Forschung zum FAS
Aufruf zur Teilnahme an Forschungsprojekten
In den letzten Jahren ist die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die ihre empfundene Geschlechtsidentität im Widerspruch zu der ihnen zugeschriebenen Geschlechtszugehörigkeit erleben, deutlich gestiegen. Dies kann auch in der FASD-Ambulanz beobachtet werden. Um die Ursachen besser zu verstehen, suchen wir Familien mit FASD-Kindern oder -Jugendlichen, deren Geschlecht nicht (komplett) mit ihren körperlichen Merkmalen übereinstimmt (Geschlechtsinkongruenz) und die möglicherweise darunter leiden (Geschlechtsdysphorie). Gehört Ihr (Pflege oder Adoptiv-)Kind dazu? Wir möchten Ihnen dann gern einen Forschungsfragebogen zusenden. Bitte wenden Sie sich an feldrei@uni-muenster.de
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In den ersten Familien mit FASD-KInd sind FASD-Assistenzhunde im Einsatz. Wir möchten Familien mit FASD-Assistenzhund bitten, an einer Befragung teilzunehmen. Kontakt: feldrei@uni-muenster.de
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Für die große Bereitschaft, sich an der Studie zur Schulbegleitung bei Kindern und Jugendlichen mit FASD zu beteiligen, möchte ich allen Schulbegleiterinnem und Schulbegleitern, die sich gemeldet haben, schon jetzt herzlich danken. Die Interviewphase der Studie ist abgeschlossen.
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Die breite Problematik des FAS und seine Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und ihre Familien wird fortlaufend in wissenschaftlichen Studien untersucht.
Laufende Studien:
Nach klinischem Eindruck ist die Schädigung der sozialen und emotionalen Entwicklung, die Cannabiskonsum der Schwangeren beim Kind verursacht, beträchtlich und wird nur durch die von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft verursachten Leiden beim Kind übertroffen. Begonnen hat ein Screening der vielfältigen, überdauernden Schäden durch vorgeburtliche THC-Exposition bei Kindern und Jugendlichen mit FASD.
Die Studie zu kieferorthopädischen Veränderungen bei FASD (in Zsammenarbeit mit dem Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde des UKM) ergab unter anderem, dass die Messungen im 3D-Scan Gesichtsveränderungen durch vorgeburtliche Alkoholexposition zuverlässig der Diagnose FAS/pFAS zuordnen können. Wir wollen die Pilotstudie nun ausweiten und perspektivisch präzise Gesichtsmaße (Augen, Philtrum...) erfassen, die dann in Verfahren der sog. "Künstlichen Intelligenz" diagnostisch zugeordnet werden. Wieweit das Verfahren (3D-Gesichts-Scan) den menschlichen diagnostischen Blick unterstützen kann, wird sich erweisen müssen. Das Verfahren selbst ist sehr patientenfreundlich.
Humangenetische Veränderungen (Chromosomenstörungen) können differentialdiagnostisch sehr bedeutsam sein, wenn es um FASD geht. Eine Vielzahl der "genetischen" Syndrome bringt eine Symptomatik mit sich, die sich den FASD annähert. Zudem entstand in den letzten Jahren der Eindruck, als seien bei sicher FASD-betroffenen Kindern aber auch Chromosomenstörungen häufiger? Ist das familienbedingt? Bedingt die Häufung umgekehrt auch Suchtverhalten? Hier sind perspektivisch Screening-Studien erforderlich und werden derzeit vorbereitet.
Zu den Veränderungen bei Kindern und Jugendlichen mit FAS gehören schmale Lidspalten. Die Lidspaltenbreite ist diagnostisch relevant (Diagnoseleitlinie FASD). Dafür fehlen allerdings deutsche Normen. Geplant ist eine Studie zur Lidspaltenbreite bei Kindern und Jugendlichen.
Die Diagnostik bei Erwachsenen mit FASD kann nicht ohne weiteres auf die Diagnosepraxis bei Kindern und Jugendlichen mit FASD zurückgreifen. Etliche körperliche Veränderungen durch vorgeburtliche Alkoholexposition verstreichen mit der Zeit, sind etwa bei jungen Erwachsenen nicht oder kaum noch erkennbar. Die körperliche Diagnostik ist also weniger häufig zielführend. Bei älteren Patienten ist es oft auch so, dass viele Hinweise, die nach den Diagnosekriterien für Kinder und Jugendliche Bedeutung haben, nicht mehr greifbar sind. So fehlt die Information über den Alkoholkonsum der leiblichen Mutter deutlich häufiger als ohnehin bei dieser Patientengruppe. Aufgrund der langen Zeitläufe, aber auch der häufigen Wohnortwechsel der betroffenen Erwachsenen fehlen oft Dokumente, Unterlagen oder amtliche Berichte. Tatsächlich muss die Diagnose bei Erwachsenen mit FASD ganz neu aufgestellt werden. Körperliche Veränderungen werden diagnostisch weniger eine Rolle spielen, dagegen Störungen in den kognitiven, sozialen und emotionalen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Patienten mehr Beachtung verdienen. Perspektivisch dürfte sich vor allem die Biografie der Erwachsenen mit FASD als diagnostisch relevant erweisen. Menschen mit FASD haben womöglich eine sehr typische “Biografie des Scheiterns“. Viele der jungen Erwachsenen, die in unserer Studie untersucht werden, berichten von häufigem Lebensortwechsel (bis zur Volljährigkeitnicht selten ein Dutzend Lebensorte), von Brüchen in der Bildungsbiografie, auch von Schwierigkeiten und Konflikten in Partnerbeziehungen. Für eine verlässliche Diagnostik, aus der dann Leitlinien für die FASD-Diagnostik bei Erwachsenen entwickelt werden können, bedarf es hier guter, verlässlicher Vergleichsdaten.
Beendete Münsteraner Studien:
Zu den Aufgaben der FASD-Forschung gehört auch, die Spektrumstörung differenzialdiagnostisch von anderen Störungen, etwa der Autismus-Spektrumsstörung, abzugrenzen. Eine erste Arbeit auf diesem Gebiet konnte jetzt publiziert werden. Die Besonderheiten in der Intelligenztestung bei Kindern mit Autismus-Spektrumstörung sind sicherlich zu berücksichtigen, wenn sich die Frage stellt, von welcher Spektrumsstörung ein Kind betroffen ist. Bei den Kinder mit Autismus-Spektrumstörung zeigt sich insbesondere in der Verarbeitungsgeschwindigkeit eine Schwäche bei ansonsten insgesamt wenig eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten.
