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Das vergessene „Schwarze Porzellan“: Jürgen Huesmann sammelt seit über 40 Jahren Kohlekeramik

Bergbaumotive sind ein großes Thema in der Kohlekeramik-Sammlung von Dr. Jürgen Huesmann (Foto: ÄKWL/kd)

Dr. Huesmann präsentiert ein seltenes Objekt aus dem Jahr 1973 (Foto: ÄKWL/kd)

Dortmund (äkwl/kd) - Als Energieträger erlebt Kohle gerade eine Renaissance, in Kunst und Kultur des Ruhrgebiets hingegen scheint das Kohlezeitalter unwiderruflich vorbei. „Anderswo wäre man stolz auf etwas, das es sonst nirgendwo gibt“, wundert sich Dr. Jürgen Huesmann. Doch im Ruhrgebiet ist die besondere Kunstform der „Kohlekeramik“ vor rund 40 Jahren sang- und klanglos untergegangen. So bewahrt der Dortmunder Allgemeinmediziner in seiner Sammlung ein seltenes Stück Kulturgeschichte, von dem sich selbst in regionalen Museen nur wenige Spuren finden. Über 1.000 Medaillen, Plaketten und weitere Erinnerungsstücke aus Kunstkohle hat der Arzt zusammengetragen, dessen Berufsbiografie mit einem Medizinstudium an der Universität Münster (WWU) begann. Die Sammlung des Alumnus zeugt von technischer Innovation und künstlerischer Kreativität im Ruhrgebiet der Nachkriegszeit.

Kunstwerke aus Kohlenstaub

Kunstkohle? Unter dieser Bezeichnung seien schon im Zweiten Weltkrieg Werkstoffe auf Kohle-Basis entwickelt und genutzt worden, erläutert Dr. Huesmann. 1947 sei in Bochum eine besondere Variante der Kunstkohle erfunden worden, für deren Herstellung sogar minderwertige Kohlensorten und Kohlenstaub genutzt werden konnten. Die Hoffnung, damit technische Anwendungen in großem Stil kommerziell zu erschließen, erfüllte sich zwar nicht. Doch unter hohem Druck gepresst und bei 1.300 Grad gebrannt erwies sich die Bochumer Kunstkohle immerhin als bestens geeigneter Werkstoff für feine Gravuren beispielsweise bei Medaillen und Plaketten. Eine „Kohlekeramik-Ära“ von rund 30 Jahren Dauer begann.

Leicht und widerstandsfähig

Kohlekeramiken liegen erstaunlich leicht in der Hand, der Vergleich als „schwarzes Porzellan“ kommt deshalb schnell in den Sinn. Die Stücke sind jedoch sehr widerstandsfähig. Sie überstehen es klaglos, wenn sie einmal herunterfallen und halten Temperaturen bis 2.000 Grad ohne Schäden aus. Zwar ist — wenig verwunderlich — Schwarz die vorherrschende Farbe. Doch für Abwechslung ist gesorgt, denn das Material lässt sich mit Metallelementen verbinden und auch bemalen oder bronzieren.

Ein Stoff wie geschaffen für dauerhafte Erinnerungen — und Anlass und Bedarf für Erinnerungsstücke gab es im Ruhrgebiet der 1950er, 1960er und 1970er Jahre reichlich: Plaketten zur „Erinnerung an die 1. Grubenfahrt“ finden sich in Dr. Huesmanns Sammlung ebenso wie Medaillen zu Arbeitsjubiläen, zahlreiche Sport-Auszeichnungen, Andenken zu Kirchentagen, Wanduhren oder auch eine Plakette anlässlich des „5.000. elektrifizierten Streckenkilometers“ bei der Deutschen Bundesbahn.

Auftraggeber für die Keramiken waren vor allem Städte, Vereine, Verbände und Unternehmen. „Das alles ist gutes Kunsthandwerk, oft mit Übergängen zum Künstlerischen, ganz bestimmt kein Bergbau-Kitsch“, ist Huesmann von der Themenvielfalt und Ausführung der Arbeiten beeindruckt. Sogar eine Medaille mit medizinischem Hintergrund findet sich in seiner Sammlung — der Weg zur Kohle war beim Bochumer Silikose-Forschungsinstitut nicht allzu weit. Mitunter seien für die Kohlekeramiken aber auch Arbeiten von Künstlern wie dem belgischen Bildhauer Constantin Meunier adaptiert worden, die ursprünglich in Bronze ausgeführt waren. Ein Gütesiegel „Echt Kohlekeramik“ sollte dabei die Echtheit der schwarzen Kunstwerke belegen. Denn auch Fälschungen gab es — schwarz bemalter Gips fiel jedoch spätestens auf, wenn er beschädigt wurde.

