Translationale Reproduktionsgenetik (AG Tüttelmann)

Etwa 1% aller Männer ist von einer Azoospermie betroffen und hat keine Spermien im Ejakulat. Entweder werden im Hoden Spermien gebildet, diese können aber durch eine Blockade nicht ins Ejakulat übergehen (obstruktive Azoospermie, OA), oder es werden keine bzw. nur sehr wenige Spermien gebildet (nicht-obstruktive Azoospermie, NOA). Es gibt auch Männer, bei denen zwar Spermien im Ejakulat vorhanden sind, diese aber nicht in der Lage sind, die Eizelle zu erreichen bzw. diese zu befruchten. Diese Spermien können z. B. eine verminderte Beweglichkeit oder auffällige Kopf- oder Schwanzformen haben (Astheno-/Teratozoospermie). Für diese Männer ist die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Weg nicht möglich.

Allen diesen Formen der männlichen Unfruchtbarkeit können genetische Veränderungen zu Grunde liegen; die meisten davon sind jedoch noch nicht ausreichend verstanden. Deswegen erhalten mehr als 70% der betroffenen Männer keine eindeutige Diagnose und können nicht individuell beraten und behandelt werden. So wird beispielsweise allen Männern mit Azoospermie eine Hodenbiopsie angeboten, um Spermien zu gewinnen – dies ist aber nur in etwa 50% der Versuche erfolgreich. Bei bestimmten Veränderungen der Spermienform ist die medizinische assistierte Reproduktion ebenfalls nicht erfolgversprechend bzw. nur mit zusätzlicher Hilfe möglich.

Das Ziel unserer Arbeit ist es daher, die genetischen Ursachen von Störungen der Spermienbildung zu verstehen. Dies eröffnet die Möglichkeit einer individuellen Diagnosestellung und damit eine gezielte Therapieplanung für die betroffenen Männer.

Dazu haben wir 2017 die "Male Reproductive Genomics" (MERGE) Studie begonnen (Abbildung 1) und sequenzieren seitdem das Erbgut (Genom) betroffener Männer, um potentielle neue Krankheitsgene zu identifizieren. Daran schließen wir Familienuntersuchungen (Segregation) und funktionelle Analysen in Hodengewebe, in Zellsystemen und in der Fruchtfliege (Drosophila) als Modellorganismus an.

Hierdurch ist es uns bereits gelungen, eine Vielzahl genetische Ursachen für männliche Infertilität zu identifizieren.

Abbildung 1: MERGE-Studie, beispielhafter Stammbaum eines Betroffenen mit krankheitsursächlicher Variante im DDX3Y-Gen und Histologie seines Hodengewebes, in dem in den Samenkanälchen keine Keimzellen vorhanden sind (Sertoli cell-only Phänotyp).