Frontalhirn-abhängige inhibitorische Kontrolle und Integrität fronto-parietale Netzwerke bei Erwachsenen mit FAS - eine Studie in Zusammenarbeit mit Prof. Dr.Dr. Pfleiderer und Dr. Sundermann (Münster, Oldenburg) konnte nun abgeschlossen werden. Dass die vorgeburtliche Alkoholexposition die Gehirnentwicklung schädigt, ist bekannt. Bekannt ist auch, dass Menschen mit einem FAS im Alltag viele Probleme haben, die das Denken, Entscheiden und Erinnern betreffen. Aber was genau ist in ihrem Gehirn anders? Das wollten wir in dieser Studie herausfinden. Sehr vereinfacht gesagt ist es so, dass Menschen mit FASD aufgrund ihrer Hirnschädigung Hirnareale stärker aktivieren müssen, um kognitive Aufgaben lösen zu können. Dabei werden nicht nur die üblicherweise aktivierten Hirnareale stärker gefordert, überraschend werden auch andere Hirnareale, auch aus der anderen Hirnhälfte, mit genutzt. Insgesamt ergibt sich für die Menschen mit FASD offenbar ein erhöhter Energieverbrauch im Gehirn, um zu dem Ergebnis zu kommen, für das sich Menschen ohne FASD weniger anstrengen müssen. Das Ergebnis ist auch für die Praxis interessant, da es Menschen mit FASD oft als Trägheit oder Ausrede ausgelegt wird, wenn sie nach wenigen Mathematikaufgaben oder anderen Aufgaben, bei denen sie nachdenken müssen, behaupten, sie seien erschöpft. Diese schnellere Erschöpfung geht offensichtlich auf einen faktischen Mehrbedarf an Energie bei der Problemlösung zurück.
Auch in den Münsteraner fMRI-Studien wurden nicht allein junge Menschen mit FAS untersucht. Vielmehr wurden auch junge Menschen mit Phenylkketonurie eingeladen, teilzunehmen. Die sehr unterschiedlichen Ergebnisse in der jeweiligen Kompensation der Hirnschädigung werden derzeit noch zusammengefasst und zur Publikation vorbereitet.
Einige der in der FASD-Ambulanz vorgestellten Kinder sind Adoptivkinder aus Osteuropa. Adoptiveltern wurden zu den Adoptionsbedingungen und zum Vorgehen der vermittelnden Einrichtungen befragt: Die Adoptiveltern erlebten die Arbeit der vermittelnden Einrichtungen weithin als unangenehm (Aufbau von Entscheidungsdruck, fehlende Informationen, kürzeste Kontakte zum Kind im Kinderheim), zudem fehlte es allgemein an der Bereitschaft der beteiligten Einrichtungen (einschl. Jugendämter), die Adoptivfamilien ab dem Moment des Wechsels des Kindes nach Deutschland weiter zu begleiten.
Eine Befragung von Betreuungspersonen zu ihren Kindern und Jugendlichen mit FASD in der "Corona-Krise" ergab ein buntes Spektrum an Veränderungen im Alltag der Familie und des Kindes selbst, Veränderungen, die zu einem erheblichen Teil positiv eingeschätzt wurden. Kinder und Jugendliche mit FASD, die arglos und verleitbar sind, sehr schnell auch Opfer werden, erlebten den Wegfall der Präsenzbeschulung als befreiend, entlastend und stimmungsaufhellend: "Jetzt muss ich nicht mehr in die Schule - und niemand kann mich ärgern. Das ist toll!" Erfahrungen mit "Home schooling", zuhause mit dem Kind, aber auch am Bildschirm mit den Lehrkräften, waren sehr unterschiedlich, was die kindliche Lernbereitschaft sowie Professionalität und Engagement seitens der Schulen/Lehrkräfte anging. Überwiegend wurde berichtet, dass der "Einzelunterricht" zuhause den leicht ablenkbaren und unkonzentrierten Kindern mit FASD mehr Lernerfolg brachte, als der Präsenzunerricht in der Schulkasse.
Untersucht wurde an über 300 Kindern mit FASD und an Kontrollkindern, wie häufig kieferorthopädische Veränderungen und entsprechender Behandlungsbedarf in beiden Gruppen ist. Dabei zeigte sich, dass es bei Kindern mit FASD von der Menge her keinen größeren Behandlungsbedarf gibt. Nicht eigens wurde die Intensität des Behandlungsbedarfes geprüft. (Dazu ist auf die Studien der hiesigen Kieferorthopädie zu verweisen, vergleiche auch Publikationsliste). Ein interessanter Befund war auch, dass der als typische Symptomatik beim FAS traditionell genannte hohe, gotisch ausgeformte Gaumen sich in ähnlicher Häufigkeit auch bei den Kontrollkindern fand. Auch hier gilt: Der reine Blickbefund wird in Zukunft nicht ausreichen. Die von den kieferorthopädischen Kollegen genutzte, sehr präzise Untersuchungsmethode des "Laser Scans" ergibt hier deutlich subtilere und verlässlichere Ergebnisse.
Zur Publikation angenommen wurde jüngst die Interpretation einer etwa 90 Jahre alten Untersuchung zu Winzerkindern im Kaiserstuhl. Damals wurde erforscht, wieweit der unter den Kindern der Weinbauern geläufige Alkoholkonsum der kindlichen Entwicklung schadet. Der Kaiserstuhl kam als Region infrage, weil dort damals die meisten Menschen vom Weinbau lebten und der intensive Alkoholkonsum aller Mitglieder der Winzerfamilien bekannt war.
Den Messungen zufolge waren die Kinder insgesamt nicht kleiner als die Kinder anderer Regionen. Auch waren sie in einem Testlauf gleich schnell oder sogar schneller als andere Kinder (obwohl sie bedingt durch die damalige Armut ihrer Region barfuß liefen). Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die weit über 3000 gemessenen Kinder durch ihren Alkoholkonsum keinen Schaden davon trugen.
Allerdings fiel im Verlauf der Studie auf, dass 10% aller Kinder ganz merkwürdige Veränderungen ihrer Gesichtszüge zeigten. Sie hatten schmale Lidspalten mit Epikanthus, dazu einen sehr flachen Nasenrücken. Nachdem bestätigt war, dass die Kinder kein Morbus Down hatten, blieb in der Studie nur die Vermutung, dass es sich um Gesichtszüge von Kindern asiatischer Einwanderer aus der Völkerwanderungszeit handeln müsse.
Heute können wir diese Gesichtsveränderungen sicherlich klar dem fetalen Alkoholsyndrom zuordnen. Dabei ist die Prävalenz von 10% nicht ungewöhnlich. In den Winzerfamilien war der "Haustrunk" üblich, also der Konsum von Wein, der nicht in den Verkauf ging. Winzer und Winzerinnen tranken davon im Durchschnitt mehrere Liter täglich. In anderen Wein produzierenden Regionen mit der Tradition des Haustrunkes, etwa in Südafrika, sind die Prävalenzraten bis heute sehr hoch, liegen ebenfalls bei 10%. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Veränderungen durch vorgeburtliche Alkoholexposition bei den betroffenen Kindern bereits vor 90 Jahren auffielen, jedoch noch nicht als Folge dieser Alkoholexposition erkannt wurden.
Vor zehn Jahren untersuchten wir die Anzahl von Kindern mit FAS in der Risikogruppe der Pflegekinder. Damals kamen wir auf einen Anteil von 23%. Umgerechnet auf alle Kinder in Deutschland ergab sich eine FAS-Prävalenz von ca. 30 auf 1000 Kinder. Hat sich im zeitlichen Verlauf die Zahl der von FAS betroffenen Kinder geändert? Dazu ist die zehn Jahre alte Studie nun wiederholt worden. Die Zahl der Pflegekinder mit FAS hat sich - im Kreis Vechta als Studienregion - auf 27% erhöht. Heute ist demnach eine Prävalenz von ca. 40 auf 1000 Kinder anzunehmen. Dabei ist die Studie sicherlich noch vielseitig auszuwerten. So hat der (bekannte) Alkoholkonsum unter den leiblichen Müttern leicht abgenommen. Gute Präventionsarbeit in den letzten zehn Jahren mag einerseits zu weniger maternalem Alkoholkonsum in der Schwangerschaft geführt haben, andererseits aber auch dazu, dass FAS heute bekannter ist und die entsprechende Symptomatik bei Pflegekindern auch häufiger gesehen wird.
