Übungen zur medizinischen Biometrie

 
1 Grundlegende Begriffe

1.1 Lernziele zu Kapitel 1

- Erkennen und Zuordnen der verschiedenen Merkmalstypen
   (
qualitativ nominal und ordinal, quantitativ stetig und diskret).
- Einordnen der Merkmale nach der Aufgabe im Versuchsplan
   (
Identifikationsgröße, Einflussgröße, Zielgröße).
- Bestimmen von
Grundgesamtheit, Stichprobe und Beobachtungseinheit.
- Erkennen der verschiedenen Untersuchungstypen
   (
retrospektive und prospektive Erhebung, Experiment).

1.2 Merkmalstypen

In wissenschaftlichen Untersuchungen werden Objekte oder Individuen, die sogenannten Beobachtungseinheiten, im Hinblick auf vorgegebene Fragestellungen untersucht. Diese Beobachtungseinheiten sind Träger von Merkmalen, die bei den verschiedenen Beobachtungseinheiten in unterschiedlichen Ausprägungen vorliegen. Sie können z. B. unterschiedliches Gewicht, unterschiedliches Alter oder unterschiedliche Farbe haben.



Man unterscheidet qualitative und quantitative Merkmale.

Ein Merkmal heißt qualitativ, wenn seine verschiedenen Ausprägungen begrifflich voneinander unterschiedene Kategorien ohne zahlenmäßige Ordnung sind, die sich gegenseitig ausschließen (disjunkt) und alle denkbaren Fälle abdecken.

Beispiel 1.1

- Geschlecht mit den beiden Ausprägungen männlich und weiblich



- Blutgruppe mit den Ausprägungen A,B,AB und 0



- Schweregrad einer Erkrankung mit den Ausprägungen leicht, mittel und schwer.



Wenn wie im Beispiel "Schweregrad einer Erkrankung" eine natürliche Ordnung zwischen den verschiedenen Ausprägungen gegeben ist, nennt man das Merkmal qualitativ ordinal. Wenn das wie im Beispiel "Geschlecht" und "Blutgruppe" nicht gegeben ist, nennt man das Merkmal qualitativ nominal.

Ein Merkmal heißt quantitativ, wenn seine unterschiedlichen Ausprägungen unterschiedliche Vielfache einer gegebenen Maßeinheit sind.



Beispiel 1.2

- Körpergröße in cm



- Gewicht in kg



- Leukozytenzahl



- Anzahl der Geschwister



Wenn wie im Beispiel "Körpergröße" und "Gewicht" zwischen je zwei Ausprägungen auch jeder dazwischenliegende Wert als Ausprägung des Merkmals denkbar ist, nennt man das Merkmal quantitativ stetig. Wenn das wie im Beispiel "Anzahl der Geschwister" und "Leukozytenzahl" nicht gegeben ist, nennt man das Merkmal quantitativ diskret.

Vor Beginn einer Untersuchung muss für jedes betrachtete Merkmal die Liste der möglichen Ausprägungen festgelegt werden. Nur anhand dieser Liste lässt sich der Typ des Merkmals erkennen, und nur wenn man den Merkmalstyp kennt, lässt sich bei gegebener Fragestellung die richtige statistische Auswertungsmethode bestimmen.
Die Liste der Ausprägungen eines Merkmals muss so beschaffen sein, dass sich je zwei verschiedene Ausprägungen gegenseitig ausschließen, und es muss auch jede denkbare Ausprägung genannt sein. Man sagt auch, die Liste der Ausprägungen muss disjunkt und vollständig sein.
Nur auf diese Weise ist sichergestellt, dass bei jeder Beobachtungseinheit der Untersuchung genau eine Ausprägung des betrachteten Merkmals vorliegt.
Die im Laufe einer Untersuchung an den Beobachtungseinheiten festgestellten Ausprägungen eines Merkmals sind die Daten. Diese sind Gegenstand der statistischen Auswertung.

1.3 Identifikationsgröße, Zielgröße, Einflussgröße

Die Merkmale, die in einer Untersuchung betrachtet werden, haben im Versuchsplan dieser Untersuchung unterschiedliche Aufgaben. Sie können auftreten als

- Identifikationsgröße,
-
Zielgröße,
-
Einflussgröße.

Identifikationsgrößen braucht man zur Identifikation der Beobachtungseinheiten. Dies wird z. B. bei Fehlerkontrollen erforderlich. Wenn z. B. bei Plausibilitätsbetrachtungen unmögliche Werte festgestellt werden, kann man nur mithilfe einer Identifikationsgröße feststellen, zu welcher Beobachtungseinheit dieser Wert gehört.
Außerdem braucht man Identifikationsgrößen, wenn in einer Untersuchung Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammengeführt werden müssen.

Beispiel 1.3

In einer klinischen Untersuchung sollen anamnestische Daten, Labordaten und Röntgenbefunde ausgewertet und in Beziehung gesetzt werden. Dies ist nur möglich, wenn es eine Identifikationsgröße gibt - z. B. eine Krankenblattnummer, oder Name, Geburts- und Aufnahmedatum des Patienten -, die in allen drei Datensätzen vorliegt.

Nur über diese Identifikationsgröße bzw. Identifikationsgrößen ist es möglich, die Daten, die zum gleichen Patienten gehören, zusammenzuführen. Dieses Beispiel zeigt auch, dass zur Identifikation möglicherweise mehrere Merkmale erforderlich sein können.

