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Weniger is(s)t mehr: Mediterrane Kost auf dem Weg zum Weltkulturerbe – und ein deutscher Mediziner als Berater dabei

Prof. Ulrich Keil ist Experte für die Risikofaktoren heutiger Ernährung – und daher Stammkunde auf dem münsterschen Wochenmarkt (Foto: Wesselmann)

Münster (mfm/tw) – Beim Essen sollten sich die Deutschen an der Küche der Mittelmeerländer orientieren, empfiehlt Professor Ulrich Keil. Denn: „Mediterrane Kost verlängert das Leben und steigert die Lebensfreude“. Der Mediziner sollte es wissen: Mehr als 16 Jahre lang leitete er das Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster. Als einziger Deutscher ist Keil nun in das wissenschaftliche Beratergremium der italienischen „L’Associazione per La Dieta Mediterranea: alimentazione e stile di vita“ berufen worden (Gesellschaft für Mediterrane Ernährung: Ernährungsverhalten und Lebensstil). Bei einem Besuch auf dem münsterschen Wochenmarkt spricht er über die wissenschaftliche Beschäftigung mit der leichten Kost – und fühlt sich gleich sichtlich wohl zwischen Tomaten und Olivenöl, Fisch, Nüssen und Knoblauchzehen.
Rückblick: Vor rund fünfzig Jahren stieß Ancel Keys, Professor an der University of Minnesota, die „Sieben-Länder-Studie“ an. Mit seinem Team untersuchte er über fünf Jahrzehnte hinweg die Häufigkeit von Herzkreislaufkrankheiten in den USA, Japan, Italien, Griechenland, in Jugoslawien, den Niederlanden und Finnland. Auf Kreta – Keys wertete die griechische Insel separat aus – war die Erkrankungsrate am geringsten, die Lebenserwartung lag weit höher als in den anderen untersuchten Ländern. Die Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass die Unterschiede vor allem auf die Ernährung zurückzuführen sind.
Keil steht am Fisch-Stand, der Wintermorgen ist klar und kalt. Heilbutt, Rotbarsch, Thunfisch, Seeteufel und Kabeljau liegen in der Auslage hinter dem Glas, das Fleisch ist weiß, zartrosa, dunkelrot. Fisch sei ein wichtiger Bestandteil der mediterranen Ernährung, erklärt Keil – aber der richtige müsse es sein: „Empfehlenswert ist vor allem Meeresfisch, der besonders viele Omega-3-Fettsäuren enthält.“ Die sind mehrfach ungesättigt und gelten als besonders gesund. Daneben gehören zur mediterranen Ernährung „viel Gemüse, vor allem Hülsenfrüchte, Obst, Brot, Kartoffeln, Nüsse, Wein in Maßen und Olivenöl – oder heimisches Rapsöl, das ist genauso gut“. Beim Fleisch wird Geflügel gegenüber rotem Fleisch bevorzugt. Das alles gibt es direkt vor dem Paulusdom. „Vor ein paar Jahren ging ich mit dem bekannten Ernährungswissenschaftler und Herzkreislaufforscher Serge Renaud aus Bordeaux über den Markt“, so Keil. „Der war ganz begeistert und sagte: ‚Ihr habt doch alles hier, was für die mediterrane Küche wichtig ist‘“.
Im September fand in Pioppi, einem kleinen Fischerdorf nahe dem süditalienischen Salerno, ein internationales Symposium der ‚L’Associazione per la Dieta Mediterranea‘ statt, der Gesellschaft, in der Keil Mitglied ist. Ancel Keys, der sich erstmals wissenschaftlich mit diesem Ernährungskonzept beschäftigt hatte, bezog hier schon in den 1960er Jahren Quartier und machte das unscheinbare Pioppi zur „Welthauptstadt“ der mediterranen Ernährung. 1975, nach seiner Emeritierung in Minnesota, zog er endgültig nach Pioppi – und publizierte mit seiner Frau Margaret das Standardwerk „How to Eat Well and Stay Well. The Mediterranean Way“. Auch Jeremiah Stamler wirkte jahrzehntelang hier – als Ehrenpräsident des diesjährigen Kongresses feierte er seinen 90. Geburtstag.
„Es war beeindruckend, Stamler ist seinem hohem Alter noch fit und kerngesund agieren zu sehen“, so Keil, der seit Oktober dieses Jahres emeritiert ist. Drei einfache Grundregeln machen ein hohes Alter wahrscheinlich: „Ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität und Verzicht aufs Rauchen“. Die mediterrane Diät ist dabei als ausgewogene Ernährung konzipiert – mit wenig rotem Fleisch und Eiern, und auch mit wenig Salz. In deutschem Brot, so Keil, sei davon viel zu viel enthalten: „Eine Sache der Gewöhnung. Würden die Bäcker den EU-Empfehlungen folgen und den Salzanteil schrittweise senken, würde sich daran schon bald niemand mehr stören“. Salz steigert den Blutdruck - und damit den wichtigsten Risikofaktor für Schlaganfall und einen der wichtigsten Risikofaktoren für Herzinfarkt und Herzinsuffizienz.
Spanien hat vor kurzem beantragt, die mediterrane Ernährung als Weltkulturerbe anzuerkennen; die Abgeordneten des Europäischen Parlaments setzten sich bereits dafür ein. Noch ist darüber nicht entschieden. Ancel Keys und Jeremiah Stamler, die das Konzept stark gemacht haben, sind damit jedenfalls alt geworden: Stamler feierte nun kerngesund seinen 90. Geburtstag, Keys verstarb 2004 im Alter von über 100 Jahren. Und Keil, der frisch emeritierte Professor, hält sich neben der mediterranen Kost auch mit Forschungsarbeit fit: Als Direktor des „Kooperationszentrums für Epidemiologie und Prävention von Herzkreislauf- und anderen chronischen Erkrankungen“, das die Weltgesundheitsorganisation (WHO) an der Universität Münster unterhält, sucht er weiter nach Ursachen und Risikofaktoren von Herz-Kreislauferkrankungen. Wichtiger als die Gewinnung neuer Erkenntnisse ist für ihn allerdings, „dass das vorhandene Wissen auf dem Sektor der Öffentlichen Gesundheit auch wirklich angewendet wird“.

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