Jugendliche und junge Erwachsene mit FASD können sich nicht gut an Regeln halten, sind arglos und sehr leicht verleitbar. Aus Konsequenzen ihres Handelns können sie nicht gut lernen, es passiert ihnen also das gleiche immer wieder. Es besteht die Gefahr, dass die Betroffenen aufgrund von kriminellen Handlungen (in die sie teils von anderen Jugendlichen hineingezogen wurden) und vor allem aufgrund der Wiederholung dieser Taten (z.B. Ladendiebstahl) Haftstrafen bekommen. Es ist zu erwarten, dass in den Justizvollzugsanstalten viele Menschen mit FASD einsetzen. In einer ersten, probeweisen Untersuchung an 28 jungen Frauen in einer JVA bestätigte sich diese Erwartung. Von den 28 inhaftierten Frauen, die den FASQ (Fragebogen zur Einschätzung des FASD) beantworteten, erreichten sechs den cut-off von 55 Punkten, bei dem von einem FASD auszugehen ist. Das sind etwa 21% der auskunftsgebenden Inhaftierten. Dieser erste Eindruck unterliegt Einschränkungen. 28 inhaftierte sind als Stichprobe klein. Es haben allerdings alle Frauen der Haftanstalt geantwortet, die der deutschen Sprache mächtig waren, und das war die Minderheit. In einer Folgestudie sollen nun nach Möglichkeit alle Inhaftierten jeglichen Geschlechts untersucht werden.
Im Landkreis Neustadt an der Aisch – Bad Windsheim sind der Bekanntheitsgrad von FASD und das Wissen um die Bedeutung von FASD schon seit vielen Jahren sehr hoch. Schon früh kamen Pflegekinderfachdienst und betroffene Pflegeeltern zu der Erkenntnis, dass FASD eine sehr große, teilweise entscheidende Rolle bei den Verhaltensauffälligkeiten und damit einhergehenden Erziehungsschwierigkeiten vieler Pflegekinder spielt. Jahrelang gab es jedoch nur geringe Kenntnisse zu der für viele Familien ganz wesentlichen Frage „Was hilft?“ – „Welche Unterstützungsmöglichkeiten und Fördermaßnahmen greifen?“, „Was brauchen FASD-betroffene Kinder und Jugendliche?“, „Was brauchen ihre Familien?" Aus dieser Bedürfnislage heraus entstand bei den Kooperationspartnern zur Unterstützung von Pflegefamilien – PFAD für Kinder NEA e.V., Pflegekinderfachdienst des Kreisjugendamts und Erziehungs- und Lebensberatungsstelle – die Idee, den betroffenen Familien über ein Projekt alltagsnah ganz praktische Hilfe anzubieten. Die Projektkonzeption wurde unter dem Titel „FASDKJ-Projekt NEA – Unterstützung von FASD-betroffenen Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien (im Landkreis Neustadt / Aisch – Bad Windsheim)“ bei Aktion Mensch eingereicht und letztendlich ab Sommer 2016 genehmigt und unterstützt. Durchführungszeitraum des Projekts war November 2016 bis Januar 2019. Familien mit FASD-Kind oder FASD-Jugendlichen bekamen geschulte, professionelle "Coaches". Aus den vielfältigen Ergebnissen der begleitenden Evaluationsstudie: auch über einen längeren Follow up-Zeitraum ergaben sich für die Pflegeeltern erhebliche Verbesserungen in der Lebensqualität (Entlastung, Stärkung, Erleben von Selbstwirksamkeit).
In Nordamerika und zuletzt in Deutschland entstanden Leitlinien für die FAS-Diagnostik. Eine Studie verfolgte die internationalen Leitlinienprozesse, ihre Vorzüge und ihre Fehler. Modelle künftiger guter Praxis in der Diagnostik vorgeburtlicher Alkoholschäden wurden entwickelt.
Die Gesichtsveränderungen (Hypoplasien), die viele Kinder mit FAS zeigen, betreffen nicht nur das Mittelgesicht, sondern sind auch kieferorthopädisch von Belang. Die Vielfalt der kieferorthopädischen Beeinträchtigungen wurde unter der Leitung von Prof. Dr. A. Hohoff (Poliklinik für Kieferorthopädie) erfasst. Die kieferorthopädischen Beeinträchtigungen sind sehr deutlich diagnostisch relevant. Die Publikation der Ergebnisse hat unterdessen begonnen.
Nach einer früheren Münsteraner Studie sind Jugendliche und junge Erwachsene mit FAS nicht deutlich suchtgefährdeter als gleichaltrige, nicht betroffene Menschen. Tatsächlich lehnen viele junge Menschen mit FAS Alkoholkonsum entschieden ab. Es sollte nun in einer größeren Befragung ermittelt werden, wieweit bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit FAS heute Abhängigkeiten (Drogen, Verhaltenssüchte) bestehen. Bei 44 Jugendlichen mit FASD und 44 altersgleichen gesunden Jugendlichen wurde das Konsumverhalten bezüglich Alkohol, Tabak, Drogen und Medien erfasst. Jugendliche mit FASD tranken weniger Alkohol, rauchten aber mehr (15%, dagegen 5% der Kontrollgruppe). Beide Gruppen nutzten gleich lange (je etwa fünf Stunden pro Tag) Medien wie PC oder Smartfone. Dabei unterschied sich die Motivation deutlich: gesunde Jugendliche betonten den „Spass“-Aspekt der Medien, Jugendliche mit FASD dagegen nutzten Medien, um sich von Alltagsproblemen, Konflikten und alltäglichen Niederlagen abzulenken.
Für Deutschland, bzw. Nordrhein-Westfalen existierten bisher keine Berechnungen über die ökonomischen Folgen von FASD. Anhand einer eigenen Stichprobe wurden Schätzungen erstellt, die sich mit der Frage nach den Folgekosten beschäftigten. Zunächst sind Fremdunterbringungen der Kinder in die Schätzungen eingeflossen. Dieser Punkt macht den größten Kostenfaktor aus. Weiter wurden die Ausgaben, die für besondere Förderung der Kinder nötig werden, miteinbezogen. Für 55 Kinder ließen sich die Häufigkeiten und die Verweildauer in Fremdunterbringungen, Schulbesuche und eventuelle Behandlungsmaßnahmen darstellen. Die Kosten der einzelnen Aspekte sind recherchiert und auf die Kohorte umgelegt worden. Die Ausgaben pro Kind dieser Stichprobe betrugen, bis zum Zeitpunkt der Befragung, geschätzte 200 000 €, bis zum 18. Lebensjahr der Kinder fast 260 000 €. In NRW leben etwas mehr als 9300 Kinder mit dem fetalen Alkoholsyndrom. Für diese Kinder ließen sich Ausgaben von jährlich ca. 134 120 000 € ermitteln. Bis sie ihr 18. Lebensjahr erreicht haben, verursacht ihre Erkrankung vermeidbare Ausgaben in Höhe von ca. 2,5 Milliarden €.
