Evolutionäre Genetik komplexer Erkrankungen

Die GWAS der vergangenen Jahre haben neben den krankheits-assoziierten SNPS auch Hinweise darauf gegeben, dass SNPs nicht zufällig im Genom verteilt sind, sondern dazu neigen in spezifischen Regionen mit Kopplungsungleichgewicht (LD) überhäufig vorzukommen. In vorhergehenden Studien (Preuss et al. 2011, Riemenschneider et al 2012) konnten wir zeigen, dass durch die Evolution getriebene Prozesse genomweit Einfluss auf die genetische Prädisposition komplexer Erkrankungen hat. Hierfür analysierten wir die genomweite Verteilung von krankheits-assoziierten SNPs basierend auf den Daten der Pilotphase des 1000 Genomes Projekts, einem Satz öffentlich zugänglicher GWAS-Daten und Meta-Analysen für drei der vier HapMap Populationen (CEU, AFR, ASN).  Wir beobachteten eine spezifische Häufung von krankheits-assoziierten SNPs  in Regionen ausgeprägten LDs, welche Gene mit Funktionen in der Immunabwehr beinhalten.  Detaillierte Analysen zeigten zudem starke Signale sog. selective sweeps für krankheits-assoziierte Varianten in Regionen mit einer Häufung von Genen der Immunabwehr.  Interessanterweise sind krankheits-assoziierte SNPs häufiger in Populationen unter Selektionsdruck zu beobachten als in Populationen, die einem solchen evolutionären Selektionsdruck nicht unterliegen. Unsere Daten weisen darauf hin, dass kontinuierlicher Selektionsdruck im Laufe der Evolution die genomische Architektur des menschlichen Genoms dahingehend verändert hat, dass sich Immunitätsgene in bestimmten, genomischen Region häufen. In diesem Prozess sammeln sich über genetic hitchhiking überproportional auch krankheits-assoziierte Varianten an, welche dann zur genetischen Prädisposition für komplexe Erkrankungen, wie z.B. Diabetes Typ I oder rheumatoide Arthritis, aber auch KHK, beitragen. Diese Befunde waren Grundlage für eine weitergehende Untersuchung im Jahr 2013 zur Rolle einer pro-inflammatorischen Prädisposition in der Ätiologie der KHK unter System-biologischen und evolutions-biologischen Aspekten. In einer umfassenden bioinformatischen Analyse unter Einbeziehung von GWAS-Daten der NHGRI GWAS Datenbank, sowie Ergebnissen einer Studie in Kooperation mit dem Institut für Immunologie (Prof. Johannes Roth) der Uniklinik Münster, in der wir spezifische SNP, Methylierungs- und Expressionsdaten in humanen, LPS- und MRP8-stimulierten Monozyten generierten, konnten wir zeigen, dass ein molekulares Netzwerk existiert, welches sowohl kardiovaskuläre als auch entzündliche Risikogene beinhaltet, und dass dieses Interaktionsnetz unter Selektionsdruck steht. Diese Ergebnisse erlauben erste Einblicke in die molekulare Struktur entzündlicher Gefäßerkranken und eine direkte molekulare Verbindung zwischen systemischer Entzündung und einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko.