Neuer Forschungsverbund untersucht die Biologie von Immunzellen

DFG fördert interdisziplinäres Großprojekt im Bereich Medizin

Neue Schubkraft für exzellente Forschung: An der WWU Münster richtet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) einen neuen Sonderforschungsbereich/Transregio (SFB/TRR) ein. Der Verbund mit dem Titel „Neutrophile Granulozyten: Entwicklung, Verhalten und Funktion“ widmet sich der Erforschung spezieller Zellen des Immunsystems. Er erhält ab Juli für zunächst vier Jahre eine Förderung in Höhe von rund 11,5  Millionen Euro. Sprecher des Verbunds ist Prof. Dr. Oliver Söhnlein vom Institut für Experimentelle Pathologie am Fachbereich Medizin der WWU. Der SFB/TRR vereint Forscherinnen und Forscher aus drei antragstellenden Universitäten – der WWU Münster, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Duisburg-Essen – sowie zwei assoziierten Einrichtungen, der Technischen Universität Dresden und dem Leibniz-Institut für Analytische Wissenschaften Dortmund. „Mit dem neuen standortübergreifenden Forschungsverbund bündeln die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Expertise auf dem Gebiet der Neutrophile. Für die medizinische Forschung in Münster ist die Förderung ein großer Erfolg, der zukünftig Grundlagenforschung und klinische Anwendung zusammenbringt“, betont Prof. Dr. Monika Stoll, Prorektorin für Forschung der WWU. Neutrophile sind spezialisierte Immunzellen und die am häufigsten vorkommenden weißen Blutkörperchen im menschlichen Blut. Sie sind wichtig für die Immunabwehr, da sie schädliche Mikroorganismen erkennen und zerstören. Bislang wurden Neutrophile vor allem als Zellen angesehen, die nach ihrer Produktion als ausdifferenzierte Zellen im Blut zirkulieren und nach einer sehr kurzen Lebenszeit absterben oder in unkontrollierter Weise Entzündungsreaktionen beeinflussen. Basierend auf einem sich ändernden Verständnis von Neutrophilen, untersucht der Forschungsverbund  die Komplexität der Funktion dieser Immunzellen und die eng kontrollierte Regulation ihrer Aktivität. „Wir möchten unter anderem verstehen, wie Umweltsignale, beispielsweise die Tageszeit, die Produktion, die Eigenschaften und die Funktion der Neutrophilen beeinflussen. Dazu untersuchen wir die Rolle von Signalen aus verschiedenen Mikroumgebungen, zum Beispiel Tumor versus Schlaganfall, oder von Stoffwechselveränderungen“, erklärt Oliver Söhnlein. „Außerdem erforschen wir, wie die intrazelluläre Signalverarbeitung die Funktion von Neutrophilen reguliert“.

Das Vorhaben verfolgt einen sogenannten translationalen Ansatz – die Überführung von neuen Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die klinische Anwendung. „Schlussendlich sollen die Patientinnen und Patienten von unseren Forschungsergebnissen profitieren und die bestmögliche Behandlung erhalten“, betont Oliver Söhnlein. Das Forschungsteam entwickelt eine zentrale Plattform, die moderne  Bildgebungsverfahren kombiniert und es ermöglicht, Neutrophile im Gewebe, also in ihrer natürlichen Umgebung, darzustellen. Ergänzend dazu erarbeiten die Wissenschaftler eine Informatikplattform, die eine passgenaue Infrastruktur für Datenmanagement und -analyse bereitstellt. Zudem werden die Daten der jeweiligen Einzelprojekte integriert und in einer frei zugänglichen und kostenlosen Internetplattform zur Verfügung gestellt (open access).