Kann von einem Verhaltensphänotyp bei FAS gesprochen werden? Treten typische Verhaltensweisen in Kombination auf? Variieren die Verhaltensweisen, die FAS-typisch sind, mit dem Alter und dem Geschlecht? Elternberichte zu 92 Patienten im Alter von 3- 28 Jahren wurden ausgewertet.Die Eltern berichten besonders intensiv über Probleme im „Lern- und Arbeitsverhalten“ der Kinder und Jugendlichen. FAS-Patienten sind insgesamt sehr unselbstständig und überdauernd auf fremde Hilfe angewiesen. Es fehlt ihnen an Eigenantrieb, Verantwortungsbewusstsein, der Fähigkeit, für ihre eigenen Bedürfnisse zu sorgen. In Kombination mit Naivität und Gutgläubigkeit lassen sich viele Patienten zu kriminellen Taten verleiten. Dissoziale Verhaltensweisen werden von vielen Bezugspersonen zunächst in Form von Lügen, Stehlen, Zerstörungen, dem Nichteinhalten von Regeln beschrieben, was zunächst noch im familiären Rahmen bleibt.
Die pränatale Alkoholexposition ist nicht geschlechtsspezifisch, schädigt weibliche und männliche Feten gleichermaßen und mit den gleichen Folgen für das spätere Erleben und Verhalten. In jeder Altersgruppe überwogen Schwierigkeiten im Lern- und Arbeitsverhalten. Für die 3 – 6 - Jährigen mit FAS wird besonders das Erlernen von Grundfähigkeiten wie Sprache, Wahrnehmung und Motorik als eingeschränkt berichtet, die Kinder zeigen zudem kein adäquates Distanzgefühl im Kontakt mit fremden Personen. Für die Gruppe der 7 – 10 - Jährigen wird zunehmend über Probleme im Sozialverhalten berichtet, über eine geringe Selbständigkeit und erstmals über delinquente Verhaltensmuster. Diese nehmen in der Altersgruppe der 11 – 17 - Jährigen noch zu, auch die geringe Selbstständigkeit stärker deutlich. Für die Gruppe der 18+ Jährigen wird eine wenig selbstbestimmte Lebensführung und zunehmende Delinquenz berichtet.
Differentialdiagnostik beim Diagnosekriterium "Wachstumsstörungen" der FAS-Leitlinien: Die Diagnosestellung FAS beinhaltet neben dem maternalen Alkoholkonsum die Säulen (1) Wachstumsstörungen, (2) Faziale Merkmale und (3) ZNS-Abnormalitäten. Das menschliche Wachstum aber hängt von einer Vielzahl von genetischen und umweltbedingten Faktoren ab und findet von Individuum zu Individuum in einem unterschiedlichen Maße statt. So bestimmt die intrauterine Versorgung maßgeblich das fetale Wachstum, daher werden die Faktoren in Ursachen maternalen (gestörte intrauterine Versorgung) und fetalen (ungestörte intrauterine Versorgung) Ursprungs unterteilt. Durch die Vielfalt von Faktoren und der Problematik der Messungenauigkeit stellt sich die Frage, inwieweit ein Festhalten an dem körperlichen Symptom der Wachstumsstörung als eine der diagnostischen Säulen zur Diagnose des FAS wirklich sinnvoll ist.
In unserer Untersuchung zum Nikotin- und Alkoholkonsum in der Schwangerschaft wurde kein additiver Effekt auf das Verhalten betroffener Kinder festgestellt, wenn die Mutter während der Schwangerschaft sowohl Alkohol trank als auch rauchte, verglichen mit alleinigem Alkoholkonsum. Zu vermuten ist, dass Alkohol, in größeren Mengen von der Mutter konsumiert, sich so stark im späteren Verhalten der Kinder niederschlägt, dass der mutmaßlich geringere Effekt des Nikotins sich nicht mehr feststellen lässt.
Sexualität und FAS: Unangemessene sexuelle Verhaltensweisen (USV) werden bei fast der Hälfte aller Erwachsenen mit Fetalem Alkoholsyndrom (FAS) berichtet. Allgemeine sexuelle Erfahrungen (SE) von Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS sind dagegen bisher kaum erfasst worden. Wie häufig werden SE bei Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS gemacht, und wie häufig treten bei ihnen USV auf? Eltern und Betreuungspersonen füllten für uns einen Online-Fragebogen zur Sexualität von 39 Jugendlichen und Erwachsenen mit FASaus. Eine Kontrollgruppe ohne syndromale Erkrankung wurde ebenfalls untersucht. Sexuelle Erfahrungen, so das Ergebnis, werden von Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS kaum seltener gemacht, als es in der Kontrollgruppe der Fall ist. Jugendliche und Erwachsene mit FAS zeigen – im Gegensatz zur Kontrollgruppe – recht häufig USV (Jugendliche mit FAS: 36%; Erwachsene mit FAS: 29%). Unsere Schlussfolgerungen: SE, aber auch USV kommen bei FAS häufig vor. Aufgrund der vermehrten negativen Lebensumstände bei FAS, der häufigen Verhaltensauffälligkeiten und der relativen körperlichen „Unsichtbarkeit“ der Behinderung ist es hilfreich, FAS frühzeitig zu diagnostizieren, um die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit FAS vor Viktimisierung und den ausgrenzenden Folgen der USV zu schützen.
Differenzialdiagnostik (Genetik): Etliche Dysmorphien beim FAS bestehen in ähnlicher oder nahezu gleicher Weise auch bei anderen, genetisch bedingten Krankheitsbildern. 22 genetisch bedingte Erkrankungen, mit denen das FAS verwechselt werden könnte, wurden umfänglich beschrieben (Definition, Geschichte, Epidemiologie, Pathogenese, Symptomatik, Diagnostik, Therapie, Prognose und schließlich Gegenüberstellung zum FAS).
FAS und Trauma: Zu Verhaltenssauffälligkeiten bei Kindern mit FAS gehören Distanzlosigkeit, Arglosigkeit, leichte Verleitbarkeit, geringes Lernen aus Erfahrungen und hohe Risikobereitschaft bei fehlendem Verständnis für Gefahren. Diese Verhaltensweisen zeigen auch Kinder, die traumatisiert wurden, vor allem Vernachlässigung und Misshandlung in der Herkunftsfamilie erlitten. Nicht selten wird die Ähnlichkeit der Symptomatik von seiten der Traumatherapie genutzt, um die Existenz des FAS und die Seriosität der FAS-Diagnostik zu bezweifeln. Bei aller Ähnlichkeit der Symptomatik des FAS und des kindlichen Trauma bestehen ebenso große Unterschiede, die im Alltag mit dem FAS von Pflege- und Adoptiveltern schnell bemerkt und von Fachleuten auch klar benannt werden. Die Biographien von 159 Kindern und Jugendliche mit FAS wurden untersucht, den Eltern und Betreuern der Patianten wurde der Fragebogen FASQ vorgelegt. Wir fanden, dass Kinder mit einem FAS im Durchschnittsalter von 3,6 Jahren durch das Jugendamt in Obhut genommen werden, dabei Mädchen recht genau ein Jahr früher als Knaben. Dieser Geschlechtsunterschied besteht nicht bei den Kindern, die unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen wurden (d.h. unmittelbar nach Geburt wurden nicht mehr Mädchen in Obhut genommen). Diese frühzeitige Inobhutnahme nach der Geburt geschah nur etwa bei einem Viertel der Kinder. Die später in Obhut genommene Mehrheit ist durchweg – und häufig auch mehrfach – traumatisiert. Die traumatisierten FAS-Kinder zeigen deutlich mehr Verhaltensauffälligkeiten als Kinder mit FAS, die unmittelbar nach der Geburt in Obhut genommen wurden. Bei traumatisierten FAS-Jungen zeigten sich höhere Werte in Fragen zur Aggression und zum Fehlen von Alltagskompetenz. Bei den traumatisierten Mädchen mit FAS zeigten sich höhere Werte in Fragen zu
Introversion (Rückzug, Interessenverlust) und zu geringer Eigenständigkeit. Formen der Misshandlung (Vernachlässigung, körperliche, seelische und sexuelle Gewalt) zeigen sich in der traumatisierenden Auswirkung quantitativ und qualitativ erwartbar unterschiedlich. Die Ergebnisse entsprechen weithin dem Kenntnis-Stand der Traumaforschung. So sehen wir geschlechtsspezifische Traumafolgen (mehr Extraversion bei den Jungen, mehr Introversion bei den Mädchen) auch bei FAS.
