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Warum das Gehirn doch nicht gefaltet ist wie ein zerknülltes Blatt Papier: WWU-Forscher widerspricht weltweit diskutierter Theorie
Münster (upm) - Zerknülltes Papier und Romanesco-Blumenkohl haben eines gemeinsam: Sie weisen eine fraktale Form auf. "Wissenschaftler diskutieren schon lange, ob auch die Wölbungen unseres Großhirns eine fraktale Form haben", erklärt Dr. Marc de Lussanet, Forscher an der Universität Münster (WWU). Der Grund: Mehr Wissen zu den Hirnfalten hilft zugleich, das Gehirn selbst, seine Entwicklung und mögliche Störungen zu verstehen. Einer 2015 erschienenen und viel beachteten Studie zu den mathematischen Gesetzmäßigkeiten der Faltung widerspricht Lussanet nun in einem Kommentar, der ebenfalls im „Science“-Magazin erschien: "Die Rechnung ist falsch".
Die Brasilianer Bruno Mota und Suzana Herculano-Houzel hatten ihre Erkenntnisse als Beleg dafür gewertet, dass die Faltung einer fraktalen Form entspricht. Das mathematische Modell der Forscher stellt eine Gesetzmäßigkeit her, nach der die Faltung der Hirnrinde von der Gesamtoberfläche und der Dicke der Hirnrinde abhängt. Demnach, so die Autoren, falte sich die Großhirnrinde der Säugetiere nach den gleichen Gesetzen, die zum Tragen kommen, wenn man ein Blatt Papier zusammenknülle.
Marc de Lussanet zeigt nun, weshalb diese Rechnung nicht stimmt: Das mathematische Modell lasse sich auf eine sehr viel einfachere, nicht-fraktale Form reduzieren. Diese einfachere Formel beschreibe die Messdaten sogar besser als das mathematische Modell der brasilianischen Wissenschaftler. Zudem decke eine verbesserte statistische Auswertung systematische Fehler des Modells auf. Somit müsse man die Theorie, nach der das Gehirn wie ein Papierkügelchen gefaltet ist, verwerfen, so de Lussanet.
"Paradoxerweise bedeutet dies jedoch nicht, dass das Gehirn keine fraktale Form hat", fügt er jedoch hinzu. "Denn meine Berechnungen führen zu neuen Ergebnissen, die auf eine von zerknülltem Papier abweichende, aber eindeutig fraktale Struktur der Großhirnrinde hinweisen." Um das Rätsel der Hirnfaltung zu lösen, seien allerdings nun weitere Studien notwendig, die die Vorhersagen des neuen Modells prüfen.
Fraktale haben eine besondere Form: Eines ihrer Merkmale ist die Ähnlichkeit mit sich selbst – die Strukturen, aus denen die Gebilde aufgebaut sind, wiederholen sich in unterschiedlichen Größenordnungen nach einer festen geometrischen Regel.
Dr. Marc de Lussanet ist studierter Biologe und Neurowissenschaftler mit einem Arbeitsschwerpunkt in der Sport- und Bewegungswissenschaft. Er begeistert sich seit Langem für Forschungsfragen wie die Koordination von Sehen und Bewegen oder die Evolution und Entwicklung von Körperformen (evolutionäre Entwicklungsbiologie). Lussanet leitet das Bewegungslabor "OpenLab" am Institut für Sportwissenschaft der WWU. Dort werden biomechanische, physiologische, neuronale und psychologische Grundlagen von Bewegung untersucht.
Links zu den Originalpublikationen
Studie von Buno Mota und Suzana Herculano-Houzel
Kommentar Dr. Marc de Lussanet
Die Brasilianer Bruno Mota und Suzana Herculano-Houzel hatten ihre Erkenntnisse als Beleg dafür gewertet, dass die Faltung einer fraktalen Form entspricht. Das mathematische Modell der Forscher stellt eine Gesetzmäßigkeit her, nach der die Faltung der Hirnrinde von der Gesamtoberfläche und der Dicke der Hirnrinde abhängt. Demnach, so die Autoren, falte sich die Großhirnrinde der Säugetiere nach den gleichen Gesetzen, die zum Tragen kommen, wenn man ein Blatt Papier zusammenknülle.
Marc de Lussanet zeigt nun, weshalb diese Rechnung nicht stimmt: Das mathematische Modell lasse sich auf eine sehr viel einfachere, nicht-fraktale Form reduzieren. Diese einfachere Formel beschreibe die Messdaten sogar besser als das mathematische Modell der brasilianischen Wissenschaftler. Zudem decke eine verbesserte statistische Auswertung systematische Fehler des Modells auf. Somit müsse man die Theorie, nach der das Gehirn wie ein Papierkügelchen gefaltet ist, verwerfen, so de Lussanet.
"Paradoxerweise bedeutet dies jedoch nicht, dass das Gehirn keine fraktale Form hat", fügt er jedoch hinzu. "Denn meine Berechnungen führen zu neuen Ergebnissen, die auf eine von zerknülltem Papier abweichende, aber eindeutig fraktale Struktur der Großhirnrinde hinweisen." Um das Rätsel der Hirnfaltung zu lösen, seien allerdings nun weitere Studien notwendig, die die Vorhersagen des neuen Modells prüfen.
Fraktale haben eine besondere Form: Eines ihrer Merkmale ist die Ähnlichkeit mit sich selbst – die Strukturen, aus denen die Gebilde aufgebaut sind, wiederholen sich in unterschiedlichen Größenordnungen nach einer festen geometrischen Regel.
Dr. Marc de Lussanet ist studierter Biologe und Neurowissenschaftler mit einem Arbeitsschwerpunkt in der Sport- und Bewegungswissenschaft. Er begeistert sich seit Langem für Forschungsfragen wie die Koordination von Sehen und Bewegen oder die Evolution und Entwicklung von Körperformen (evolutionäre Entwicklungsbiologie). Lussanet leitet das Bewegungslabor "OpenLab" am Institut für Sportwissenschaft der WWU. Dort werden biomechanische, physiologische, neuronale und psychologische Grundlagen von Bewegung untersucht.
Links zu den Originalpublikationen
Studie von Buno Mota und Suzana Herculano-Houzel
Kommentar Dr. Marc de Lussanet