Von alldem ahnte Jürgen Huesmann noch nichts, als er 1980 im Schaufenster eines Briefmarkengeschäfts in Dortmund erstmals eine Kohlekeramik-Plakette, eine Darstellung der Dortmunder Westfalenhalle aus den frühen 1950er Jahren, sah. Die geforderten 30 Mark wollte der Allgemeinarzt indes nicht ausgeben. Das tat wenig später seine Ehefrau, die Huesmanns Interesse bemerkt hatte und ihm die Plakette schenkte.

Einstieg in die Geschichte des Ruhrgebiets

Ein Geschenk mit Folgen, denn Sammlerstück Nr. 1 blieb nicht lange allein. Huesmann sah sich auf Flohmärkten und in Kleinanzeigen um, knüpfte Kontakte zu anderen Sammlern, auch unter Patientinnen und Patienten sprach sich das besondere Interesse des Doktors bald herum. Die Sammlung wuchs, und mit ihr auch der Wunsch, Hintergründe zu erfahren. „Kohlekeramik war mein Türöffner für den Einstieg in die Geschichte von Bergbau und Industrie, in die Geschichte des Ruhrgebiets“, beschreibt Jürgen Huesmann die Faszination, anhand von Erinnerungsstücken historische Zusammenhänge zu erschließen und nachzuforschen. „Deshalb ist es für mich immer ein Highlight, wenn Stücke beispielsweise mit Namenszusätzen individualisiert sind.“

Ab Anfang der 80er Jahre geriet die Kohlekeramik in Vergessenheit: Bereits 1967 hatte die „Kohlekeramische Anstalt Hannover-Hannibal“ in Bochum ihre Fertigungsmaschinen nach Essen verkauft. Die Produktion lief dort noch einige Jahre, dann war mangels Nachfrage endgültig Schluss. Reste gingen an Sammler oder gleich in den Schutt — „die Spuren verlieren sich“, bedauert Dr. Huesmann. Das gelte im Übrigen auch für die genaue Rezeptur des Werkstoffs, die heute nicht mehr bekannt sei.

„Früher waren die Menschen hier stolz darauf“

Warum scheint im Ruhrgebiet heute kaum mehr jemand etwas von der Kohlekeramik als Zeugnis regionaler Verbundenheit wissen zu wollen? „Das ist schwer erklärlich, denn früher waren die Menschen hier stolz darauf“, so Dr. Jürgen Huesmann. Im Ruhrgebiet, findet der Allgemeinmediziner, der aus dem Saterland stammt und für seine Tätigkeit als niedergelassener Arzt nach Dortmund zog, sei man zwar im Hinblick auf „Maloche“ stets sehr selbstbewusst — doch auch andere Bereiche der regionalen Kultur verdienten Aufmerksamkeit und sollten in Erinnerung bleiben.

„Es gibt wohl kaum ein Stück, das ich noch nicht kenne“, hat sich Dr. Jürgen Huesmann im Laufe von über 40 Jahren einen Überblick über die Geschichte des „Schwarzen Porzellans des Ruhrgebiets“ verschafft. Sein Wissen teilt er gern: Zwei Ausstellungen in Museen erschlossen das Thema bereits für Interessierte und für ein Buch hat Huesmann kürzlich alle seine Sammlerstücke akribisch katalogisiert und nach museumswissenschaftlichen Kriterien dokumentiert. Sein Wunsch: Zumindest in der Kunst- und Kulturgeschichte des Ruhrgebiets soll das „Kohlezeitalter“ fortdauern.

Zum Weiterlesen: „Kohlekeramik. Das ,Schwarze Porzellan‘ des Ruhrgebiets“ von Dr. Jürgen Huesmann, zu beziehen im Buchhandel oder unter info@transfer-dortmund.de

Text: Klaus Dercks - Wir danken der Ärztekammer Westfalen-Lippe für die Erlaubnis zum Nachdruck dieses Artikels aus dem Kammerblatt.

Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.

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