Four digit diagnostic code: Die 2012 publizierten S3-Leitlinien zur Diagnose des FAS benennen vier Diagnosekriterien: Wachstumsdefizite, Faciale Veränderungen, ZNS-Schädigung und Alkohol-Anamnese. Vorbild für diese Kriterien sind ältere Leitlininen aus den USA und Kanada, vor allem aber der „4-Digit Diagnostic Code“ von Susan Astley. Der 4-Digit Diagnostic Code wurde ins Deutsche übersetzt und in der Praxis zu erprobt. Bei guter Spezifität des 4-Digit Diagnostic Code (91% der FAS-Diagnosen mit diesem Instrument konnten bestätigt werden) besteht eine geringe Sensitivität (nur knapp 20% der FAS-Diagnosen in der FAS-Ambulanz bekamen einen hinreichenden Score). Es wurde nachgewiesen, dass der Score im 4-Digit Diagnostic Code in der Regel deshalb zu niedrig für eine Diagnosebestätigung war, weil Frau Astley eine reiche vorbefundliche ZNS-Diagnostik voraussetzt. Für ihr Verfahren werden mindestens zwei sichere Vorbefunde (Veränderungen in der Bildgebung, etwa MRT, dazu Abweichungen von mindestens zwei Standardwerten in psychologischen Testverfahren) erwartet, die allerdings hierzulande kaum eine Familie vorweisen kann. Die geringe Sensitivität des interesanten Verfahrens 4-Digit Diagnostic Code ist also als artifiziell zu bezeichnen. Defizite im emotionalen und sozialen Bereich sollten in den 4-Digit Diagnostic Code aufgenommen werden, um diese Schwäche des Verfahrens auszugleichen.
Vorgeburtliche Opioidexposition und soziale und emotionale Entwicklung: Während bei Alkoholkonsum in der Schwangerschaft die kognitiven, emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen des Kindes gut erforscht sind, ist die Auswirkung der Opioidexposition in utero auf die Entwicklung von Kindern bislang weitgehend unbekannt. Die langfristige kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft Heroin oder Methadon konsumierten, wurde untersucht. Die Untersuchungen ergaben, dass kognitive Defizite bei Kindern mit pränataler Alkoholexposition, pränataler Alkohol- und Opioidexposition sowie bei alleiniger Opioidexposition zunächst gleichermaßen bestanden. Im Verlauf (zwei Jahre in Pflege oder Adoption) zeigte sich, dass die kognitiven Leistungen von Kindern, die allein opioidexponiert waren, sich deutlich den Leistungen gesunder Kinder annäherten, während die Kinder nach Alkoholexposition (mit oder ohne ergänzender Opioidexposition) trotz guter Förderung keine kognitiven Verbesserungen aufwiesen. Auch zeigte sich, dass persistierende starke soziale und emotionale Defizite der Kinder deutlicher mit pränataler Alkoholexposition verbunden sind. Etwas geringer, dabei ebenfalls im Zeitverlauf unverändert sind die Defizite bei pränatal alkohol- und opioidexponierten Kindern. Kinder nach ausschließlicher Opioidexposition zeigen eine ausschließlich externalisierende Symptomatik, die sich über die Zeit nicht bessert. Eine ergänzende Suche nach protektiven Faktoren für eine gute kognitive Entwicklung der Kinder ergab, dass eine frühe Aufnahme in eine Pflegefamilie und – erwartbar – geringer oder fehlender Alkoholkonsum in der Schwangerschaft von großer Bedeutung sind.
Familiäre Belastung durch FAS: Zu den Merkmalen des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) gehören die starken emotionalen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen der betroffenen Kinder. Bislang fehlten solide Studien, die die Belastungen von Pflege- und Adoptiveltern mit einem an FAS erkranktem Kind erfassen. Es ergab sich, dass jüngere Pflegeeltern sich als belasteter beschreiben. Ebenso beschreiben sich religiös orientierte Pflegeeltern als belasteter. Geringer belastet erleben sich Pflegeeltern, wenn sie das FAS ihres Pflegekindes nicht nur einem engen Familienkreis bekannt gemacht haben, sondern durchaus allen Personen in ihrem weiteren Umfeld. Andererseits waren es diese Eltern, die dann auch mehr kritische Kommentare zu ihrem Pflegekind mit FAS hören mussten. Dabei sind einige Ergebnisse den Erwartungen entsprechend – so sind ältere Pflegeeltern gelassener, haben Copingstrategien, die jüngeren Pflegeeltern noch nicht zur Verfügung stehen. Dass es hilfreich ist, die Erkrankung des Kindes nicht zu verbergen, erscheint plausibel – ebenso wie die Tatsache, dass Eltern mehr Kritik erfahren, wenn sie bekannt machen, dass sie ein krankes Kind angenommen haben. Überraschend ist wohl, dass dabei aber die positiven Erfahrungen doch die erlebten negativen Umweltreaktionen zu überwiegen scheinen.
Epidemiologie: Obwohl seit der Erstbeschreibung des FAS im Jahre 1968 (Lemoine) viel über das Krankheitsbild geforscht wurde, ist die Kenntnislage über die Prävalenz und Inzidenz des Syndroms immer noch unbefriedigend. Für viele Länder existieren keine eigene Daten, sondern nur Schätzungen, die auf den Ergebnissen von anderen Ländern basieren. Da jedoch die Trinkgewohnheiten und Bevölkerungsstrukturen von Land zu Land stark variieren können, sind diese Übertragungen nicht exakt und können nur ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit abgeben. Wir wählten eine ländliche (Vechta) und eine kleinstädtische Region (Kreis Soest) und baten alle Pflegeeltern, ihr Pflegekind mit dem FASQ (Fetal Alcohol Syndrome Questionnaire) einzuschätzen. Der FASQ als Screeningverfahren erlaubt, Kinder mit einem FAS differentialdiagnostisch sicher zu identifizieren. Die Rücklaufquote war mit über 50% recht hoch. Der Anteil der Pflegekinder mit einem FAS lag bei 23%. Wir nehmen für weitere Berechnungen Studien zur Grundlage, denen zufolge 80% der Kinder mit einem FAS in Obhut genommen werden und berechnen aus der Zahl der in Deutschland in Obhut lebenden Kinder (das sind Pflege- und Adoptivkinder sowie Kinder in Heimen) die Gesamtzahl der FAS-Kinder bundesweit. Das sind gut 40.000 Kinder mit FAS im Land, das entspricht einer Prävalenz von 3 zu 1000 Kindern. Jährlich werden demnach in Deutschland ca 2050 Kinder mit einem FAS geboren.
