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Zwischen fauligen Äpfeln und erdigem Waldboden: In der Uni-Medizin hilft auch die Nase bei der Diagnose

Dr. Dr. Bianca Schwartbeck (l.) und Dr. Franziska Schuler vom Institut für Medizinische Mikrobiologie führen eine Geruchsdiagnostik durch und können somit bestimmte Krankheitserreger erkennen (Foto: WWU/M. C. Möller)

Die Bakterienkulturen wachsen auf einem Nährboden in Petrischalen. Nach ein paar Tagen im Brutschrank vermehren sich die Bakterien und bilden spezifische Gerüche (Foto: WWU/M. C. Möller)

Münster (upm) - “Der Mensch ist ein wandelnder Lebensraum: In und auf ihm leben zehntausende von Mikroorganismen. Mit dem bloßen Auge sind sie nicht zu sehen, doch oftmals verrät ihr Geruch, um welche Bakterien es sich handelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben längst herausgefunden, dass viele Krankheiten zu einem charakteristischen Geruch führen. Der Urin von Diabetikern kann nach verrottenden Äpfeln riechen, während der Atem von Menschen mit einer Lungenentzündung oftmals faulig riecht. Gelbfieber kann dafür sorgen, dass die Haut wie eine Metzgerei riecht. Nach Urin oder Ammoniak riechender Schweiß kann hingegen auf eine Nierenschwäche hinweisen. Mikroorganismen beeindrucken aber auch durch angenehme Gerüche: Bakterien der Gattung Streptomyces sorgen durch die Produktion des Geruchsstoffs Geosmin für den typisch erdigen Duft von Waldboden.

Die Mikroorganismen riechen nicht nur intensiv, sie sehen auch sonderbar aus und nehmen unterschiedliche Formen und Farben an. Im Labor des Direktors des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Prof. Frieder Schaumburg, kann man das gut nachvollziehen. Das Experten-Team will dort den zellulären und molekularen Mechanismen von Infektionen und deren Erregern auf die Spur kommen. Im Labor gibt es zahlreiche Petrischalen, in denen Bakterien wachsen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen ihren Geruchssinn ein, um zu diagnostizieren, um welche Bakterien es sich handelt. „Wir erkennen oft schon am Geruch, ob es sich um ‚gute‘ Bakterien handelt oder um solche, die für den Menschen gefährlich sind“, erklärt Dr. Dr. Bianca Schwartbeck, die als Wissenschaftlerin und Ärztin tätig ist.

Aber wie kommen unterschiedliche Gerüche überhaupt zustande? Der Körper gibt pausenlos flüchtige chemische Verbindungen an die Umgebung ab. Diese Substanzen variieren je nach Alter, Ernährungsweise und Gesundheitszustand. Auch die Mikroben, die im Darm und auf der Haut leben, beeinflussen unseren Körpergeruch, indem sie unsere Stoffwechselprodukte aufspalten. Beim Einatmen gelangen die Duftstoffe auf die Riechschleimhaut. Dort sitzen Millionen von Sinneszellen und überprüfen die einzelnen Gerüche. Was sie wahrnehmen, melden sie an den sogenannten Riechkolben. Der sortiert die Ergebnisse und gibt sie über die Nervenbahnen an das Gehirn weiter. Ein gesunder Mensch kann mehr als 10.000 verschiedene Duftnoten unterscheiden.

Das Team von Frieder Schaumburg erhält die Proben, etwa Abstriche, Blut, Atemwegssekrete oder Urin, von unterschiedlichen Instituten und Klinken, unter anderem von Prof. Tobias Görge, der die Abteilung für Wundheilung/Phlebologie an der Klinik für Hautkrankheiten leitet. „Dass bestimmte Krankheiten unangenehm riechen, ist für viele Betroffene ein großes Problem und führt oft zur sozialen Isolation.“ Gut zu beobachten sei das zum Beispiel bei „Ulcus“-Patienten. Dabei handelt es sich um einen tiefreichenden Gewebeschaden an Haut oder Schleimhaut, der häufig mit einem sehr starken Fäulnisgeruch einhergeht. Durch die Analysen im Labor der Medizinischen Mikrobiologie können die Erreger als Ursache einer Erkrankung verifiziert und eine passgenaue Therapie ermöglicht werden.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Forschern und Klinikern zeigt sich an mehreren Orten des medizinischen Campus. Die Mitarbeiter des Instituts für Pathologie, nur wenige Meter neben dem Institut für Medizinische Mikrobiologie, sezieren Verstorbene und untersuchen Gewebeproben von lebenden Patienten, um den zugrundeliegenden Erkrankungen auf die Spur zu kommen. „Wir analysieren menschliches Gewebe, nachdem es in einem aufwendigen Verfahren in Paraffin eingebettet und anschließend zu etwa zehn Mikrometer dicken histologischen Schnitten verarbeitet wurde. So ist es schließlich möglich, zu entscheiden, ob beispielsweise ein Geschwür durch einen bösartigen Tumor oder eine Entzündung hervorgerufen wurde“, erläutert Prof. Peter Barth. „Wir können teilweise durch den Geruch erkennen, welche Krankheit der Patient hat oder hatte.“

Von den Leichen, die Peter Barth im Sektionssaal untersucht, gehen je nach Stadium der Zersetzung unterschiedliche Gerüche aus. So kann es beispielsweise nach nassem Laub, saurem Mageninhalt oder Fäulnis riechen. Ein sehr lange im Gedächtnis haftender Geruch geht zum Beispiel von Brandleichen aus.

Der eigene Riechkolben ist oft ein verlässliches Analyse- und Diagnostikinstrument. In manchen Fällen sei es sogar eine der wenigen Möglichkeiten, Patienten zu helfen, weiß Frieder Schaumburg. Beispielsweise hat sein Team mit Kollegen des Masanga-Hospitals in Sierra Leone ein Labor zur Diagnostik und Erforschung tropischer Erreger aufgebaut. „Die klinische Infrastruktur ist in diesem Land schlecht oder gar nicht vorhanden. Eine frühe Diagnose ist extrem wichtig, um hochansteckende Patienten zu isolieren und Infektionsketten zu unterbrechen. Die Geruchsdiagnostik kann dabei definitiv helfen.“  Kathrin Kottke (Unizeitung wissen|leben Nr. 4/2023)

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