Forschungspreis 2023 der Tuberöse-Sklerose-Stiftung geht an Andrea Oeckinghaus und Daniel Kümmel

Nachricht vom 28.04.2023

Wiesbaden/Münster - Die Deutsche Tuberöse-Sklerose-Stiftung hat zum fünften Mal ihren mit 10.000 Euro dotierten Forschungspreis verliehen. Die diesjährige Auszeichnung geht an zwei Forschende der Universität Münster: an die Biochemikerin Dr. Andrea Oeckinghaus vom Institut für Molekulare Tumorbiologie und an Prof. Daniel Kümmel vom Institut für Biochemie. Die beiden Forschenden der untersuchen die Funktion und Regulation des Tuberöse-Sklerose-Proteinkomplexes (TSC), dessen Störung die seltene Erkrankung verursacht.

Bei der Tuberösen Sklerose (TS) sind aufgrund genetischer Defekte diejenigen Proteine, die den sogenannten TSC-Komplex bilden, in ihrer Funktion gestört. Als Folge ist ein bestimmter zellulärer Signalweg, der mTORC1-(mammalian target of rapamycin complex 1)-Signalweg, überaktiviert. Da dieser eine wichtige Rolle in der Gehirnentwicklung spielt, haben Betroffene bereits ab dem Säuglingsalter ein hohes Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen, Autismus und schwere Epilepsien. Darüber hinaus kommt es häufig zur Entwicklung zwar prinzipiell gutartiger Tumore – vor allem im Gehirn, im Herz oder in den Nieren –, die aber durch ihre Größe oder ihre Lage für den Patienten dennoch gefährlich werden können. Seit einigen Jahren werden daher zur Behandlung der Tuberösen Sklerose bestimmte Medikamente eingesetzt, die den überaktivierten mTORC1-Signalweg hemmen und so zu teilweiser Linderung der TS-Symptome und zur Rückbildung bestimmter Tumore führen können. „Es gibt allerdings noch keine Behandlungsmöglichkeiten, die direkt der Störung des TSC-Komplexes entgegenwirken können“, sagt Dr. Andrea Oeckinghaus. „Durch unsere Untersuchungen zur Funktion des TSC-Komplexes wollen wir hier neue Ansatzmöglichkeiten aufdecken.“

In ihren nun ausgezeichneten Arbeiten haben die beiden Forschenden dazu erste wichtige Erkenntnisse gewonnen. Durch die Betrachtung des TSC-Komplexes als molekulare Maschine, der ein vielschichtiger Bauplan mit zahlreichen Bausteinen zugrunde liegt, haben sie neue Einblicke in dessen Funktionsweise erhalten. Dadurch konnten sowohl der Einfluss von in Patienten auftretenden TSC-Mutationen auf die Aktivität des Proteinkomplexes besser verstanden als auch neue Regulationsmechanismen identifiziert werden. „Die Störung der Funktion oder Regulation des TSC-Komplexes führt zur Entstehung der Krankheit – in der Theorie könnte es je nach defektem ‚Bauteil‘ dann verschiedene Therapieansätze geben, die unterschiedlich gut geeignet sein könnten und entsprechend individuell zugeschnitten werden müssten“, ergänzt Prof. Daniel Kümmel. Durch weitere Untersuchungen zur Funktionsweise des TSC-Komplexes und Charakterisierung der durch Patientenmutationen verursachten Veränderungen wollen die Forschenden dazu noch mehr neue molekulare Details aufdecken. „Wir freuen uns sehr, dass die Grundlagenforschung durch unsere Mitarbeitenden und uns mit dieser Auszeichnung solch große Anerkennung erfährt. Wir hoffen mit unseren Arbeiten einen Beitrag zu leisten, damit in Zukunft neue Ansätze für die Behandlung von Patienten entwickelt werden können“, so die Preisträger.

Diese wurden von einer Expertenjury unter dem Vorsitz des ehemaligen langjährigen Vorstandsvorsitzenden der Charité Berlin, Prof. Karl Max Einhäupl, ausgewählt. Die Verleihung des begehrten Preises übernahmen neben Einhäupl die Stifter der Deutschen Tuberöse-Sklerose-Stiftung, Anke Koch und ihr Mann Roland Koch, ehemaliger hessischer Ministerpräsident.