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Vor 70 Jahren: Domagk erhält Nobelpreis für Medizin - und darf ihn nicht annehmen

Prof. Gerhard Domagk (Foto: Werkarchiv Bayer)

Münster (mfm/tw) - Kein Nobelpreis für „Reichsdeutsche“, ordnet Adolf Hitler 1937 an – zu groß das Desaster für das nationalsozialistische Regime, als dem Pazifisten und „Weltbühne“-Herausgeber Carl von Ossietzky kurz zuvor trotz aller Interventionen der Friedensnobelpreis zuerkannt worden war. So darf auch der in Münster habilitierte Professor Gerhard Domagk den Medizin-Nobelpreis nicht annehmen, der ihm vor genau 70 Jahren zugesprochen wurde. Seine damit gewürdigte Entdeckung, die antibakterielle Wirkung des Farbstoffs Prontosil, sowie spätere Forschungsergebnisse retteten Millionen Menschen das Leben – er selbst ist heute weitgehend vergessen.
„Am 26. Oktober 1939 wurde ich um Mitternacht wegen eines dringenden Telegramms aus dem Bett geschellt“, erinnert sich Domagk später: Die erste offizielle Nachricht über die Ehrung aus dem schwedischen Karolinska-Institut. „Weder in der Presse, noch im Funk gab es eine Information über die Nobelpreisverleihung“, so Domagk – in Deutschland habe davon kaum jemand erfahren, Glückwunsche kamen vor allem aus dem Ausland.
Dass sich Domagk trotz des Verbotes schriftlich für den Preis bedankt, bringt ihn für kurze Zeit ins Gefängnis. 1947 schließlich, zehn Jahre nach Hitlers Erlass, überreicht der schwedische König Gustav V. die Urkunde und die goldene Medaille an Domagk – ohne das Preisgeld in Höhe von 100.000 Reichsmark. Das war gemäß den Bestimmungen inzwischen an die Stiftung zurückgefallen.
Kindheit und Forscherleben
1895 wurde Domagk im brandenburgischen, heute polnischen Dörfchen Lagow geboren. Als Sohn eines Rektors verlebte er eine nach eigenen Angaben idyllische Kindheit. 1914 legte Domagk sein Abitur ab, nahm ein Medizinstudium in Kiel auf – und meldete sich mit Kriegsausbruch als Freiwilliger. In Polen wurde er noch im selben Jahr verwundet, nach einer Ausbildung zum Sanitäter kehrte er bald an die Ostfront zurück. Vor Gott habe er damals geschworen, den Kampf aufzunehmen gegen die Bakterien, die den Menschen „heimtückisch und meuchlings morden, ohne daß man den Feind erkennt und gegen ihn etwas unternehmen kann“.
Sein Mentor Walter Gross nimmt ihn 1925 nach Münster mit, als er an die dortige Universität berufen wird. Domagk forscht in der neuen Abteilung für Experimentelle Pathologie und lehrt als Privatdozent. Die Bezahlung ist schlecht. Da kommt das Angebot der I.G. Farben gerade recht: Domagk wird gebeten, im Elberfelder Werk ein Institut für Experimentelle Pathologie zu errichten und zu leiten. Er nimmt an, hält aber weiter Vorlesungen in Münster. In Elberfeld macht Domagk seine bahnbrechenden Entdeckungen, die seinen Ruhm als Bakteriologe und Pathologe begründen.
Der Kampf gegen die Tuberkulose
Der Pazifist von Ossietzky erlebt die Nobelpreisvergabe an Domagk nicht. Nach mehrjähriger KZ-Haft erliegt er schon 1938 der Tuberkulose – einer bakteriellen Krankheit, die Gerhard Domagk im Kriegsverlauf auf Jahre beschäftigt. Zum Ende der 1940er Jahre findet der Forscher schließlich im Conteben die erste wirksame Arznei gegen die Infektionskrankheit. „Das Tuberkulosemedikament war seine wichtigste Leistung“, meint Professor Ekkehard Grundmann, Vertrauter Domagks und sein Nachfolger in Elberfeld – nicht die Entdeckung der Sulfonamide, zu denen der nobelpreisgekrönte und unter dem Handelsnamen Prontosil vertriebene Farbstoff gehört. In der münsterschen Hautklinik Hornheide gelingt Domagk 1946 die weltweit erste Heilung einer Tuberkulose, der Hauttuberkulose Lupus vulgaris.
Millionen von Menschenleben habe Domagk gerettet, er sei damit der „erste Sieger über die Infektionskrankheiten“ – aus dieser hohen Wertschätzung heraus verfasste Grundmann eine umfassende Biografie, die 2001 im LIT-Verlag erschien. Er lernte Domagk 1951 kennen und wurde ihm über die Jahre zu einem Vertrauten. Heute lebt Grundmann in Münster und erinnert sich zurück: „Domagk war ein ausgesprochen wohlwollender Mensch“, richtig Ärger habe er nur mit den Parteibonzen gehabt wegen seiner Weigerung, der NSDAP beizutreten. „Trotzdem wurde er nie so bekannt wie etwa Alexander Fleming, der Entdecker des Penicillins. Nach dem Krieg gab es Vorbehalte gegen alles Deutsche, Domagks Leistungen wurden in der Öffentlichkeit heruntergespielt.“
Hochgeehrter Münsteraner
Als Domagk 1964 im Alter von 69 Jahren stirbt, ist er ein hochdekorierter Wissenschaftler: Für seine Verdienste wurde er neben dem Nobelpreis unter anderem mit dem Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste, mit dem Paul-Ehrlich-Preis und dem Ludwig-Darmstaedter-Preis sowie mit dem japanischen Orden der aufgehenden Sonne II. Klasse ausgezeichnet. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Lauheide nordöstlich von Münster.
Knapp 20 Straßen sind deutschlandweit nach dem Mediziner benannt. An der Domagkstraße in Münster – ironischerweise nur rund zwei Kilometer von der Von-Ossietzky-Straße entfernt – haben die Medizinische Fakultät, das Universitätsklinikum und mehrere Institute, darunter das Gerhard-Domagk-Institut für Pathologie, ihren Sitz. Domagk ist bis heute der einzige Nobelpreisträger aus der Universität Münster geblieben, nachdem ein weiterer Mediziner vor einigen Jahren knapp in der Endauswahl scheiterte.

Literatur:
Grundmann, Ekkehard: Gerhard Domagk. Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten. Münster 2001.

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