10-15% der Nephronophthise-Patienten weisen auch Symptome an anderen Organen auf. Am häufigsten findet sich eine Augenbeteiligung im Sinne einer Retinitis pigmentosa. Auch eine Beteiligung des zentralen Nervensystems (ZNS) ist bei Nephronophthise nicht selten, z.B. kann bei einigen Patienten eine Aplasie des Kleinhirmwurmes mit Ataxie oder eine okulomotorische Apraxie bestehen. Weitere assoziierte Befunde beinhalten eine Leberfibrose, Zapfenepiphysen an den Knochen, eine cranioectodermale Dysplasie oder eine asphyxierende Thoraxdysplasie. Diese extrarenalen Symptome helfen bei der Planung einer schrittweisen molekularen Diagnostik (siehe Diagnose-Algorhitmus). Eine Auflistung aller bislang bekannten extrarenalen Symptome zeigt Tabelle 1.

  • Augen-Symptome
  • Leber-Symptome
  • ZNS-Symptome
  • Skelett-Veränderungen

Tabelle 1: Extrarenale Organmanifestationen und assoziierte Syndrome

Augenbeteiligung:

Retinitis pigmentosa

Senior-Løken-Syndrom
Arima-Syndrom (cerebro-oculo-hepato-renales Syndrom)
Alstrom-Syndrom (Übergewicht, DM II, Schwerhörigkeit)

RHYNS-Syndrom (+ Hypopituarismus + Skelttdysplasie)

 

Kolobome                                             

 

Joubert-Syndrom oder Joubert-verwandte Syndrome

Nystagmus

Joubert-Syndrom oder Joubert-verwandte Syndrome

Okulomotorische Apraxie     

 

 Cogan Syndrom

 

Skelettfehlbildungen:

Kurze Rippen

Jeune-Syndrom / asphyxierende Thoraxhypoplasie

Zapfenepiphysen

Mainzer-Saldino-Syndrom

Postaxiale Polydaktylie

Joubert-Syndrom oder Joubert-verwandte Syndrome

Bardet-Biedl-Syndrom

Ellis van Crefeld-Syndrom

Skelettdysplasie

Sensenbrenner-Syndrom/Kranio-ektodermale Dysplasie

Ellis van Crefeld-Syndrom

ZNS-Störungen:

Enzephalozele

Meckel-Gruber-Syndrom

Kleinhirnwurm-Aplasie / Ataxie

Joubert-Syndrom oder Joubert-verwandte Syndrome

Hypophyseninsuffizienz

RHYNS-Syndrom

Lebermanifestationen:

Leberfibrose                                          

               

 

Meckel-Gruber-Syndrom
Arima-Syndrom

Joubert-Syndrom oder Joubert-verwandte Syndrome

Andere Organmanifestationen:

Situs inversus

Kongenitale Herzfehler

Bronchiektasen

 

 

Senior-Løken-Syndrom

Etwa 10-15% der Nephronophthise-Patienten weisen eine Netzhaut-Degeneration auf. Der Begriff Senior-Løken-Syndrom steht hierbei für die Assoziation einer Nephronophthise mit einer Retinadegeneration. Grundsätzlich sind zwei Varianten einer Netzhauterkrankung in Verbindung mit der Nephronophthise beschrieben. Die schwerere Verlaufsform, die sogenannte Lebersche Amaurose, ist eine klinisch und genetisch heterogene Erkrankung, die bereits im frühen Säuglingsalter manifest wird und zu einem ausgeprägten Visusverlust mit Nystagmus und abgeschwächten Pupillenreaktionen führt. Die Netzhaut kann hierbei normal erscheinen oder unterschiedliche Grade einer Netzhautdystrophie mit Pigmentveränderungen aufweisen. Typisch ist ein ausgelöschtes oder stark abgeflachtes Elektroretinogramm. Die mildere Verlaufsform der Netzhautdegeneration, die mit einer Nephronophthise vergesellschaftet sein kann, wird als tapeto-retinale Degeneration bezeichnet. Betroffene Individuen haben eine stark eingeschränktes Gesichtsfeld und eine Nachtblindheit. Fundoskopisch zeigen sich eine Netzhautdystrophie und Pigmentveränderung unterschiedlicher Ausprägung.

Der Pathomechanismus der Retinopathie ist bislang ungeklärt. Neusten Erkenntnissen zufolge scheinen jedoch die gestörte Funktion von Verbindungs-Zilien und Zentrosomen der retinalen Photorezeptoren eine entscheidende Rolle zu spielen, an welchen Nephrozystin-Proteine  exprimiert werden. Diagnostiziert wird die Retinitis pigmentosa mittels Fundoskopie und Elektroretinographie. Das Auftreten einer Retinitis pigmentosa im Rahmen einer NPH variiert stark in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Mutation (z.B. 6-13% bei NPHP1-3, 33% bei NPHP4, 100% bei NPHP5 und NPHP6) [Hildebrandt F et al, J Am Soc Nephrol 2009, 20:23-35].

