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Schulterschluss von Wissenschaft und Leidenschaft: Kristian Schneider treibt (der) Sport

Gelungener Einstand: Bei Schneiders erstem Einsatz als Mannschaftsarzt von Preußen Münster durfte die Schulter nicht fehlen (Foto: Sebastian Sanders/Preußen Münster)

Kristian Schneider und sein Lieblingsgelenk: die Schulter (Foto: Julian Gülker)

Zur Roadshow in Münster-Berg-Fidel aus Anlass von "100 Jahre Universitätsmedizin Münster" brachte Prof. Kristian Schneider einige "seiner" Preußen-Spieler mit (Foto: Uni MS/E. Wibberg)

Münster (mfm/jg) - Welches Kind kennt das nicht? Sich voll Vorfreude die Fußballschuhe schnüren oder gebannt am Fernseher kleben und denken: Profi sein, das wär‘s doch. Prof. Kristian Schneider ist einer. Im weißen Kittel sitzt der 36-jährige Oberarzt der münsterschen Uniklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie auf der Krankenliege, hält ein Skelett-Modell in den Händen und erklärt mit ruhiger Stimme, was es mit seinem Promotionsthema, der Schultereckgelenkssprengung, auf sich hat. „Das Gelenk verbindet Schlüsselbein mit Schulterdach, einem Teil des Schulterblatts“, sagt er, deutet zielsicher auf die betreffende Stelle. „Wenn man beim Radfahren oder Fußball mit angelegtem Arm stürzt, kann es sein, dass durch den Druck das feine Gelenk platzt“, so der Mediziner, dessen Karriere an „seiner“ jetzigen Uni begann.

Die Szene vereint viel von dem, was Schneider ausmacht: die Wissenschaft, die Schulter und vor allem: den Sport. Denn bei all der Leidenschaft fürs Fachliche, die Schneider ausstrahlt – die Augen leuchten ihm erst, wenn er von seinem Herzensthema erzählt, zum Beispiel von seinem ersten Einsatz als Mannschaftsarzt von Preußen Münster. „Beim Heimspiel gegen Bocholt waren von allen Ärzten ausgerechnet nur die Physiotherapeutin und ich da. Natürlich war ich nervös. Um die 60. Minute ging dann ein Spieler zu Boden – als wir aufs Feld rannten und er sagte, die Schulter ist raus, dachte ich erst, das sei ein Witz.“

Die Situation hat nämlich eine Vorgeschichte. Beim Abschlusstraining hatte sich Schneider der Mannschaft mit dem Satz vorgestellt, das Schultergelenk sei sein Lieblingsgelenk – „die haben sich da natürlich gedacht: Was ist das denn für ein Typ?“, schmunzelt er heute. Dass der Orthopäde die Schulter auf dem Platz aber wieder einrenken, Preußen das zweite Tor schießen und das Spiel schließlich gewinnen konnte, machte seinen Einstand zu einem seiner persönlichen Lieblingsmomente. 

Doch nicht nur der Sport der „elf Freunde“ hat es dem gebürtigen Oberhausener angetan – eine besondere Beziehung hat er auch zum „Achter“: 2018 begann er, das U-19-Ruder-Nationalteam im Trainingslager und auf Turnieren zu betreuen; mittlerweile hat er sich zur A-Mannschaft des DRV (Deutscher Ruderverband) „hochgearztet“. Worauf kommt es bei der Arbeit mit Sportlern auf diesem Niveau an? „Die Entscheidung muss extrem gut abgewogen sein, sowohl im Hinblick auf den Heilungsprozess als auch auf die Langfristigkeit. Es bringt wenig, eine Verletzung kurzfristig zu heilen, aber einen mittelfristigen Schaden zu riskieren“, so Schneider. Andererseits sei es in manchen Fällen wichtig, auch nichtmedizinische Faktoren zu beachten: „Wenn ein Sportler wegen einer Verletzung einen Karrierehöhepunkt verpassen könnte, muss man die Situation anders bewerten – der psychische Schaden kann höher sein als der körperliche.“ 

