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„Perspektivisch auch für die Forschung interessant“: Von der elektronischen Patientenakte sollen alle Beteiligten profitieren

Prof. Martin Dugas (Foto: privat)

Münster (upm) - Ein Arztbrief hier, ein Laborergebnis da, und der Impfpass ist mal wieder nicht auffindbar – die elektronische Patientenakte (ePA), die seit dem 1. Januar stufenweise in Deutschland eingeführt wird, soll Ordnung schaffen. Künftig bietet sie allen gesetzlich Versicherten die Möglichkeit, ihre medizinischen Daten digital speichern zu lassen, per Smartphone oder Tablet selbst zu verwalten und Akteurinnen und Akteuren des Gesundheitswesens Zugriff zu gewähren.

„Wer eine ePA nutzt, kann sich jederzeit einen Überblick über seine Daten verschaffen“, sagt Prof. Martin Dugas, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik der WWU. Dass alle Versicherten gleichermaßen profitieren werden, hält er jedoch für unwahrscheinlich. „Zum einen fehlen vielen Menschen die nötigen medizinischen Fachkenntnisse. Gerade ältere Menschen sind zudem oft nicht vertraut mit der Bedienung von Smartphones. Jüngere Leute – also auch unsere Studierenden – sind die ideale Zielgruppe für die ePA.“

Ärzte, Apotheker und andere Leistungsträger des Gesundheitswesens sollen von der ePA ebenfalls profitieren. So sieht etwa Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die Chance, mit dem „Mehr an Daten“ könne man Patienten in Zukunft besser behandeln. Dugas weist jedoch darauf hin, dass es eine wirkliche Verbesserung erst dann geben werde, wenn – so wie es der Plan vorsieht – aus der ePA mehr wird als eine Sammlung einzelner PDF-Dokumente, wenn also die Daten einheitlich formatiert und damit schnell und leicht überblickbar werden.

„Erst dann wird die ePA auch für die Forschung interessant“, unterstreicht Martin Dugas, der selbst zur Vereinheitlichung der medizinischen Datenerfassung forscht. Wenn es in der dritten ePA-Ausbaustufe ab 2023 gelänge, die Daten einheitlich auch der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, werde es allen medizinischen Forschern nutzen. Eine Riesenchance sei, dass die Daten in der ePA über einen langen Zeitraum gesammelt werden. Dadurch könnten Auswirkungen einer Erkrankung über Jahre verfolgt werden. Wie wichtig dies sein kann, zeigt die Coronapandemie. Es gibt großen Bedarf, langfristige Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion zu erforschen.

Technisches Rückgrat der ePA ist die sogenannte Telematik-Infrastruktur der „gematik GmbH“. Sie vernetzt Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser und gilt in puncto Datenschutz als sicher. Schwachpunkte sehen Experten jedoch in den sogenannten TI-Konnektoren – routerähnliche Geräte, die für die Verbindung der Praxen und Einrichtungen mit der Telematik-Infrastruktur nötig sind. So zeigten Wissenschaftler des Labors für IT-Sicherheit der FH Münster kürzlich, dass durch fehlerhaftes Anschließen in 200 von insgesamt 145.000 Fällen die TI-Konnektoren leicht über das Internet erreichbar waren, in etwa 30 Fällen sogar ohne Passwortabfrage. Sensible Patientendaten könnten so von Unbefugten eingesehen werden.

Martin Dugas sieht noch ein anderes Problem: „Ich finde es schwierig, dass die Patientendaten technisch von den jeweiligen Krankenkassen betreut werden sollen. Zwar liegen die Daten verschlüsselt auf den Rechenzentren der Krankenkassen. Dennoch bin ich der Meinung, dass die Krankenkassen nur die zur Abrechnung notwendigen Daten erhalten sollten.“ Auch eine Cyberattacke, die solch einen Server lahmlegt, wäre ein Riesenproblem. Martin Dugas zieht für sich ein Fazit: „Bei ganz sensiblen Daten würde ich mich derzeit noch auf Papier verlassen.“

Zahlen und Fakten

Seit dem 1. Januar müssen die gesetzlichen Krankenkassen ihren Versicherten eine ePA zur Verfügung stellen, die freiwillig über ein Smartphone oder ein Tablet genutzt werden kann. Bis zum 30. Juni müssen alle bundesweit niedergelassenen Ärzte auf die Nutzung der ePA vorbereitet sein, Krankenhäuser ab Anfang 2022. Die ePA soll ab 2022 auch den Impfpass, das zahnärztliche Bonusheft, das Kinderuntersuchungsheft und den Mutterpass enthalten. Ab 2023 können Patienten die in der ePA abgelegten Daten freiwillig der medizinischen Forschung zur Verfügung stellen.

Christina Hoppenbrock (wissen|leben, Nr. 1/2021)

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