unterschied lieferten aber die Berichte: Der eine Artikel beschrieb die Abgebildeten als Teilnehmer einer Feuerwehrübung. „Ein Thema, wie man es ständig unter ‚Vermischtes‘ in der Lokalpresse liest – oder besser: überliest“, erläutert Dr. Sebastian Schindler. Ebenso wie Dr. Maximilian Bruchmann ist er Co-Autor der Studie und Mitglied im Team von Institutsdirektor Prof. Thomas Straube. „Der andere Artikel beschrieb die grausige Vergewaltigung zweier junger Frauen sowie deren Ermordung, wobei die Gezeigten als Täter tituliert werden.“ Den Versuchspersonen wurden nach Lektüre Arten von Unterscheidungsaufgaben gestellt, die sich nur mit Ja oder Nein beantworten lassen. Jedes Mal wurden alle Gesichter für 100 Millisekunden eingeblendet. „Bei der ersten Frage sollten die Probanden ausdrücklich nicht auf die Gesichter achten. Die beiden folgenden bezogen sich explizit auf diese“, so Bruchmann.

Das Ergebnis: Gesichter, die mit negativen Informationen verknüpft werden, zeigen eine andere neuronale Signatur auf als solche, die mit neutralen verbunden sind. Interessanterweise zeigt sich sogar unter Ablenkung ein größerer N170-Ausschlag beim Zeigen der angeblichen Verbrecher. „Spannend ist auch, dass die Hirnaktivität bei den ‚Straftätern‘ auf eine höhere Aufmerksamkeit hindeutet“, beschreibt Dr. Schindler. Wieso, kann er bis zu vertiefenden Studien nur vermuten: „Gut möglich, dass das ein Schutzmechanismus unseres Gehirns ist. Es könnte sich um Warnsignale handeln, die mir sagen: Den hast du schon mal irgendwo gesehen, der bedeutet nichts Gutes.“

Die Ergebnisse der münsterschen Forscher sind eine wichtige Basis für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich künftig mit ereigniskorrelierten Potenzialen befassen wollen. Sie deuten auf ein systemisches Muster emotionaler Sensibilität bei Aufmerksamkeitsaufgaben hin, die miteinander konkurrieren – dabei hat Negatives „Vorfahrt“.

PubMed-Link zur Studie