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Ungewünschte Immunreaktionen stoppen: CIM-Forscher entschlüsseln Mechanismus am Anfang vieler Entzündungsprozesse
Münster (cim) - Anfangs ist es dem Körper fast egal, welche Erkrankung ihm zu schaffen macht. Die Antwort des Immunsystems beginnt in vielen Fällen gleich: Der Körper aktiviert Immunzellen, sogenannte Phagozyten. Sie wandern zum Krankheitsort hin, finden fremde Erreger oder krankhaft verändertes Gewebe und setzen unter anderem die beiden Proteine S100A8 und S100A9 frei. Diese lösen an den betroffenen Stellen eine entzündliche Reaktion aus. Werden zu viele dieser Proteine ausgeschüttet, so können sie die Krankheit verschlimmern. Das passiert zum Beispiel bei Autoimmunerkrankungen, rheumatischen Erkrankungen oder Hauterkrankungen. Forscher des Exzellenzclusters "Cells in Motion" der Universität Münster haben die Aufgabe dieser beiden Proteine nun genauer aufgeschlüsselt.Vor allem haben die Wissenschaftler um die beiden Immunologen Prof. Dr. Thomas Vogl und Prof. Dr. Johannes Roth herausgefunden, wie die Aktivität dieser Proteine reguliert wird. Dieses grundlegende Wissen wollen die Forscher nun nutzen, um neue Therapien zu entwickeln gegen Autoimmunerkrankungen, Arthritis, Allergien oder entzündliche Darm-, Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift "Journal of Clinical Investigation" erschienen.Die Geschichte im DetailEs gibt bereits viele wissenschaftliche Publikationen, die sich mit den Aufgaben der Proteine S100A8 und S100A9 beschäftigen. Bisher war es den Forschern aber nicht klar, ob diese allein oder aneinander gekoppelt agieren. Die münsterschen Wissenschaftler haben jetzt in Untersuchungen mit Mäusen herausgefunden, dass sie stets gemeinsam wirken. Beide Proteine bilden sogenannte Heterodimere aus, also einen festen Verbund zweier Proteine. Sobald sie freigesetzt sind, binden sich diese Heterodimere an Zellen, auf deren Oberfläche das Rezeptor-Protein TLR4 vorkommt und lösen über diesen Rezeptor eine passende Immunantwort aus. Für diese Initialzündung haben die beiden S100-Proteine nur wenig Zeit. Finden sie keine passende Zielzelle zur Aktivierung, binden sich zwei Heterodimere aneinander. Diese doppelte Verbindung nennt man Tetramer. In dieser Form sind die Proteine wieder inaktiv. Auf diese Weise garantiert der Körper, dass er nur an den Stellen eine Immunreaktion auslöst, an denen sie auch gebraucht wird, dass die Entzündungsreaktion also lokal begrenzt bleibt.Die Wissenschaftler konnten auch beweisen: Sobald diese Regulation gestört ist und sich nicht alle überschüssigen S100A8- und S100A9-Proteine zu Tetramern zusammenschließen können, kommt es zu einer Verschlimmerung der Erkrankung. "Zu viele Heterodimere bleiben aktiv, lösen eine zu starke Immunantwort aus und agieren systemisch im gesamten Körper", erklärt Prof. Dr. Thomas Vogl, der Erstautor der Studie. Dieser Prozess steckt zum Beispiel hinter einer Blutvergiftung, ist aber auch bei vielen Autoimmunerkrankungen, rheumatischer Arthritis, Allergien, entzündlichen Hauterkrankungen und sogar bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen relevant.Entwicklung neuer Therapieansätze mit geringen NebenwirkungenDie Erkenntnisse der münsterschen Immunologen können zu neuen Ansatzpunkten für Therapien für viele entzündliche Krankheiten führen. Aktuell versucht man bereits mit neuen Medikamenten den Rezeptor TLR4 zu blockieren, um fehlgeleitete Immunantworten zu hemmen. Das Problem dabei: Manchmal müsste der Körper an den gleichen Stellen auch Bakterien bekämpfen. Da das Immunsystem aber blockiert ist, können die TLR4-Rezeptoren ihre positive Aufgabe nicht mehr erfüllen. "Wir suchen deshalb nach Antikörpern, die sich an die S100-Proteine heften", sagt Thomas Vogl. "Sie sollen spezifisch nur die aktiven Heterodimere blockieren und damit nur lokal am Ort der Entzündung die Immunreaktion abschwächen. Der für die Immunabwehr wichtige Rezeptor TLR4 bleibt unangetastet und kann im Fall einer bakteriellen Gefahr die passende Immunantwort auslösen." Medikamente mit dem neuen Therapieansatz hätten somit deutlich weniger Nebenwirkungen für die Patienten als bisherige Pharmazeutika.Die Wissenschaftler wollen im nächsten Schritt mit Unternehmen zusammenarbeiten, um passende Antikörper zu finden und Pharmazeutika für die Therapie verschiedener Krankheiten zu entwickeln. Die ersten Patente sind bereits angemeldet. Es wird allerdings noch Jahre dauern, bis es tatsächlich Medikamente geben wird, die überschüssiges S100A8 und S100A9 in Menschen deaktivieren und so falsche Immunreaktionen verhindern.Die Studie entspringt einer interdisziplinären Zusammenarbeit von fünf verschiedenen CiM-Laboren. "Ohne die Expertise und die Hilfe der anderen Forscher wären wir nicht auf diese interessanten Ergebnisse gekommen", sagt Thomas Vogl. Die münsterschen Molekularbiologen Dr. Athanasios Stratis und Dr. Viktor Wixler züchteten zum Beispiel die für die Versuche benötigten genveränderten Mäuse. Die Nuklearmediziner Prof. Michael Schäfers und Dr. Sven Hermann machten es mit ihrer Bildgebungsexpertise möglich, die Proteinverteilung im Körper der Mäuse zu beobachten.Link zur Studie