Zielgröße nennt man das Merkmal, das der eigentliche Gegenstand der Untersuchung ist. Eine Untersuchung kann mehrere Zielgrößen haben.

Beispiel 1.4

In Klinischen Studien zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) sind mögliche Zielgrößen
- die Überlebenszeit
- die Zeit bis zum Auftreten eines Rezidivs
- die Lebensqualität der behandelten Patienten

Einflussgrößen nennt man die Merkmale, die einen Einfluss auf die Zielgröße haben. Meist ist es Gegenstand der Untersuchung, einen solchen Einfluss nachzuweisen, ihn genauer zu beschreiben oder auch nachzuweisen, dass kein Einfluss besteht.

Beispiel 1.5

In Klinischen Studien zur Behandlung der AML sind mögliche Einflussgrößen
- das Alter
- die Therapie
- der Zelltyp
- das Geschlecht


Natürlich kann man in einer Untersuchung nicht alle Einflussgrößen erfassen. Man nennt die erfassten Einflussgrößen
Faktoren, die nicht erfassten Störgrößen.

Beispiel 1.6

In Klinischen Studien zur Behandlung der AML sind mögliche Störgrößen
- Stresssituationen
- psychische Situationen


Die Faktoren unterscheidet man weiter in zuteilbare und nicht zuteilbare Faktoren. Die zuteilbaren Faktoren werden den Beobachtungseinheiten zugeteilt, die nicht zuteilbaren sind fest mit den Beobachtungseinheiten verbunden.

Beispiel 1.7

In Klinischen Studien zur Behandlung der AML ist z.B. die Therapie ein zuteilbarer Faktor und das Geschlecht ein nicht zuteilbarer Faktor



1.4 Grundgesamtheit, Stichprobe, Beobachtungseinheit

Bei einer statistischen Untersuchung schließt man aus den Daten einer Stichprobe zurück auf die zugehörige Grundgesamtheit.
Die Grundgesamtheit ist die Menge der Objekte oder Individuen, über die man etwas aussagen möchte.

Beispiel 1.8

Eine mögliche Grundgesamtheit sind z.B. alle an AML erkrankten Patienten.


Die Stichprobe ist die Teilmenge der Grundgesamtheit, die man tatsächlich untersucht hat.

Beispiel 1.9

Eine mögliche Stichprobe sind z.B. die in einer Klinischen Studie behandelten Patienten mit AML.


Die einzelnen Elemente der Stichprobe sind die in einer Untersuchung tatsächlich beteiligten Beobachtungseinheiten.
Da die Stichprobe meist nur ein verschwindend kleiner Teil der Grundgesamtheit ist, ist der Rückschluss von der Stichprobe auf die Grundgesamtheit nicht unproblematisch. Damit er überhaupt sinnvoll ist, muss die Ziehung der Stichprobe so organisiert sein, dass sich in ihr die Verhältnisse der Grundgesamtheit widerspiegeln. Störgrößen bewirken oft eine systematische, nichtzufällige Verzerrung (Bias) von Stichproben.



1.5 Erhebung, Experiment

Bei statistischen Untersuchungen unterscheidet man die Typen "retrospektive Erhebung", "prospektive Erhebung" und "Experiment".

In einer retrospektiven Erhebung wird eine Fragestellung anhand von Daten bearbeitet, die in der Vergangenheit nicht im Hinblick auf diese Fragestellung erhoben wurden. Musterbeispiel für eine retrospektive Erhebung ist die Untersuchung einer Fragestellung anhand von routinemäßig erhobenen Daten.

Beispiel 1.10

In einer chirurgischen Klinik werden alle Krankenblätter von Patientinnen, die in den Jahren 1987 bis 1997 an Mammakarzinom operiert wurden, herausgesucht. Es wird festgestellt, welche Operationsmethode angewendet wurde, wie lange die einzelne Patientin überlebte und welche Todesursache vorlag.

Bei einer
prospektiven Erhebung werden die Daten erst nach Vorliegen der Fragestellung an einer zufälligen Stichprobe aus einer definierten Grundgesamtheit im Hinblick auf die Fragestellung neu erhoben.

Beispiel 1.11

In einer prospektiven Erhebung sollen die Nebenwirkungen eines Ovulationshemmers untersucht werden. Die Frauen einer Großstadt werden gebeten, sich für diese Studie zur Verfügung zu stellen. Aus der Menge der Frauen, die sich gemeldet haben (Grundgesamtheit), wird eine zufällige Stichprobe gezogen. In einem festgelegten Zeitraum werden Art und Zeitpunkt der aufgetretenen Nebenwirkungen registriert.

Das
Experiment erfüllt alle Voraussetzungen der prospektiven Erhebung. Zusätzlich wird mindestens eine zuteilbare Einflussgröße den Beobachtungseinheiten vom Versuchsleiter unter statistischen Gesichtspunkten frei zugeteilt.

Beispiel 1.12

In einer Klinischen Studie zur Behandlung der AML soll die remissionserhaltende Wirkung zweier Therapien A und B verglichen werden. Zielgröße ist die rezidivfreie Überlebenszeit nach Erreichen der ersten Remission. Sobald sich ein an AML erkrankter Patient bereit erklärt hat, an der Studie teilzunehmen, wird ihm eine der beiden Faktorstufen (Therapie A bzw. B) zufällig zugeteilt.

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