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Szenenwechsel im Fünf-Minuten-Takt: Premiere für neues Auswahlverfahren zur Studienplatzvergabe

Noch etwas Wackelpudding? Ein Bewerber "versorgt" im "Studienhospital Münster" unter den kritischen Augen der Juroren eine Simulationspatientin (Foto: M. Ahlke)

Münster (mfm/tb) – 1.600 Spielszenen, 80 Juroren, 40 Simulationspatienten und etwa ebenso viele Hilfskräfte für die Organisation: Die Mediziner der Universität Münster führen ein neues Auswahlverfahren für die Studienplatzvergabe ein – das aufwändigste bundesweit. Am heutigen Donnerstag [23.08.] ist Premiere: 160 Interessenten reisen zu dem ganztägigen Bewerbungs-Parcour an, um einen der begehrten Studienplätze in Humanmedizin zu bekommen – weniger als die Hälfte kann auf eine Zusage hoffen. Einen Tag später sind die Zahnmedizin-Kandidaten dran.
Abiturbestenquote, Wartezeitquote und weitere Vorabzugquoten, zum Beispiel für ausländische Bewerber und künftige Bundeswehrärzte: Einen großen Teil ihrer Medizin-Studierenden bekommen die deutschen Universitäten „zugewiesen“. Nur auf die so genannte Hochschulquote – real etwas mehr als die Hälfte der Studienplätze – haben sie Einfluss. Sie können beispielsweise Auswahlgespräche führen oder einen Studierfähigkeitstest anwenden. „Wobei die Abi-Note aber immer das ausschlaggebende Kriterium sein muss, das ist gesetzlich so festgeschrieben“, betont Studiendekan Dr. Bernhard Marschall.
"Bewerber-Spektrum wird aufgespreizt"
Auch das neue Verfahren in Münster sei daher kein Abrücken vom bisherigen – sondern eine „innovative Ergänzung“. „Wir schaffen damit mehr Fairness und spreizen das Spektrum der Bewerber auf“, so der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Wilhelm Schmitz. Bislang hatte seine Fakultät neben dem Abiturschnitt nur die Ortswahl der Bewerber – Münster musste an erster Stelle der präferierten Unis stehen - als Entscheidungsgrundlage genommen. „Der hier sehr hohe Praxisbezug und Innovationen wie das Studienhospital haben den Standort aber immer beliebter werden lassen“, sagt Schmitz. So bewarben sich im letzten Wintersemester 1.564 Interessenten um die 96 Studienplätze in der Hochschulquote. Die Folge: Der Notenschnitt, den Bewerber mitbringen mussten, um über diesen Zugang sicher einen Platz zu bekommen, stieg von Jahr zu Jahr; zuletzt lag er im Winter bei 1,0.
Verschärfend wirkte sich aus, dass schulische Noten, wie Statistiken belegen, immer inflationärer vergeben werden. „Allein in den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Bewerber mit einem 1,0-Abi bei uns mehr als verachtfacht“, rechnet Marschall vor. Die Kehrseite beider Trends: Selbst unter diesen Traumnote-Abiturienten musste zuletzt gelost werden, weil ihre Zahl über der der verfügbaren Studienplätze lag. Was die Fakultätsleitung ebenfalls stört: Die Stiftung Hochschulstart, die die Bewerbungen an die Hochschulen weiterleitet, differenziert nur eine Stelle hinter dem Komma. Ein Abiturient mit 768 Punkten findet sich somit in derselben „Notenkategorie“ – und daher in derselben Lostrommel - wieder wie einer mit dem Maximalwert von 840. „Darunter leiden Transparenz und Chancengleichheit“, meint Marschall.
Schwerpunkt auf non-kognitiven Fähigkeiten
