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Mit der „Drogenhilfe“ die Drogenszene geprägt: Dr. Ulrike Ullrich leitete fast 30 Jahre den Sozialpsychiatrischen Dienst Dortmund

Dr. Ulrike Ullrich (Foto: privat)

Münster (mfm/sm) - Unverhofft kommt oft – auch für bei Ulrike Ullrich. Die hatte eigentlich Chirurgin werden wollen. Der Zufall führte sie jedoch in den Fachbereich der Psychiatrie. Fast 30 Jahre lang leitete sie den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt Dortmund und hat dabei vor allem eines gelernt: nie den Humor zu verlieren. Ihre Doktorarbeit schrieb die Medizinerin an der Medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU).
Nach dem Studium an der Freien Universität Berlin verschlug es die heutige Wahldortmunderin gen Westen: Im beschaulichen Landkreis Emsland nahe der holländischen Grenze vertrat sie zwei Jahre einen Allgemeinmediziner in seiner Praxis. Dieser – ein Alumnus der Uni Münster – stellte auch den Kontakt zu seiner Alma Mater her. „Damals war ich noch nicht promoviert. Als mir der Kollege anbot, sich für mich bei seinem eigenen Doktorvater nach einem spannenden Thema zu erkundigen, nutzte ich die Chance zu forschen sofort.“ Ullrich führte eine Studie zur Verbreitung von Infektionskrankheiten im Emsland durch und erwarb so ihren Doktortitel an Medizinischen Fakultät der WWU. Die Strukturarbeit sollte ihr auch bei ihrer zukünftigen Tätigkeit für die Stadt Dortmund immer wieder Spaß machen.
Ein Karrierestart in ihrem Wunschfach Chirurgie war Ullrich nach der Zeit als Landarztvertretung nicht vergönnt. Durch einen Zufall bekam die heutige Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie eine Anstellung bei der damaligen Landesanstalt in Dortmund – der heutigen LWL-Klinik: „Ich war neu in Dortmund und wusste nicht, dass die Landesanstalt eine rein psychiatrische Einrichtung ist. Ich habe mich beworben - und zwei Wochen später hatte ich den Job“, so Ullrich. Bereut habe sie diese Entscheidung aber nie. Nach Facharztausbildung und einigen Jahren im Beruf übernahm sie schließlich 1985 die Leitung des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadt Dortmund.
„Den ersten Teil des Tages habe ich meist im Gesundheitsamt verbracht und Berichte durchgearbeitet. Das waren zum Beispiel Meldungen von Angehörigen oder der Polizei über Personen, die selbst nicht mehr in der Lage waren, sich dringend nötige ärztliche Hilfe zu holen. In diesen Fällen kamen wir ins Spiel.“ Nachmittags folgten Hausbesuche bei den Betroffenen. „Das oberste Ziel war natürlich immer, die Patienten zu einem freiwilligen Klinikaufenthalt oder Arztbesuch zu bewegen. Wenn sie allerdings für sich selbst oder auch uns eine Gefahr darstellten, hatten wir auch die Möglichkeit einer Zwangseinweisung“.
Trotz der schweren Schicksale, die Ullrich in ihrer Laufbahn kennengelernt hat, bleibt sie sich bei einem treu: „Mitfühlen ist die Grundvoraussetzung. Aber man muss sich auch erlauben, über witzige Situationen – so tragisch der Hintergrund sein mag – lachen zu können.“ Speziell erinnert sich Ullrich an einen Anruf aus Bonn: „Die Polizei berichtete von einem Mann, der in den Rhein gefallen war. Er wollte seinen Namen nicht nennen und sagte, der Beamte solle bei uns anrufen. Mir war sofort klar, welcher Patient das sein musste – hatten wir doch nur einen, der in seinem religiösen Wahn glaubte, über Wasser gehen zu können. Als ich dem Polizisten auf Anhieb den richtigen Namen nannte, war der ziemlich perplex.“ Ihr Job, so Ullrich weiter, habe ihr immer einen Spagat aus Abgrenzung und Mitgefühl abverlangt.
Eine andere Facette ihrer Arbeit stellt ein Strukturprojekt aus den 1990er Jahren dar: „Damals hatte Dortmund eine offene Drogenszene. Das war natürlich gerade bei den Anwohnern nicht gern gesehen. Andererseits brauchten aber auch die Abhängigen ihren Platz. Wir entwickelten auf daraufhin die Dortmunder Drogenhilfe, bestehend aus den drei Säulen Hilfe, Prävention und Repression.“ Ullrich, verantwortlich für die „Hilfe“, initiierte unter anderem ein Methadon-Programm: Heroinabhängigen wird seither in einer Substitutionsbehandlung in Arztpraxen kontrolliert Methadon ausgehändigt. So verminderten sich Straftaten wie Diebstähle, mit denen viele Patienten zuvor ihre Sucht finanzieren mussten.
Obdachlose und Abhängige können zudem in den damals ins Leben gerufenen Kontaktcafés eine warme Mahlzeit bekommen oder duschen. Hier teilen die Mitarbeiter auch sterile Spritzen und Nadeln aus und nehmen gebrauchte an sich. So wird zum einen der Drogenkonsum für Betroffene sicherer und zum anderen werden die gefährlichen Utensilien fachgerecht entsorgt. Diese Strukturarbeit habe ihr besonders Spaß gemacht, sagt Ullrich: „Weil ich gesehen habe, dass die Menschen unsere Maßnahmen annehmen.“
Auch anderthalb Jahre nach ihrer Verabschiedung ist die 67-Jährige noch nicht ganz im Ruhestand angekommen: Einen Tag in der Woche arbeitet sie weiterhin in einer Reha-Einrichtung für psychisch Kranke. Außerdem begleitet sie von Zeit zu Zeit als psychiatrische Sachverständige Begehungen entsprechender Einrichtungen. Ihre Freizeit verbringt sie vorzugsweise mit ihren inzwischen acht Enkelkindern.

(Mit diesem Beitrag setzt der Alumni-Verein „medAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Porträt-Reihe "Köpfe der Fakultät" fort. Mehr zu dem Verein erfahren Sie hier.)

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