Sektorübergreifendes telematisches Projekt zur Verbesserung der Versorgung von Gewaltopfern (Virtuelle Gewaltopferambulanz. NRW)

Projektleitung

Prof. Dr. med. Sven Schmidt
Prof. Dr. med. Andreas Schmeling

MitarbeiterInnen

Stefanie Schlepper (Institut für Rechtsmedizin)
Karina Sensen, M.A. (Schule für Gesundheits- und Kranken-/ Kinderkrankenpflege)
Andreas Roterring, M.A. (Schule für Gesundheits- und Kranken-/ Kinderkrankenpflege)

Unterauftragnehmer

CompuGroup Medical Deutschland AG

Durchführungszeitraum

01.03.2017 – 28.02.2020

Projektfinanzierung

Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und durch das Land Nordrhein-Westfalen gefördert.

Beschreibung des Vorhabens

Zielstellung:

Wir beabsichtigen die Erstellung eines interaktiven Trainingsprogramms, das perspektivisch  sowohl im Studium an allen medizinischen Fakultäten als auch in der Ausbildung aller Krankenpflegeschulen im Bundesland Nordrhein-Westfalen Anwendung finden kann und das sämtliche in der klinischen Praxis relevanten Fallkonstellationen einer körperlichen Gewalteinwirkung abbildet. Es sollen insbesondere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen, die Kindesmisshandlung, aber auch Formen einer äußeren Gewaltanwendung gegenüber Männern, älteren und behinderten Menschen Berücksichtigung finden. Eine zentrale Stellung werden dabei die praktischen Schwierigkeiten einnehmen, die bei der Abgrenzung erkrankungsbedingter Befunde gegenüber Verletzungen durch äußere Einwirkungen, bei der Abgrenzung von unfallbedingten gegenüber fremdverursachten Verletzungen und bei der Abgrenzung von selbst- gegenüber fremdverursachten Verletzungen auftreten können.

Auf diese Weise sollen der Kenntnisstand der Studierenden und Auszubildenden nachhaltig verbessert und ihre Anwendungskompetenz sowie ihr intersektoraler Denkansatz in der späteren praktischen Tätigkeit gestärkt werden. Das Vorhaben wird neben der umfassenden Vermittlung theoretischer Wissensinhalte vor allem auch ein virtuelles Training der praktischen Routineabläufe im späteren Umgang mit gewaltgeschädigten Personen ermöglichen. Die Optimierung dieses Lernerfolges ist als wesentlicher Garant für den dringend gebotenen Abbau von Defiziten anzusehen, die sich gegenwärtig in der individuellen medizinischen Versorgung von Gewaltopfern, aber auch im gesamtgesellschaftlich zu verantwortenden juristischen Schutz der Rechtsgüter ´Gesundheit´ und ´Leben´ zeigen.

Die „Virtuelle Gewaltopferambulanz.NRW“ wird modular für den Einsatz in der universitären Ausbildung von Medizinstudierenden sowie für die Ausbildung in Kranken- und Pflegeberufen entwickelt. Sie soll perspektivisch auch der Schulung von Polizeibeamtinnen und -beamten sowie Sozialdienstmitarbeiterinnen und -mitarbeitern zugänglich gemacht werden und richtet sich damit an eine ganze Versorgungskette von Verantwortungsträgern.

Mit der Umsetzung des geplanten Projekts haben wir die Absicht, über eine im Internet verfügbare elektronische Lernplattform insgesamt 15 exemplarische, genderspezifische Fallsimulationen anzubieten, die auf realen, anonymisierten Gewaltopferfällen basieren. Innerhalb einer jeden simulierten Interaktion sollen die Studierenden und Auszubildenden durch gezielte anamnestische Fragestellungen, durch die eigene Planung des Untersuchungsganges, durch die virtuelle Einleitung weiterführender diagnostischer Maßnahmen (Labor, apparative Diagnostik), durch eine eigenverantwortliche Erhebung und Interpretation von Befunden sowie durch weiterreichenden Entscheidungen zur Dokumentation und Sicherstellung von Spuren ganz unmittelbar an die Erfordernisse im ambulanten und stationären Bereich herangeführt werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, alle bei der Einzelfallbearbeitung ergriffenen Maßnahmen in eine automatische Analyse einfließen zu lassen und dem Anwender so eine begründete, sach- und fachgerechte Bewertung der erbrachten Leistung zur Verfügung zu stellen. Geplant ist zudem, die Fallsimulationen durch vertiefende theoretische Präsentationen zu juristischen Aspekten der Gewaltopferversorgung, zur korrekten Befunddokumentation und Spurensicherung sowie zu den einzelnen Formen forensisch relevanter Gewalteinwirkungen und deren Unterscheidung zu ergänzen. Zusätzlich sollen den Studierenden und Auszubildenden auf dem geplanten Portal auch webbasierte MC-Fragen zur Selbstkontrolle des Lernerfolges zur Verfügung gestellt werden, um auf diese Weise eine rasche und zielgerichtete Optimierung des rechtsmedizinischen Lehrangebotes sicherzustellen.