Um sich in den Kopf und den Körper eines Sportlers einzufühlen, sollte man daher selbst Sportler sein. Nicht zufällig hat der Facharzt in seiner Jugend intensiv gerudert und Fußball gespielt, auch in einer münsterschen Uni-Mannschaft. Trotz dieser Leidenschaft habe er zum Glück früh erkannt, dass es für eine Sportlerkarriere nicht reicht: „Beim Rudern war ich viel zu untalentiert und auf dem Platz hatte ich mehr Gelbe Karten als Torbeteiligungen“, schaut er zurück und grinst auf seine unverkrampft „ruhrpöttische“ Art. Den Traum von der Profi-Karriere hat er als Junge aber natürlich auch gehabt – und kann ihn nun auf seine eigene Weise erleben.

Die Wahl des Studienortes hatte für Schneider hingegen ganz pragmatische Gründe, vor allem den der Erreichbarkeit. In seinem Studierendenwohnheim in der Bismarckallee geriet er aber sofort in eine „Sportler-WG“; der Aasee war zudem der ideale Ort, um zwischen den Lerneinheiten eine Runde zu drehen. Sein Lieblingsort in Münster hat aber wenig „Idyllisches“ an sich – die Atmosphäre und Betriebsamkeit der Hammer Straße haben ihn immer an Oberhausen erinnert. 

Im Studium selbst war Schneider standesgemäß von Anfang an der Orthopädie verbunden, legte dort sämtliche Famulaturen ab. Dass er nach eigener Aussage in dieser Zeit niemand war, der häufig über die Stränge geschlagen hat, lag – man ahnt es – erneut am Sport. „Am Wochenende bin ich zum Rudern immer nach Mülheim an der Ruhr gefahren. Die Organisation war mein ganzes Studium hindurch wichtig, weil das Training sehr zeitaufwändig ist. Und sobald einer fehlt oder zu spät ist, kann das ganze Boot nicht fahren.“ Der Oberarzt ist also nicht nur Sportler, er ist auch ein Teamplayer – und das bis heute. „Mir ist wichtig, dass die Sportler eine niedrige Hemmschwelle haben, dass sie auch mit Problemen zu mir zu kommen, die sie vielleicht nicht jedem zeigen. Und auch für den Ärztestab, das ganze Team drumherum gilt: Wir sind eine Mannschaft. Sobald einer dazwischengeht und die Konkurrenz sucht, funktioniert das nicht mehr.“

Seine wissenschaftliche Tätigkeit vernachlässigt der im Jahr 2025 außerplanmäßigen Professor ernannte Mediziner dabei nicht. Mittlerweile betreut er die dritte Doktorarbeit zur Schulterluxation – der vollständigen Auskugelung des Schultergelenks – in der Fußball-Bundesliga. Eine untersucht etwa die Performance nach den Verletzungen; Schneiders Verdachtshypothese, dass die Leistung eines Spielers sich verschlechtert, er weniger Zweikämpfe führt und weniger Spielzeit bekommt, konnte sich erfreulicherweise nicht bestätigen. 

Es ist also alles da – die Wissenschaft, die Schulter, der Sport. Was wünscht sich jemand für die Zukunft, der seinen Traum schon lebt? „Mit Preußen Münster möchte ich noch weitere sportliche Höhenflüge erleben. Die ganze Saison mitzufiebern, die Entwicklung der Mannschaft zu sehen und am Ende zwei Jahre in Folge mit dem Aufstieg belohnt zu werden, das war schon top. Das neue Stadion, gepaart mit dem ruhigen und professionellen Umfeld kann ein weiterer Katalysator sein. Aber auch mit dem Deutschlandachter möchte ich wieder in die Erfolgsspur zurückkehren“, schaut Schneider nach vorn. Die Antwort ist also ganz einfach: Er wünscht sich, ihn weiterzuleben, den Traum vom Profi-Dasein.

Text: Julian Gülker

(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „medAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von medAlum.)

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