Frühgeburtlichkeit und FAS: Etwa die Hälfte der Kinder mit FAS werden zu früh geboren. Frühgeburtlichkeit ist für sich selbst genommen bereits ein Risiko für körperliche und geistige Entwicklungsverzögerungen. Wir verhalten sich Frühgeburtlichkeit und FAS zueinander? Wir untersuchten 30 zweijährige Kinder mit FAS, dazu 31 zweijährige Kinder nach komplikationsloser Frühgeburt und 17 zweijährige frühgeborene Kinder mit medizinischen Komplikationen (Bronchopulmonaldysplasie, Hirneinblutungen). Genutzt wurden die Bayley Scales of Infant Development – Second Edition. Kinder mit FAS und frühgeborene Kinder mit medizinischen Komplikationen zeigen deutliche - und ähnliche - körperliche und geistige Entwicklungsverzögerungen. Die Kinder nach komplikationsloser Frühgeburt haben eine weitgehend normale körperliche und geistige Entwicklung. FAS-Kinder, die zu früh geboren wurden, zeigen eine bessere körperliche und geistige Entwicklung als FAS-Kinder nach normaler Dauer der Schwangerschaft. Insgesamt zeigt die Studie, dass FAS-Kinder als Gruppe in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung so verzögert sind, wie frühgeborene Kinder, bei denen es perinatal medizinische Komplikationen gab. Frühgeburtlichkeit selbst scheint die Entwicklung bei FAS nicht noch eigens zu verschlechtern. Im Gegenteil ist es wohl so, dass sich frühgeborene Kinder mit FAS besser entwickeln. Das mag daran liegen, dass diese Kinder über einen kürzeren vorgeburtlichen Zeitraum alkoholexponiert waren.
Augen und FAS: Alkohol wirkt auf das ungeborene Kind bereits in kleinen Mengen toxisch. Er hemmt Zellteilung und Zellwachstum, das Kind bleibt auch später noch zu klein. Alkohol wirkt auch missbildend, verändert das Aussehen der Kinder (faziale und andere Dysmorphien). Die Augenveränderungen (schmale Lidspalten, Telekanthus) gelten heute als diagnostisch richtungweisend und sind Teil der Diagnostik des FAS gemäß den S3-Richtlinien zum Fetalen Alkoholsyndrom. Bislang fehlte eine solide Zusammenstellung der vorbestehenden Untersuchungen zu Augenfehlbildungen bei FAS. Zudem bestanden keine deutschen Studien zur Häufigkeit der Augenbeteiligung beim FAS. Die Augenfehlbildungen und Funktionsstörungen wurden bei 99 FAS-Kindern erhoben. Refraktionsstörungen und Strabismus treten bei Kindern mit FAS sehr deutlich häufiger auf als bei gesunden Kindern.
Therapeutisches Reiten: Bislang sind spezielle Therapien für Kinder mit FAS nicht verfügbar, und psychiatrische und psychotherapeutische Maßnahmen sind wenig geeignet. Eltern von FAS-Kindern berichten im Versorgungsalltag von guten Erfolgen Therapeutischen Reitens (TR) für ihre Kinder. TR findet zwar verbreitete Anwendung, diese Anwendung allerdings wurde weltweit nur in Ausnahmefällen wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Anzahl der publizierten Therapiestudien steht in keinem Verhältnis zur Häufigkeit des TR als Therapiemaßnahme für Kinder und Jugendliche. Das Münsterland stellt neben Texas und einigen osteuropäisch/asiatischen Regionen einer der weltweiten Hot spots für TR dar. Angewendet wird TR als Hippotherapie zur Verbesserung motorischer Funktionen bei Cerebralparese, bei Rückenmarksverletzungen und Multipler Sklerose. TR im weiteren Sinn wird auch bei Entwicklungsstörungen des Kindesalters (Autismus, Spracherwerbsstörungen, Essstörungen) durchgeführt. Die zusammengetragenen Therapiestudien berichten leicht überwiegend von guten therapeutischen Erfolgen. Detaillierte Angaben zu Dauer, Setting und Gestaltung des TR ebenso wie Angaben zu Dauer und Wirkfeldern des Therapieerfolges wurden von Eltern erfragt, die sich über einen Aufruf der FAS-Ambulanz zur Studienteilnahme bereitfanden. Insgesamt konnten 30 Elternpaare befragt werden, deren Kinder, 20 Mädchen und zehn Jungen, therapeutische Reitstunden bekamen. Die Befragung ergab einen frühen Beginn der therapeutischen Wirksamkeit des TR, die sich mit der Therapiedauer festigt, dies gilt vor allem für ein wachsendes Selbstbewusstsein der FAS-Kinder. Eine Interventionsdauer von 30 Minuten wurde als wirksam beschrieben, eine zeitliche Ausdehnung verbesserte das Ergebnis nicht. Therapeutisch wirksam bezüglich des Selbstwertgefühls des Kindes mit FAS erscheint der Kontakt zum Tier. Qualifikationen des Therapeuten und Therapiesetting tragen nicht signifikant bei, allerdings profitieren die leicht ablenkbaren Kinder mit FAS tendenziell von Einzelsitzungen. Von erheblicher Bedeutung ist der „Therapieinhalt“. Beim TR steht anders als bei der Hippotherapie nicht allein das Reiten im Vordergrund, sondern mindestens ebenso die Versorgung und Pflege des Tieres. Hier war es vor allem die Boxenpflege, die bei Kind mit FAS das Verantwortungserleben und das vorausschauende Denken erheblich besserte. Das zunächst überraschende Ergebnis, demzufolge dieser Effekt nur für Mädchen mit FAS zutraf, ging nach weiterer Datenanalyse darauf zurück, dass sich alle zehn männlichen Studienteilnehmer der - sicherlich etwas mühsamen – Boxenpflege erfolgreich entzogen hatten.
Schullaufbahn bei FAS: Zu den Merkmalen des Fetalen Alkoholsyndroms (FAS) gehören die emotionalen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen der betroffenen Kinder. Die Kinder zeigen ständige motorische Unruhe, Nervosität, dauernd ändernde Interessen, Ungehemmtheit und Impulsivität im Sozialverhalten. Die Kinder sind leicht ablenkbar und zeigen häufig Aufmerksamkeit heischendes Verhalten. In der Schule fallen die Kinder auf, weil sie nicht still sitzen können und ständig undiszipliniert sind, was auch für die Mitschüler zum Problem werden kann. Nur wenige Kinder mit FAS können die Regelschule besuchen und erreichen einen Schulabschluß. Berufliche Qualifikationen sind bei Jugendlichen mit FAS selten. Eine aufwändige kontrollierte Querschnittstudie an Kindern und Jugendlichen mit FAS konnte die für die Kinder und Jugendlichen mit FAS bestehenden Probleme in den Bereichen der Ausbildung, der sozialen Eingliederung und der Selbständigkeit sehr differenziert erfassen. Dabei richtet sich der Blick auf verschiedene Lebensbereiche, in denen die betroffenen Kinder und Jugendlicher weit schwerer zurecht kommen als gesunde Probanden der Kontrollgruppe. Es entsteht ein Bild von der Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen mit FAS in Deutschland, das in dieser detaillierten Form bislang nicht existierte.
