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Honig für die „Medienmeute“: Vor zehn Jahren identifizierte Prof. Helge Karch den Erreger des EHEC-Ausbruchs

Prof. Helge Karch 2013 im heimischen Billerbeck nahe seinen Bienenstöcken (Foto: Benjamin Ehmke)

Prof. Helge Karch 2013 im Labor (Foto: W. Gerharz)

EHEC-Erklärer: Prof. Helge Karch (2.v.r.) am 31.05.2011 in der Pressekonferenz anlässlich der Entwicklung des Schnelltestes. Links im Bild: sein damaliger Mitstreiter Alexander Mellmann, der 2018 seine Nachfolge als Institutsdirektor antrat (Foto: M. Thomas)

Selber Raum, selbe Zeit, andere Perspektive: Medienauflauf bei der EHEC-Pressekonferenz (Foto: M. Thomas)

Münster (mfm/mk-tb) – Als im Frühjahr 2011 eine rätselhafte Epidemie Deutschland in Atem hielt, wurde er deren „Mediengesicht“: Prof. Helge Karch von der Universität Münster (WWU). Der Mikrobiologe war entscheidend an der Identifizierung des verursachenden Erregers beteiligt. Mit seinem Team am Institut für Hygiene konnte er damals als Erster den EHEC-Keim charakterisieren und zuordnen – ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung des Ausbruchs. Aber auch sonst setzte Karch mit seinen Mitarbeitern Standards in der Erforschung von Krankenhaus- und Lebensmittelinfektionen – dafür wurde er 2013 mit dem Preis der Robert-Koch-Stiftung und dem Forschungspreis der WWU ausgezeichnet. Heute genießt er das Landleben in den Baumbergen.  

Karch, der gebürtig aus Otterberg in Rheinland-Pfalz stammt und in Darmstadt studiert hat, war von 1990 an rund ein Jahrzehnt lang Professor an der Uni Würzburg. Dann folgten der Ruf der WWU und der Umzug nach Münster, wo der Pfälzer – der seinen Heimatdialekt bis heute pflegt – bald heimisch wurde. Ab 2001 leitete er das Institut für Hygiene am Universitätsklinikum Münster und koordinierte dort zahlreiche interdisziplinäre Forschungsprojekte. „So beherbergten wir dort das deutschlandweite einzige Konsiliarlabor für das Hämolytisch-Urämische Syndrom“, berichtet Karch. „Dieses tritt auch im Zusammenhang mit EHEC-Infektionen häufig auf.“

Das Ausmaß der Infektionen, die im Frühjahr 2011 in Deutschland grassierten, war selbst für Karch überraschend, der sich zu dieser Zeit bereits 30 Jahre lang mit dem Erreger auseinandergesetzt hatte. Über 4.000 Menschen erkrankten an einer Lebensmittelinfektion, rund 60 starben sogar daran – und es war Karch, der den Krankheitserreger schließlich als einen Enterohämorrhagischen Escherichia-coli-(EHEC)-Stamm identifizierte. Mit seinem Team war Karch danach auch an der erfolgreichen Bekämpfung der Infektion beteiligt und bekam zur weiteren Erforschung des Keims und seiner Subtypen 750.000 Euro Fördermittel von der Europäischen Union.

Früher Warner vor der „Gefahr aus dem Schweinestall“

Dieser Erfolg basierte auf vier Faktoren. Zum einen auf einem weltweit einzigartigen Bestand an EHEC-Stämme, den Karch über Jahrzehnte aufgebaut hatte und der ihm an der Medizinischen Fakultät den Ruf einbrachte, er „sammele Bakterien wie andere Leute Briefmarken“. Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Sammlung (und deren Kosten) überhörte er geflissentlich – zu recht, wie sich im Nachhinein zeigte. Zweiter Erfolgsfaktor: ein Team, das mit dem Chef „durch dick und dünn“ ging und während des EHEC-Ausbruchs weitaus mehr Zeit im Labor verbrachte als zu Hause. Dazu kamen drittens die Verfahren, die Karch und seinen Leuten zur Verfügung standen: „An unserem Institut kamen sowohl in der Erforschung der Krankenhaushygiene als auch der von Lebensmittelinfektionen wie EHEC neueste technische Methoden zum Einsatz“, so Karch. Dazu gehörten die Gesamtgenomsequenzierung und die Massenspektrometrie. „Diese bieten die Möglichkeit, deutlich genauer und zielgerichtet exogene und endogene Erreger-Reservoire zu identifizieren“, schildert Karch, „und so auch die bislang unzulänglich erforschte Rolle der Patientenumgebung bei der Ausbreitung von Infektionen zu untersuchen.“