Okulomotorische Apraxie Typ Cogan

Die okulomotorische Apraxie Typ Cogan zeichnet sich durch eine Störung gerichteter horizontaler Blickbewegungen und einen optokinetischen Nystagmus aus. Den Patienten ist es unmöglich, horizontale Augenbewegungen zur Fixationsaufnahme in Gang zu setzen. Dies hat zur Folge, dass betroffene Individuen den Kopf in charakteristischen, ruckartigen Schleuderbewegungen in die gewünschte Richtung hin überdrehen, im Versuch ein Objekt dauerhaft zu fixieren. Die okulomotorische Apraxie Typ Cogan findet sich sehr selten in Verbindung mit einer Nephronophthise und kann Bestandteil des Joubert-Syndroms sein.

Leberfibrose

Gelegentlich findet sich bei Patienten mit Nephronophthise-ähnlichen Zilienerkrankungen auch eine periportale Leberfibrose, die klinisch mit einer Hepatosplenomegalie, Umgehungskreisläufen im Pfortaderstromgebiet und Gallengangsproliferationen auffällt. Eine Leberfibrose ist zudem Bestandteil des Arima-Syndroms (cerebro-okulo-hepato-renales Syndrom) sowie des Meckel-Syndroms.

Erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass Mutationen im MKS3/TMEM67/NPHP11-Gen eine entscheidende Rolle für den Phänotyp einer NPH-ähnlichen Ziliopathie mit Leberfibrose spielen [9]. So fand sich bei Vorliegen zweier trunkierender Mutationen in MKS3/TMEM67/NPHP11 der schwere Phänotyp eines Meckel-Gruber-Syndroms mit Gallengangsdysplasie. Bei Vorhandensein mindestens einer Punktmutation auf einem der beiden Allele zeigte sich klinisch ein milderer Nephronophthise-ähnlicher Phänotyp mit degenerativer Leberfibrose.

Zentrales Nervensystem

Abb. 3

Nephronophthise-Patienten können verschiedene Veränderungen im Bereich des zentralen Nervensystems aufweisen. Das Spektrum reicht von einer gering-gradigen Entwicklungsverzögerung bis hin zur ausgeprägten psychomotorischen Retardierung. Das kombinierte Auftreten verschiedener ZNS-Veränderungen zusammen mit einer Nephronophthise ist pathognomonisch für bestimmte mit der Nephronophthise assoziierte Syndrome:

  • Joubert-Syndrom: Typisch ist das gemeinsame Auftreten einer Aplasie des Kleinhirnwurms mit cerebellärer Ataxie, einer muskulären Hypotonie, einer okulomotorischen Apraxie, neonataler Tachypnoe, einer mentalen Retardierung und einer retinalen Degeneration. Es wird deshalb auch als cerebello-okulo-renales Syndrom bezeichnet. Als Folge der Kleinhirnwurm-Aplasie stellt sich in der Magnetresonanztomographie das sogenannte„Molar Tooth Sign“, auch Batman-Sign dar (Abb. 3). Eine Nephronophthise findet sich bei etwa 25% der Patienten mit Joubert-Syndrom.
  • Meckel-Gruber-Syndrom: Schweres Fehlbildungssyndrom. Typisch sind eine okzipitale Encephalozele, eine Mikrophthalmie und weitere Malformationen des zentralen Nervensystems sowie eine zystische Nierendysplasie,  eine Polydaktylie, ein Situs inversus, Gallengangsproliferationen und eine pulmonale Hypoplasie.
  • RHYNS-Syndrom: Typisches Kennzeichen hierfür ist das Auftreten einer Hypophyseninsuffizienz.

Skelettveränderungen

Knochenveränderungen im Zusammenhang mit Nephronophthise sind selten. Als häufigste skelettale Manifestation finden sich zapfenförmig veränderte Epiphysen im Bereich der Phalangen, auch als Mainzer-Saldino-Syndrom bekannt. Möglich ist ein gemeinsames Auftreten mit einer cerebellären Ataxie, einer Retinadegeneration und einer Polydaktylie. 

Das Jeune-Syndrom (asphyxierende Thoraxdysplasie) mit kurzen Extremitäten und hypoplastischem Thorax sowie das Ellis-van-Creveld-Syndrom mit Kleinwuchs, kurzen Extremitäten und Polydaktylie können ebenfalls mit einer NPH assoziiert sein.