Bedeutung der Diagnosestellung: Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit FAS zeigen mehrheitlich eine übersteigerte Distanzlosigkeit, sie sind leichtgläubig, naiv und handeln unbedacht. So laufen sie Gefahr von anderen Menschen ausgenutzt und verleitet zu werden, da sie gegenüber Fremden zutraulich reagieren und auf ein freundliches Wort hin gerne Folge leisten. Sie sind die typischen „Mitläufer“, die sich für die (kriminellen) Aktivitäten Anderer ausnutzen lassen und bereits in jungen Jahren straffällig oder auch Opfer sexueller Übergriffe werden. Welche Diagnosen bekommen die betroffenen Kinder? Welche biografischen Auswirkungen hat die Diagnose „FAS“? Die Kinder der Patientenstichprobe waren durchschnittlich im Alter von sechs Jahren in der Münsteraner FAS-Ambulanz diagnostiziert worden. Bis zum Telefoninterview waren im Schnitt weitere sechs Jahre vergangen. Für die FAS-Kinder – im Vergleich zu den gesunden Kindern der Familie - berichten die Eltern von sehr häufigen Wechseln des Wohnumfeldes, von häufiger Rückstellung bei der Einschulung, von deutlich geringerem Schulerfolg, von sozialen Störungen (bei 75% der FAS-Kinder und zwischen 4% und 14% der gesunden Kinder), von einem erhöhten Bedarf an Förderung und psychiatrischer Betreuung. Bei 30% der Kinder war vorab andernorts die Diagnose „ADHS“ gestellt worden (davon 41% Mädchen), weitere 30% hatten die Diagnose „Entwicklungsverzögerung“. In der Zeit nach der Diagnosestellung „FAS“ nahmen soziale Auffälligkeiten der Kinder sehr deutlich ab. Patienten erfuhren nach der Diagnose mehr Zuwendung, Verständnis und Förderung; Eigenakzeptanz und Selbstwertgefühl wuchsen. Erfolgte die Diagnose früh, blieben die sozialen und emotionalen Auffälligkeiten des Kindes im weiteren Verlauf deutlich geringer als bei gleichaltrigen Patienten, die spät (ab dem 6. Lebensjahr) diagnostiziert wurden. Für früh diagnostizierte Kinder konnten mehr Fördermaßnahmen genutzt werden. Entspannung ergab sich bei zeitiger Diagnose auch im familiären Alltag. Frühe Diagnosen nehmen den (Pflege-)Eltern Zweifel und Versagensängste bezüglich der Kindeserziehung. Zudem eröffnen sie einen leichteren Zugang zu fachlicher Unterstützung. Eine späte Diagnose vermag in einigen Fällen noch die lange herrschenden emotionalen Spannungen in der Familie mildern.
FAS im Erwachsenenalter: Zu den Merkmalen des FAS gehören auch die teils erheblichen kognitiven Defizite der betroffenen Kinder. Im Denken und Handeln zeigt sich eine Naivität, die man als „persistierende Infantilität“ bezeichnen kann. Es werden bis ins Erwachsenenalter hinein unrealistische Wünsche, unerfüllbare Zukunftshoffnungen und kindliche Gedanken zu Beruf, Freizeitgestaltung, Kleidung und Lebensführung geäußert. Mädchen mit FAS, die auf fremde Zuwendung gutgläubig antworten, nicht selten selbst in offensiv sexualisierter Weise Kontakt suchen, sind in besonderem Maß gefährdet. Leicht verführbar sind auch die Jungen, die sich Gleichaltrigen anschließen wollen. Jugendliche mit FAS sind spontan nicht häufiger delinquent als ihre Altersgenossen, lassen sich aber leichter und stets unwissentlich für kriminelle Zwecke einspannen. Da inzwischen viele unserer Patienten das Erwachsenenalter erreichten, stellte sich die Frage, wo und wie unsere Patienten nach dem Ende der pädiatrischen Begleitung leben. Ein ausführliches telefonisches Interview mit Eltern und Betreuern sollte uns darüber Auskunft geben. Von besonderem Interesse sind die inhaltlichen Befunde, denenzufolge eine große Mehrheit von jungen Erwachsenen mit FAS Opfer von Straftaten (sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, Erpressung) wird. Auch finanzielle Ausnutzung erleben die FAS-Patienten häufig. Dagegen ist die Suchtgefahr bei jungen Erwachsenen mit FAS nicht so bedrohlich stark, wie es einzelne amerikanische Studien für die USA andeuten. Junge Erwachsene mit FAS werden selbst nicht ungewöhnlich häufig alkoholkrank. Psychische Störungen dagegen treten bereits bei jungen Erwachsenen mit FAS stark gehäuft auf und erfordern psychologisch-psychiatrische Behandlung.
FASQ: Die Diagnostik des FAS geschieht bislang weithin nur unter Berücksichtigung der körperlichen Veränderungen des Kindes (Minderwuchs, Mikrocephalie, faziale Stigmata). Eine Mehrheit vom FAS betroffener Kinder kann so nicht sicher diagnostiziert werden. In der FAS-Ambulanz der Universitätskinderklinik Münster wurde daher ein Kurzfragebogen entwickelt, der die faktorenanalytisch ermittelten, bedeutsamsten 38 Fragen zu sozialen und emotionalen Auffälligkeiten des Kindes enthält. Der Kurzfragebogen wurde in einer großen, kontrollierten Studie evaluiert. Der Kurzfragebogen wurde Eltern von 112 Kindern mit FAS, 35 Kindern mit ADHS und 112 gesunden Kindern vor-gelegt. In der Itemanalyse wurden die 38 Fragen des Kurzfragebogens hinsichtlich Schwierigkeit, Trennschärfe und Homogenität. bewertet Die beträchtliche Differenzierungsfähigkeit des Fragebogens (richtige Zuordnung der Ergebnisse zu einer der Patientengruppen oder der Kontrollgruppe) wurde für die Gesamtgruppen sowie für fünf Altersgruppen nachgewiesen. Von besonderem Interesse sind die altersbezogenen Befunde, denen zufolge bereits junge FAS-Patienten das vom Fragebogen erfasste Störungsbild in ausgeprägter Form (iSv sozialen und emotionalen Störungen) aufweisen. Es erscheint ein „Phänotyp“ der Verhaltensstörung, der uns das FAS von der vermeintlich ähnlichen Störung ADHS zuverlässig unterscheiden hilft.
