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Demenz in der Petrischale: iPS-Technologie bietet neue Plattform zur Erforschung der Frontotemporalen Demenz

Marc Ehrlich und Anna-Lena Hallmann sind Doktoranden des Instituts für Neuropathologie und zugleich Gastwissenschaftler am MPI (Foto: MPI Münster/J. Müller-Keuker)

Münster (mpi) - Die Frontotemporale Demenz ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der im Stirn- und Schläfenbereich - am Fronto-Temporal-Lappen - des Gehirns Nervenzellen absterben. Allein in Deutschland sind etwa 33.000 Menschen von dieser Krankheit betroffen, wobei die genauen Mechanismen für die Neurodegeneration bislang nicht bekannt sind. Es gibt daher keine Therapie, mit der die Frontotemporale Demenz (kurz: FTD) geheilt oder gestoppt werden könnte. Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Universität Münster und des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin haben nun mithilfe induzierter pluripotenter Stammzellen (iPS) ein Krankheitsmodell in der Kulturschale entwickelt und ein Gen identifiziert, das in den erkrankten Nervenzellen eine schützende Rolle hat. In ihrer jetzt publizierten Studie zeigen die Wissenschaftler, dass die FTD-iPS-Zellen für Medikamentenscreenings genutzt werden könnten, um möglicherweise eine FTD-Therapie zu entwickeln.
Die Frontotemporale Demenz ist tückisch: Erste Symptome sind Veränderungen der Persönlichkeit und des zwischenmenschlichen Verhaltens, die leicht mit einer depressiven Verstimmung oder einem Burn-out-Syndrom abgetan werden können. Erst wenn sich auch noch Störungen der Sprache und des Gedächtnisses entwickeln, wird oft die richtige Diagnose gestellt. Meistens erkranken Patienten zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr; bei der erblichen Form treten erste Symptome schon zwischen 40 und 50 auf. Die Krankheit schreitet dann schnell fort und kann innerhalb von fünf bis zehn Jahren zum Tod führen.
FTD ist eine neurodegenerative Erkrankung, bei der es - wie bei Alzheimer - in vielen Patienten zu Ablagerungen des sogenannten Tau-Proteins in verschiedenen Hirnregionen kommt. Dieses Protein existiert in Nervenzellen und ist wichtig für die mechanische Stabilität der Zellen sowie für Bewegungen und Transporte innerhalb der Zelle. In vielen FTD-Patienten wird das Tau-Protein übermäßig mit Phosphatgruppen beladen, und es kommt zu Verklumpung dieser veränderten Tau-Proteine. Dadurch können in der Zelle Stabilisierungs- und Transportprozesse gestört werden, was letztlich zu ihrem Absterben führt. Ungefähr 20 bis 30 Prozent der FTD-Patienten haben eine erbliche Form der Krankheit, bei etwa 15 bis 20 Prozent dieser Patienten ist das Gen, das für das Protein Tau kodiert, verändert.
Diese Mutation bei der erblichen Form von FTD haben sich Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der Universität Münster und des Max-Planck-Instituts (MPI) für molekulare Biomedizin zunutze gemacht, um die Krankheit mithilfe der iPS-Technologie in die Kulturschale zu bringen.
„Die Erforschung der Mechanismen der FTD-Entstehung war bisher stark eingeschränkt, da die nötigen betroffenen Nervenzellen nur in sehr geringen Umfang und dann auch meist in einem Endstadium der Erkrankung zur Verfügung stehen. Unser Team hat am MPI nun Hautzellen von Patienten mit FTD-assoziierten Tau-Mutationen zu induziert pluripotenten Stammzellen (iPS) reprogrammiert, wodurch sich die betroffenen Nervenzellen in der Zellkulturschale in praktisch unbegrenzten Mengen herstellen ließen,“ sagt Gunnar Hargus, Arzt am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Münster, der gemeinsam mit Professorin Tanja Kuhlmann, Ärztin am selben Institut, und Jared Sterneckert, Arbeitsgruppenleiter am MPI (jetzt in Dresden), die Studie betreut hat.
Der große Vorteil der hier verwendeten iPS-Zellen ist, dass diese sich praktisch in jeden Zelltyp des menschlichen Körpers entwickeln können. Dadurch ist man nicht mehr auf die seltenen Patientenproben angewiesen. „In verschiedenen Tests haben wir zeigen können, dass die aus iPS-Zellen abgeleiteten Nervenzellen mit einer Tau-Mutation unter anderem kürzere Fortsätze haben und sich als Modell für die Suche nach neuen Therapien oder Wirkstoffen eignen,“ sagt Marc Ehrlich, Doktorand des Instituts für Neuropathologie und Erstautor der Studie. „Dieses Zellmodell könnte darüber hinaus auch für die Therapie anderer neurodegenerativer Erkrankungen eine große Bedeutung haben.“
Die Forscher zeigten unter anderem, dass die Nervenzellen mit einer Tau-Mutation unter simulierten Stressbedingungen schneller absterben als Nervenzellen ohne eine Tau-Mutation. Durch den Einsatz bestimmter Substanzen konnte der stressbedingte Zelltod in den erkrankten Nervenzellen rückgängig gemacht werden.
Um eine Idee zu bekommen, was auf molekularer Ebene in erkrankten Zellen passiert, schauten sich die Wissenschaftler das Genprofil an. Ein Gen sprang den Forschern besonders ins Auge: „Unter all den Genen, die in erkrankten Zellen hochreguliert waren, haben wir eines identifiziert, das eine schützende Rolle in den erkrankten Nervenzellen hat“, sagt Anna-Lena Hallmann. Hallmann ist Ko-Erstautorin der Studie und ebenfalls Doktorandin am Institut für Neuropathologie. „Auch in Gewebeproben von verstorbenen Patienten konnten wir nachweisen, dass dieses Gen mit dem Namen MAGEH1 vermehrt abgelesen wird.“ sagt Hallmann.
„Völlig neu ist, dass wir MAGEH1 in einen Zusammenhang mit FTD gebracht haben.“ ergänzt Ehrlich. „Als wir das Gen in den aus Tau-iPS-Zellen abgeleiteten Nervenzellen künstlich drosselten, ging es den Zellen schlechter; als wir es in gesunden Nervenzellen anregten, konnten sie sich besser gegen Stress wehren“. Tau-iPS-Zellen eignen sich laut der Studie also sehr gut als Modell für FTD, um molekulare Mechanismen der Krankheit besser als bisher zu untersuchen. Zudem könnte das Gen MAGEH1 eine sehr wichtige Rolle bei der Entwicklung neuer Therapieoptionen der FTD spielen.

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