Das neue Auswahlverfahren soll mehr Fairness gewährleisten. Vor allem aber geht es um die Einbeziehung von non-kognitiven – also vor allem kommunikativen und sozialen – Fähigkeiten. Und so läuft das Verfahren: Aus den Bewerbern, die die Stiftung Hochschulstart nach Münster meldet, werden die 160 mit den besten Noten ausgewählt und zu Teilnahme am Auswahlverfahren eingeladen. Die Kandidaten bringen ihre Noten – genauer: die Punktezahl aus dem Abitur – in das Verfahren ein und können diese im „Münsterschen Studierfähigkeitstest“ aufstocken. Das an ein Assessment Center aus dem Berufsleben erinnernde Verfahren gliedert sich in drei Teile.
In einem Bewerbungsschreiben, bewertet mit maximal 40 Punkten, sind die persönliche Motivation, die Selbsteinschätzung der Qualifikation sowie etwaige Vorerfahrungen darzustellen. Auch außerschulisches Engagement wie die Mitwirkung in Vereinen und sozialen Projekten kann in die Benotung einfließen. Jedes Schreiben wird von fünf Juroren gelesen, um eine verlässliche Durchschnittsnote ziehen zu können.
Die zweite Hürde ist ein medizinisch-naturwissenschaftlicher Verständnistest, bei dem es um logisches Denken und analytische Fähigkeiten geht. 60 Fragen, eigens entwickelt vom Institut für Ausbildung und Studienangelegenheiten (IfAS) der Medizinischen Fakultät, sind zu beantworten – wofür jeweils nur 90 Sekunden bleiben. Die Aufgaben entsprechen Abitur-Niveau, sind aber auch ohne Fachkenntnisse lösbar. Für den Test, der am Computer durchgeführt wird und daher sofort ausgewertet werden kann, gibt es maximal 60 Punkte.
Die größte Herausforderung wartet nach Mittagspause auf die Kandidaten: Dann durchlaufen sie einen so genannten „Multiple-Mini-Interaktions-Test“, bestehend aus einem Parcours mit verschiedenen Aufgabenstellungen. Diese „Interaktions-Settings“ können aus einem strukturierten Interview mit einem der Juroren bestehen, aus einer Spielszene mit einem Simulationspatienten oder auch einer praktisch zu bearbeitenden Aufgabe. An der Tür hängt eine kurze Erläuterung, dahinter wartet die zu bestehende Situation, nach exakt fünf Minuten ist Schluss – unter Umständen mitten im Satz. Dieser Ablauf wiederholt sich zehnmal für jeden Bewerber. Vorbereitende Informationen und Materialien haben die Prüflinge morgens ausgehängt bekommen – und im Stress eventuell schon wieder vergessen.
Nicht alle Eingeladenen machen mit
„Dieser aus der Medizinischen Didaktik stammende Test ist sehr aussagefähig und hat sich in der Praxis bewährt“, erläutert Studiendekan Dr. Marschall. „Reines Faktenwissen bringt Bewerbern hier keinen Vorteil; es geht um die Erfassung non-kognitiver Fähigkeiten. Da diese im Arztberuf besonders wichtig sind, vergeben wir für diesen Teil des Verfahrens die meisten, nämlich bis zu 160 Punkte“. Wiederum gilt das Mehr-Augen-Prinzip: Jede Szene wird, um „Ausreißer“ zu vermeiden, parallel von zwei Juroren bewertet.
Die münsterschen Uni-Mediziner knüpfen große Erwartungen an die Umstellung, eine aber gehört nicht dazu: dass der uniinterne Numerus Clausus stark sinken wird. „Nimmt man ein solches Auswahlverfahren ernst, ist es mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Daher sind 160 Kandidaten die absolute Obergrenze. Deren Notenschnitt wird bei unserer Bewerberstruktur nur bis 1,2 oder 1,3 reichen“, schätzt Dr. Marschall, „aber schon dieser auf den ersten Blick kleine Unterschied ändert das Kandidatenfeld erheblich“. Und bereits vor dem Start des Verfahrens sei ein – einkalkulierter – Effekt erkennbar: Manche der eingeladenen Bewerber hätten die Anmeldefrist verstreichen lassen. „Nicht jeder möchte sich wohl einem solchen Wettbewerb stellen“, vermutet Marschall. Für abgewiesene Interessenten hat er einen Tipp: „Im Sommersemester bewerben, dann liegt der Numerus Clausus grundsätzlich niedriger“.

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