FAS-Erste-Hilfe-Koffer: Zu den Merkmalen des FAS gehören auch die teils erheblichen kognitiven Defizite der betroffenen Kin-der. Im Denken und Handeln zeigt sich eine Naivität, die man als „persistierende Infantilität“ bezeichnen kann. Im Alltag mit den betroffenen Kindern erleben Eltern, dass die Kinder nur langsam lernen, Lern-inhalte auch wieder vergessen, dazu Regeln nicht gut verstehen und einhalten können. Die Orientierung in Zeit und Raum fällt den Kindern schwer. Zudem zeigen die Kinder vielfältige soziale und emotionale Auffälligkeiten. Der erzieherische Umgang mit FAS-Kindern überfordert viele Eltern. Gängige pädagogische Praxis wird den alkoholgeschädigten Kindern mit ihren Defiziten nicht gerecht. In der FAS-Ambulanz der Münsteraner Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin wurden für betroffene Familien alltagspraktische Hilfestellungen entwickelt, die von den Schwächen und Stärken alkoholgeschädigter Kinder ausgehen und Eltern und Kindern Orientierung und Handlungsanleitung in leicht fasslicher Form anbieten ("FAS-Erste-Hilfe-Koffer“). Die Materialsammlung umfasst Wissensvermittlung und Anleitung zu Verhaltensänderungen im Alltag. Das Material ist teilweise dazu gedacht, in der Wohnung der Familien ausgehängt zu werden (Bilderreihen zur kindlichen Orientierung bei Alltagsroutinen). In einer kontrollierten Studie wurde das erstellte Material im Alltag von 72 betroffenen Familien erprobt. Die Eltern sollten die eigene Belastung im Alltag einschätzen. Wir nutzten den Lebensqualitätfragebogen Ulquie sowie umfangreiche eigens entwickelte Fragen zur Belastung im Alltag („BA“). Ergänzend wurde das „Funktionsniveau“ der Kinder vor und nach Anwendung sowie für einen follow up-Zeitraum erfasst. Zudem sollten die Eltern den „FAS-Erste-Hilfe-Koffer“ bezüglich seiner Wissensvermittlung hin bewerten. Die Eltern berichten nicht – auch nicht im follow up - von signifikanten Verbesserungen in der eigenen Alltagsbelastung, die die Anwendung des Hilfematerials ihnen bot. Besonders geeignete Materialen für eine elterliche Entlastung wurden nicht identifiziert. Dagegen berichten die Eltern von signifikanten Verbesserungen im Funktionsniveau ihrer Kinder. Eine wesentliche Entlastung der Eltern ergab sich durch die erreichte Verselbständigung ihrer Kinder nicht. Für sich selbst berichten die Eltern von einem Wissenszuwachs über die Erkrankung ihres Kindes, der gleichfalls nicht zu einer stärkeren Entlastung der Eltern führte. Es erscheint also, dass das Hilfematerial den Kindern gute Orientierung und Anleitung gibt, es aber von den Eltern auch einiges an Disziplin in der Anwendung und der Erfolgskontrolle einfordert. Demnach ist der „FAS-Erste-Hilfe-Koffer“ zwar im Alltag hilfreich, entlastet aber Eltern erst, wenn sie sich selbst an den neuen, stark strukturierten Erziehungsalltag gewöhnt haben.
Evaluation der Psychoedukation bei chronischen Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters: Es wurden insgesamt 54 narrative Reviews, systematische Reviewartikel und Metaanalysen ausgewertet. Dies entspricht einer Gesamtzahl von 1074 Einzelstudien. Es ist von einer Gesamtpopulation von mindestens 63.000 Studienteilnehmern auszugehen. Durch ausführliche Recherchearbeit wurden 13 Krankheitsbilder (7 somatische und 6 psychiatrische) der Pädiatrie identifiziert, in welchen psychoedukative Interventionen auf ihre Effektivität hin überprüft wurden. Einen überdurchschnittlich hohen Anteil haben hierbei Analysen aus den Forschungsfeldern im Bereich der somatischen Erkrankungen
- des juvenilen Asthma bronchiale (22 %),
- der Adipositas (13 %),
- des juvenilen Diabetes Typ 1 (13 %)
und im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen
- des ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndroms) (11 %),
- der Essstörungen (Anorexia nervosa und Bulimia nervosa kombiniert) (7,5
- %).
Die Prozentzahlen stehen für den Anteil an der Gesamtzahl der analysierten Arbeiten. Seltener untersucht wurden bei somatischen Erkrankungen
- die atopische Dermatitis,
- der Diabetes mellitus Typ 2 (im pädiatrischen Patientenkollektiv),
- die Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises
- und Tumorerkrankungen
sowie im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen
- Depression und bipolare Störung
- und Angststörung.
Die Ergebnisse sind insgesamt ernüchternd. Auch für die meistuntersuchten Krankheitsbilder lassen sich evidenzbasierte Rückschlüsse weder auf eine mögliche besonders wirksame Einzelkomponente noch auf ein in den Resultaten hervorstechendes einzelnes Gesamtkonzept hin ziehen. Studienprotokolle waren häufig nicht nachvollziehbar, eine Verblindung der Auswerter fand regelhaft nicht statt. Auch finden sich übermäßig häufig Studien im nicht-randomisierten Aufbau. Daneben sind Studien mit ausreichenden Nachbeobachtungszeiträumen eine Rarität. Zudem konnte keine Studie identifiziert werden, welche aufbauend auf ein bereits zuvor realisiertes Konzept durchgeführt wurde (sogenannte Wiederholungsstudien). Neben dem Mangel an methodischer Qualität der Studien besteht auch ein (quantitativer) Mangel an Studien zu weniger häufigen Krankheitsbildern. Besonders betroffen sind hiervon die Forschungsbereiche der Tumorerkrankungen und rheumatischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter sowie die der affektiven und bipolaren Störung. Psychoedukative Programme für Kinder mit FAS und ihre Angehörigen existieren nicht.
Sozialverhalten bei Kindern mit FAS: Eine aufwändige kontrollierte Querschnittstudie an Kindern und Jugendlichen mit FAS umfasste Verfahren u.a. zur Erfassung von Intelligenz, Lern- und Gedächtnisleistungen, Aufmerksamkeit/Belastbarkeit und motorischer Leistungsfähigkeit. Die psychopathologische Symptomatik der Patienten konnte über Fremd- und Selbsteinschätzungsinstrumente erhoben werden. Belegt ist durch die Studie, dass bei Kindern und Jugendlichen mit FAS die intellektuellen Defizite nicht mit dem Ausmaß an sozialen und emotionalen Störungen korrelieren. Immer wieder sorgen Kinder und Jugendliche mit FAS für Verwirrung, weil ihre Intelligenzleistung und ihre zugleich geringe Fähigkeit, sich in sozialen Situationen angemessen zu verhalten, als widersprüchlich erlebt werden. Die betroffenen Kinder erfahren kein Verständnis dafür, sondern allgemein den Vorwurf, sie seien nur „frech“ oder „faul“.
Kognitive Funktionsstörungen bei FAS: Pränatale Alkoholexposition kann beim Kind dauerhafte Entwicklungsstörungen hervorrufen. Das fetale Alkoholsyndrom (FAS) bezeichnet dabei das Vollbild der Schädigung. Zu den Merkmalen des FAS zählen kraniofaziale Veränderungen, Wachstumsretardierung und Organfehlbildungen sowie vielschichtige neuropsychologische Störungen. Über ihr Ausmaß ist bei deutschen Kindern wenig bekannt. In unserer Studie untersuchten wir 135 Kinder und Jugendliche mit FAS sowie 130 gesunde Kinder körperlich und testpsychologisch. Angewandt wurden die Testverfahren WISC, ZVT, d2, VLMT sowie der Fragebogen CBCL. Der mittlere Gesamt-IQ der Kinder mit FAS war 75,19, der der Kontrollgruppe 105,68. Die Kinder mit FAS sind unkonzentriert, vergessen schnell, und neue Lerninhalte „überdecken“ bereits Gelerntes. Ein spezifisches Muster intellektueller Teilleistungsstörungen fand sich nicht. Es ergibt sich vielmehr ein Bild ausgeprägter kognitiver Einschränkungen, die bis ins Schulalter persistieren. Von therapeutischer Seite ist ein Verständnis der hirnorganischen Ursache hilfreich, um zögerliche therapeutische Erfolge nicht falsch zu attribuieren.