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Absolut Sinn-Voll: Das Akustiklabor in der HNO-Klinik ist der leiseste Raum der Universität Münster

Nicht nur die Optik des Akustiklabors ist bizarr – wer den Raum betritt (in dem hier Prof. Markus Junghöfer sitzt), beginnt wegen der fehlenden Reflexion des Schalls eigene Geräusche wie einen Tinnitus zu entwickeln (Foto: WWU / P. Leßmann)

Labor-Ingenieur Andreas Wollbrink zeigt, wie im Akustiklabor mit einem EEG gearbeitet wird (Foto: WWU/P. Leßmann)

Münster (sp) - Wie klingt die Universität Münster? Bei dieser Frage werden die meisten Leserinnen und Leser vermutlich als erstes an das Glockenspiel des Schlosses denken, das jeden Tag pünktlich um 8, 12 und 18 Uhr läutet. Doch die Uni kann auch still sein - völlig still. Diese Geräuschlosigkeit verbirgt sich in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Universitätsklinikums Münster. Hier werden nicht nur Patientinnen und Patienten mit Hörschäden behandelt; auch verschiedene Arbeitsgruppen vom Institut für Biomagnetismus und Biosignalanalyse forschen in dem Gebäude am Kardinal-von-Galen-Ring. Für ihre Studien nutzen die Neurowissenschaftler unter anderem den leisesten Raum der Universität: das Akustiklabor.

Beim Betreten erwartet den Besucher ein bizarrer Anblick. Wände und Decken sind mit symmetrisch angeordneten, stoffüberzogenen Schaumstoffkeilen ausgekleidet – kein Zentimeter wurde ausgespart. Bewegt man sich durch den Raum, fühlt es sich an, als würde man über ein Trampolin laufen, denn der Boden ist kein Boden, sondern eine Art schwingendes, mit Stoff durchzogenes Netz. Darunter geht es fünf Meter in die Tiefe. Auch hier ist alles mit Akustikkeilen bestückt. „Wir stehen jetzt genau in der Mitte des Raumes“, erklärt einer der Arbeitsgruppenleiter des Instituts, Prof. Markus Junghöfer. „Der Raum geht fünf Meter in die Höhe und fünf Meter in die Tiefe. Genau in der Mitte ist die Schallabschwächung am besten.“

Der Raum sieht nicht nur merkwürdig aus, er hat auch einen eigenwilligen, einzigartigen „Sound“. Durch die spezielle Architektur und die sogenannten Absorber wird der Schall geschluckt. Jeder Besucher hört zwar seine Stimme, aber keinerlei Reflexionen. Ein seltsames, etwas bedrückendes Gefühl – so, als sei man von einer Sekunde auf die nächste schwerhörig geworden. Weil von außen keine Geräusche eindringen und im Inneren des Raumes kein Schall reflektiert wird, beginnt das Gehirn nach einer Weile, eigene Geräusche zu entwickeln. Einige hören ihren eigenen Herzschlag, andere entwickeln einen kurzzeitigen Tinnitus. „Wenn wir völliger Stille ausgesetzt sind, werden die Neuronen im Hörsystem nicht mehr gehemmt und können selbst aktiv werden. Das kann zu einem vorübergehenden Phantomgeräusch führen“, beschreibt Markus Junghöfer den Mechanismus hinter dem Phänomen.

Gebaut wurde der Raum im Jahr 1978. „Das Akustiklabor stand damals im Zentrum der Planungen. Es wurde erst das Labor und dann das Gebäude drumherum errichtet“, erzählt Labor-Ingenieur Andreas Wollbrink, der die Technik für die Forschungsprojekte vor Ort betreut. „Für die ideale Akustik wurde ein dicker Betonboden gegossen, auf dem sich Federn befinden, sodass es möglichst wenig Schwingungen gibt.“

Damals gehörte das Akustiklabor zum Institut für experimentelle Audiologie. Die Experten nutzten es für Hörexperimente, aber auch für arbeitsrechtliche Gutachten. „Wenn jemand bei seiner Arbeit einen Hörschaden erlitten hat, wurde das hier überprüft“, blickt Andreas Wollbrink zurück. „Im Labor hörte die Person Töne in unterschiedlichen Lautstärken. Gleichzeitig hat man mit einem Elektroenzephalogramm – auch EEG genannt – die Hirnaktivität gemessen. Auf diese Weise ließ sich objektiv feststellen, ob und wie stark das Hörvermögen eingeschränkt war. Auch viele Kleinkinder und Säuglinge, die noch nicht sprechen konnten, aber einen Verdacht auf einen Hörschaden hatten, untersuchten die Wissenschaftler in dem Labor.“

Heute führt zum Beispiel die Arbeitsgruppe von Markus Junghöfer Studien durch, mit denen sie den Zusammenhang von Tönen oder Musik und der Verarbeitung im Gehirn untersucht. „Es gibt Musik, die uns zum Weinen bringt, Töne, die uns alarmieren und Stimmen, die uns beruhigen. Unsere Arbeitsgruppe will herausfinden, wie bestimmte Geräusche Emotionen erzeugen und wie unser Gehirn diese verarbeitet“, berichtet er. Für die Untersuchungen nutzen die Wissenschaftler in der Regel ein EEG-Gerät. Die Bedingungen im Akustiklabor seien perfekt, erläutert Andreas Wollbrink. Überall anders gäbe es Interferenzen – beispielsweise durch die Deckenlampe oder Geräusche, die von außen ins Gebäude eindringen. Diese führten dazu, dass die Elektroden, die am Kopf angebracht werden und die Aktivität des Gehirns messen, gestört werden. Im Akustiklabor seien diese Störungen kaum vorhanden.

So interessant der Besuch im leisesten Raum der Uni auch ist – verlässt man ihn wieder, stellt sich unwillkürlich ein Gefühl von Erleichterung ein. Die Orientierung fällt leichter, der eingebildete Tinnitus im Ohr verschwindet und der eigene Herzschlag weicht langsam den Umgebungsgeräuschen – zum Beispiel denen des Glockenspiels.  Sophie Pieper (Unizeitung wissen|leben Nr. 2/2023)