Die Hirnforschung hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt und vieles vor Jahren noch Rätselhaftes kann nun mit Hilfe verschiedener Methoden erforscht werden. Dieser Aufschwung führt nicht selten zu optimistischen Erwartungen, zum Beispiel die Regeln der neuronalen Kodierung aller Information zu entschlüsseln – vom „Knacken des Codes“ ist gar die Rede – oder die Arbeitsweise des Gehirns zu erkennen, als wäre es damit möglich, Gedanken zu erkennen, oder zu „lesen“. Manche sind so zuversichtlich, dass sie an die Möglichkeit der Entwicklung einer „Hirnprothese“ glauben. Allerdings arbeitet das Gehirn unvorstellbar komplex, so dass es kein Modell oder eine zufrieden stellende Vorstellung von seiner Arbeitsweise gibt. Nach heutigem Wissensstand ist es höchst unwahrscheinlich, dass es je eine artifizielle Hirnprothese geben wird, auch ist es vermutlich unmöglich, in deterministischer Weise die Hirnfunktion vollständig zu erklären oder seine Reaktionen vorherzusagen. Die Gedanken eines individuellen Menschen lassen sich vermutlich nicht auf allgemeingültige und so erfassbare Erregungsmuster zurückführen, sondern stellen eher singuläre Ereignisse neuronaler Aktivitätsmuster dar, die nicht nach allgemeinen Regeln entschlüsselbar sind (Zeitreise: wozu Gedanken noch gut sind). Überspitzt formuliert: Haben die bunt gefärbten digitalen Darstellungen der modernen Bildgebungsverfahren, die streng genommen lediglich Blutflußänderungen im Gehirn kodieren, überhaupt etwas mit dem menschlichen Wesen oder Charakter zu tun? (Zeitreise: in die Röhre geschaut) Dennoch ist es unverzichtbar darüber nachzudenken, ob das, was bisher noch nach reiner Fiktion klingt, in Zukunft tatsächlich verwirklicht werden könnte. In der technischen Entwicklung liegen nämlich nicht nur Faszination und Fortschritt, sondern auch Risiken verborgen, wie einer der vielen Irrtümer in der Geschichte der Hirnforschung zeigt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts glaubten einige Wissenschaftler, man könne den Charakter eines Menschen an der Kopfform erraten (Zeitreise: Schädelform und Hirnfunktion). Das totalitäre Regime der NS-Zeit missbrauchte diese Annahme zur Rechtfertigung ethnischer Diskriminierung und später der Verfolgung und Vernichtung von Juden, psychisch Kranken und politischen Gegnern („nationalsozialistische Ausdruckspsychologie“). Ähnliche Gedanken sind derart populär, dass sie sich, trotz wissenschaftlicher Nachweise ihrer Ungültigkeit, bis heute hartnäckig halten: heute versteigt sich manch ein Spezialist zu der Behauptung, man könnte zwar nicht anhand der Kopfform, aber so doch nach dem Aktivierungsmuster des Gehirnes ersehen, ob jemand gewissenlos oder sogar gewalttätig ist. Dieses Beispiel zeigt auch heute die große Gefahr, die aus einer unkritischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen hochtechnisierter Untersuchungsmethoden ergibt, dass nämlich simplifiziert den Aktivierungsmustern, die bei bestimmten Aufgaben sichtbar gemacht werden, bestimmte Bedeutungen, die auf komplexe psychische Eigenschaften schließen lassen sollen, beigemessen werden. Beispielsweise
- Der Magnetresonanztomograph als sicherer Lügendetektor?
- Ist die untersuchte Person bei Abweichungen von der Norm unnormal?
- Erlauben die technischen Bilder Aussagen über Menschen?