Die personelle und die technische Ausstattung waren es aber nicht allein, die die Arbeit des Instituts für Hygiene herausragend machten: „Besonders stolz waren wir“, ergänzt Karch begeistert einen vierten Erfolgsfaktor, „auf unsere auch interdisziplinär und international angelegte Zusammenarbeit in der Forschung“. Die überwand auch die Grenze zur Veterinärmedizin: So gründete Karch in Kooperation mit dem Tierarzt Prof. Lothar H. Wieler, heute Direktor des Robert-Koch-Institutes, 2007 FBI-Zoo („Food-Borne Zoonotic Infections of Humans“), einen Forschungsverbund für Zoonosen, also Krankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt warnten sein Team und er vor den Folgen der Massentierhaltung, der „Gefahr aus dem Schweinestall“. Die Uni Gießen machte den Mikrobiologen zu ihrem Ehrendoktor – genauer: deren Fachbereich Veterinärmedizin.

Wie man am Bach den Nachwuchs angelt

Viele der Kollegen, mit denen Karch zusammenarbeitete, hat er über den Alumniverein der Medizinischen Fakultät kennengelernt oder wiedergetroffen. Bei medAlum ist Karch Mitglied, obwohl er nicht in Münster studiert hat und erst mit 48 Jahren an die WWU kam – aus Überzeugung, wie er selbst sagt. „medAlum ist manchmal die einzige Möglichkeit, aktuelle und ehemalige Kollegen und Studierende wiederzutreffen“, so Karch, „dabei ist persönlicher Kontakt für die wissenschaftliche Zusammenarbeit unerlässlich.“ Ohnehin liegt gerade der medizinische Nachwuchs dem passionierten Bienenzüchter besonders am Herzen: „Es ist so wichtig, junge Ärztinnen und Ärzte für die Forschung zu begeistern“, erzählt Karch, „auch wir sind nicht vom Nachwuchsproblem der Medizin ausgenommen.“ Von den 400 benötigten Fachärzten für Hygiene in Deutschland seien in seiner Amtszeit nur 100 verfügbar gewesen – dagegen wollte Karch etwas tun. So wirkten allein in seiner von der Robert-Koch-Stiftung ausgezeichneten Arbeitsgruppe, die sich mit dem EHEC-Erreger und den durch ihn verursachten Krankheitsbildern befasste, zehn Doktoranden der Medizin und drei der Naturwissenschaften mit.

Bis heute legendär an der Medizinischen Fakultät sind Karchs Rekrutierungsmethoden für den eigenen Nachwuchs am Institut. „Young Potentials“ wurden auf seinen Bauernhof eingeladen oder zum gemeinsamen Angeln. „En passant“ entstanden dabei neue Projekte sowie Karrierepläne für ein gutes Dutzend erstklassiger Hygieniker, bis hin zu mehreren heutigen Klinik- und Institutsdirektoren. Auch Freundschaften, die bis heute halten, wurzeln in dieser ebenso ungewöhnlichen wie kreativen Nachwuchsarbeit.

Nach seiner Emeritierung 2018 trat Helge Karch, auch aus gesundheitlichen Gründen, fachlich kürzer. Reichlich Arbeit hat er dennoch: Auf seinem Bauernhof warten zwei Hunde, zwei Katzen, 22 Hühner, ein Kaninchen und viele weitere Tiere auf den Naturliebhaber, der sich auch als Obstbauer und Imker betätigt. Von dieser Leidenschaft profitierte sogar die „Medienmeute“, der Karch in mehreren Pressekonferenzen EHEC erklärte, und zwar so verständlich, dass ihn das bis in die „Tagesthemen“ brachte – ein früher Drosten der Bakteriologie. Zur Begrüßung bekamen die Journalisten ein Glas mit Honig aus eigener Produktion. „Ihr habt es ja auch nicht leicht derzeit“, begründete das der Professor, wie stets gut gelaunt und wie stets in breitem Pfälzisch.

Text: Thomas Bauer, Marlen Keß

(Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.)

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