Mit der „Virtuellen Gewaltopferambulanz.NRW“ werden die Zielgruppen dazu befähigt, die spezifischen Befunde gewaltgeschädigter Personen gerichtsverwertbar zu dokumentieren und relevante Spuren zu sichern. Auf diese Weise bietet das Vorhaben die wesentliche Voraussetzung für eine spätere Nutzung von Gewaltopfer-Beweissicherungs-Informationssystemen, wie iGOBSIS.

Bisherige Ergebnisse:

In der grobkonzeptionellen Initialphase des Projekts wurden in gemeinsamer Abstimmung zwischen dem Institut für Rechtsmedizin der medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Schule für Gesundheits- und Kranken-/ Kinderkrankenpflege des Universitätsklinikums Münster zunächst die mit dem geplanten E-Learning-Programm zu vermittelnden theoretischen Lerninhalte definiert. Auf dieser Grundlage konnten insgesamt 15 geeignete Fallkonstellationen entworfen werden, die sowohl für die ärztliche Ausbildung der Studierenden im Fachbereich Humanmedizin als auch für die Ausbildung in Kranken- und Pflegeberufen geeignet sind. Hierbei ließen sich alle in der ursprünglichen Planung vorgesehenen und in den betrachteten medizinischen Berufsgruppen relevanten Tatbestände abdecken.

Im Rahmen der Feinkonzeption werden gegenwärtig die spezifischen kasuistischen Inhalte aller Fallsimulationen erarbeitet und in Form von Storyboards dokumentiert. Diese beinhalten neben einer Vorgeschichte auch fallspezifische Anamnesefragen und körperliche Untersuchungsergebnisse, gegebenenfalls zusätzlich notwendige (Labor- oder auch bildgebende) Befunde, Vorgaben zur Fotodokumentation und Asservierung von Spurenmaterial sowie mögliche Handlungsoptionen. Das dementsprechend erforderliche Bildmaterial konnten wir mittels einer umfangreichen Datenbankrecherche bereits zum großen Teil aus realen Untersuchungsfällen des Instituts für Rechtsmedizin zusammentragen. Darüber hinaus ersuchten wir verschiedene Kliniken und Institute des Universitätsklinikums Münster um die Übersendung fachspezifisch weiterreichender Darstellungen und Befundberichte. Sofern nicht durch die Umstände eines zugrundeliegenden realen Falles vorgegeben, legten wir schließlich auch das äußere Erscheinungsbild der betroffenen Gewaltopfer zur späteren Umsetzung zeichnerischer Eingangsszenen fest.

Um eine die Fallbearbeitung begleitende, zusammenhängende fachliche Darstellung zur medizinischen Versorgung von Gewaltopfern anbieten zu können, vereinbarten wir anhand der erarbeiteten Lernziele verschiedene relevante Themenkomplexe. Auf dieser Grundlage haben wir mit der Erstellung von Präsentationen begonnen, die teils fallübergreifend allgemeine, teils gewaltspezifische Wissensinhalte vermitteln werden.

In enger Absprache mit der CompuGroup Medical Deutschland AG spezifizierten wir die Struktur der „Virtuellen Gewaltopferambulanz. NRW“, die jetzt für beide Module ambulante und stationäre Einrichtungen in jeweils vier Fachbereichen (Gynäkologie, Pädiatrie, Unfallchirurgie, Rettungsstelle) vorsieht. Seitens des Softwareentwicklers wurde der dementsprechende allgemeine Aufbau programmiert und eine grafische Darstellung des Eingangsbereiches erarbeitet. Für die im Hinblick auf die fachlichen Inhalte zwischenzeitlich fertiggestellten gynäkologischen Fallsimulationen konnte darüber hinaus auch die virtuelle Umgebung der verschiedenen Szenen (Warteraum, Sprechzimmer, Untersuchungszimmer) fertiggestellt werden. Derzeit werden die vorgegebenen fachlichen Daten und Algorithmen in das geplante Anwendungssystem implementiert. Parallel dazu erfolgt die Harmonisierung der fachspezifischen Inhalte aller pädiatrischen Fälle.