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Bewusstseinstheorien auf dem Prüfstand: Torge Dellert für neue Erkenntnisse in der Psychophysiologie ausgezeichnet

Stellt mit seinen Forschungsergebnissen zentrale Annahmen der „Global Neuronal Workspace Theory“ in Frage: Dr. Torge Dellert mit EEG-Kappe vor dem MRT-Scanner (Foto: WWU / M. Heine).

Münster (mfm/nn) – Wie erzeugt unser Gehirn Bewusstsein? In der Neurowissenschaft gibt es dazu eine intensive Debatte: Während sensorische Ansätze davon ausgehen, dass Bewusstsein bereits während der frühen Sinneswahrnehmung entsteht, argumentiert ein anderes Lager, dass dies erst später geschieht - nämlich dann, wenn Informationen in einem weitverzweigten neuronalen Netzwerk verarbeitet werden. Auch Dr. Torge Dellert beschäftigt sich mit diesem Thema - und bezieht Position: Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Medizinische Psychologie und Systemneurowissenschaften der Universität Münster hat mit seiner Forschung gezeigt, dass bestimmte späte Hirnaktivitätsmuster, die in zahlreichen Studien beobachtet wurden, nur die Bearbeitung von Aufgaben widerspiegeln und nicht das eigentliche Bewusstsein. Diese Ergebnisse stellen eine zentrale Annahme der bislang vorherrschenden "Global Neuronal Workspace Theory" in Frage. Die Deutsche Gesellschaft für Psychophysiologie und ihre Anwendung (DGPA) hat dem Psychologen dafür ihren "Early Career Award" 2023 verliehen. Der Preis ist mit 1.500 Euro dotiert.

Als Teil seiner Dissertation an der Universität Münster führte Dellert eine Reihe von Studien durch, in denen er visuelles und auditives Bewusstsein, also die subjektive Erfahrung beim Sehen und Hören, untersuchte. In der ersten Versuchsreihe wurden den Teilnehmenden dafür Gesichter unter verschiedenen Bedingungen präsentiert. Zunächst erhielten sie eine Ablenkungsaufgabe, auf die sie sich konzentrieren sollten, sodass die Gesichter oft unbemerkt blieben. In der zweiten Phase wurden die Teilnehmenden explizit auf die Gesichter aufmerksam gemacht und in der dritten wurden die Gesichter dann aufgabenrelevant. Ähnliche Experimente führte Dellert auch mit gesprochenen Wörtern - also auditiven Reizen - durch.

Für eine weitere Studie entwickelte er eine neue experimentelle Vorgehensweise, mit der die bewusste Wahrnehmung aufgabenirrelevanter Reize noch detaillierter erfasst werden kann. Während der Versuche zeichnete Dellert die Gehirnaktivität der Teilnehmenden auf und analysierte sie anschließend. Anhand der Daten konnte der Forscher spezifische neuronale Aktivitätsmuster identifizieren, die mit der bewussten Wahrnehmung von Gesichtern oder gesprochenen Wörtern in Verbindung stehen. „Das bewusste Erleben von visuellen und auditiven Reizen kann demnach bereits während der ersten etwa 300 Millisekunden der Sinneswahrnehmung entstehen“, erklärt Dellert. „Bestimmte spätere neuronale Aktivitätsmuster hängen hingegen von kognitiven Prozessen wie der Entscheidungsfindung ab.“

Der „Early Career Award“ wird jährlich von der DGPA an Forschende unter 40 Jahren verliehen. Mit diesem Preis wird ein „hervorragender Beitrag zur Wissenschaft“ gewürdigt, der aus maximal vier Publikationen der letzten fünf Jahre besteht. Dank seiner mit Bestnote „summa cum laude“ bewerteten Promotion konnte Dellert seine Studien für eine Einreichung bei der DGPA nutzen. Obwohl sich der gebürtige Stader aktiv beworben hatte, war die Jury-Entscheidung eine freudige Überraschung: „Dass meine Doktorarbeit so wertgeschätzt wird, ist ein sehr schönes Gefühl“, freut sich Dellert und betont, dass der Erfolg nicht ohne Teamarbeit möglich gewesen wäre.

PubMed-Links zu den Dellert-Studien Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3