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"Wer ein Fahrrad besaß, ..." - Teil 2

Rolf Hegemann als Wehrmachtsarzt

Teil 2 der Lebenserinnerungen von Dr. Rolf Hegemann (zurück zu Teil 1)

In Münster gehört der junge Soldat zur rund 150 Mann starken Studentenkompanie der Medizinstudenten. Der Verband ist Teil der Wehrmacht und kann somit jederzeit als Sanitätstrupp an einen der Kriegsschauplätze versetzt werden. Es ist ein Studium auf Abruf und im Schnellverfahren, denn seit Kriegsbeginn ist das Studienjahr in Trimester eingeteilt. Ein besonders beklemmender Moment: der 20. Juli 1944. Der Kompanieführer teilt der im Hof des Fürstenberghauses aufgestellten Studententruppe mit: Ein Attentat ist auf Hitler verübt worden, der „Führer“ aber gottlob „wohlauf“. „Irgend jemand hinter mir murmelt so etwas wie `Ach, hätte es doch geklappt.’“, berichtet Hegemann. „Spätere Generationen haben uns vorgeworfen, wir hätten etwas gegen die Nazis tun sollen. Aber jeder von uns wusste genau, dass er dies mit seinem Leben würde bezahlen müssen.“ Nur wenige Monate zuvor war in Berlin-Tegel ein Medizinstudent aus Münster, Heinz Bello, wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet worden. Eine Luftschutzübung im Jahr 1943 hatte der überzeugte Katholik mit den Worten kommentiert: „Die Laternenpfähle Münsters werden nicht ausreichen, um die Nazis und die Kommissköpfe nach dem Krieg daran aufzuhängen“. Er war daraufhin von einem Vorgesetzten denunziert worden.
Im Januar 1945 wird Hegemann nach bestandenem Vorphysikum zu einem Offizierslehrgang nach Wischau in die Slowakei abkommandiert. In den Wirren der letzten Kriegstage kehrt er in den Westen zurück In Flensburg nehmen ihn die Briten gefangen, lassen ihn aber wieder frei, als er darum bittet, sein Studium fortsetzen zu können – Mediziner werden dringend benötig im zerstörten Deutschland. Auf einem Kohlenzug sitzend fährt er Anfang Oktober 1945 nach Göttingen, wo die Medizinische Fakultät, anders als in Münster, ihren Lehrbetrieb schon wieder aufgenommen hat. Im Semester darauf kann er dann nach Westfalen wechseln.
Die ersten Nachkriegswinter sind hart. Der Bauch ist meist leer, man friert, studiert wird trotzdem. Hegemann: „Wir haben Holzstücke aus den Trümmern gesammelt und verfeuert. Das damals übliche Hörergeld nahmen die Professoren am liebsten in Form in Naturalien, heißt: als Kohlen, entgegen.“ Lehrbücher gibt es nicht. Die Skripte der Professoren werden abgetippt und per Matritze vervielfältigt. Der größte Besitz eines Studenten ist das Fahrrad. „Wer damals eines besaß, war schon ein vornehmer Mensch“, erinnert sich der Münsteraner. Jeden Tag fährt er damit von seinem Elternhaus am Cheruskerring zum Altklinikum. Fahrräder sind auch damals schon begehrtes Diebesgut. Doch die Fakultätsverwaltung hat vorgesorgt und zwischen Innerer Medizin und HNO-Klinik die vermutlich erste bewachte Radstation in Münsters Stadtgeschichte eingerichtet.
Nach Staatsexamen und Promotion 1949 arbeitete der junge Arzt mehrere Jahre in Potsdam und Berlin, wo er seine spätere Frau kennen lernte. An Münsters Orthopädischer Universitätsklinik schloss er seine Facharztausbildung ab und eröffnete Mitte der 50er Jahre eine Praxis in Unna. Es folgten das Wirtschaftswunder, zwei Kinder, vier Enkel. Seiner Alma Mater, der WWU, fühlt sich Dr. Rolf Hegemann noch immer verbunden: Bei MedAlum, dem Ehemaligen-Verein der Medizinischen Fakultät, gehörte er zu den ersten Mitgliedern. Ansonsten lässt der Senior es ruhig angehen, interessiert sich sehr für Geschichte, ist aber alles andere als „von gestern“. Sein zweitliebstes Hobby? „Surfen im Internet!“
Petra Conradi