MS ist nicht gleich MS: Wegweisendes Projekt zeigt: Multiple Sklerose hat auf Zellebene drei verschiedene Erscheinungsformen

Heinz Wiendl, Luisa Klotz und Andreas Schulte-Mecklenbeck von der Universität Münster führten eine hochdimensionale Durchflusszytometrie durch, um MS in noch nie dagewesenem Detail zu beschreiben. Foto: Uni MS/Wibberg

Münster (sk) - Bisher haben sich auch Experten die Multiple Sklerose (MS) vorgestellt wie ein Theaterstück. Egal, ob auf der Bühne eine Tragödie von Shakespeare gezeigt wird oder ein bayerischer Schwank: Hinter den Kulissen passiert mehr oder weniger das gleiche. Egal wie facettenreich sie nach außen hin erscheint: Der Entzündungsprozess im zentralen Nervensystem ist ähnlich. Eine bahnbrechende Studie zeigt nun: Diese Annahme ist falsch. Vielmehr gibt es auch auf Zell-Ebene drei Subtypen der Krankheit. Jeder ist durch ein spezifisches Profil von Immunzellen im Blut gekennzeichnet und mit verschiedenen Krankheitsverläufen assoziiert. Dies ergab die Analyse der Blutproben von mehr als 500 MS-Patienten im Frühstadium, die nun im hochkarätigen Fachjournal Science Translationale Medicine veröffentlicht wurde.

Das internationale Forscherteam unter Leitung der Münsterschen Uniklinik für Neurologie hat so nicht nur einen Durchbruch im Verständnis der Krankheit erzielt. "Diese Ergebnisse sind auch ein entscheidender Schritt in Richtung Präzisionsmedizin bei MS", so Prof. Heinz Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie Koordinator der Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) entstand. „Indem wir die individuellen Variationen des Immunsystems von Patienten verstehen, kommen wir der personalisierten Behandlung näher, die effektiver ist und weniger Nebenwirkungen hat."

Konkret unterschieden Analysen aus Münster erstmals drei verschiedene Typen der immunologischen Aktivierung, die mit spezifischen Kennzeichen und Krankheitsverläufen einhergehen: den entzündlichen, den degenerativen und einen dritten, den die Wissenschaftler noch nicht im Detail beschreiben können. Patienten mit „entzündlicher“ MS litten im ersten Jahr nach der Diagnose unter mehr Krankheitsschüben und zeigten Läsionen, die auf eine Fehlfunktion der Blut-Hirn-Schranke hinweisen. Wer hingegen die degenerative Form der MS hatte, war von Anfang an schwerer betroffen und die Behinderung schritt schneller voran. Die Neuroimmunolog*innen fanden hier zudem winzige Löcher in der Hirnsubstanz, die Ursache für diesen schweren Krankheitsverlauf sein könnten. Es wird deutlich: Die MS entsteht auf verschiedenen Wegen und hat unterschiedliche Erscheinungsformen im Immunsystem. Kein Wunder, dass auch bestehende Therapien ganz unterschiedlich gut „anschlagen“.
Naturgemäß wirken anti-entzündliche Medikamente nur dann, wenn die MS durch eine Entzündung vorangetrieben wird. Steht hingegen der Abbau von Hirngewebe im Mittelpunkt, waren monoklonale Antikörper wie Alemtuzumab oder Ocrelizumab wirksamer.

Die Frage „Welche Therapie für wen?“ ist angesichts zahlreicher MS-Präparate zentral. Denn die meisten Medikamente müssen möglichst früh im Krankheitsprozess eingesetzt werden, da sich einmal zerstörtes Nervengewebe quasi nicht regenerieren lässt. Aktuell können bei der Suche nach dem richtigen Wirkstoff können schon einmal wertvolle Monate vergehen. Die nun gewonnenen Daten könnten das beschleunigen. Zudem kann man mit dem Immunzellprofil besser einschätzen ob schwere Nebenwirkungen auftreten: "Unsere Studie bietet Klinikern auch ein praktisches Instrument, um den Krankheitsverlauf und das Ansprechen auf eine bestimmte Behandlung vorherzusagen", erklärt Mitautorin Prof. Luisa und ergänzt zurückhaltender: "Dies könnte die Lebensqualität von MS-Patienten erheblich verbessern.“ Derzeit werden diese Analysen allerdings nicht im klinischen Alltag angewendet. Bis sie Standard sind, kann noch es Jahre dauern. Der Blick hinter die Kulissen der MS hat jedoch gezeigt: Immunsignaturen bieten das Potenzial, MS schneller, individueller und damit besser zu therapieren. Die aktuelle Studie hat den Weg dafür vorgegeben. Link zum paper. . .

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