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Psychologie-Studie belegt: Soziale Kompetenzen lassen sich erfolgreich bei der Vergabe von Medizinstudienplätzen berücksichtigen

Die Psychologen Prof. Mitja Back (l.) und Dr. Simon Breil (m.) entwickelten zusammen mit dem Studiendekan Prof. Bernhard Marschall ein Auswahlsystem für das Medizinstudium, das soziale Kompetenzen angemessen berücksichtigt (Foto: WWU/L. Jeremies)

Münster (mfm/sw) – Soziale Kompetenz lässt sich nicht in Schulnoten erfassen – dabei ist sie gerade im medizinischen Bereich unabdingbar. Was also tun, um diese Eigenschaft bei Studienbewerberinnen und -bewerbern zu beurteilen? Die Medizinische Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat sich Gedanken gemacht – und schon 2011 ein hochschuleigenes Auswahlverfahren eingeführt, um soziale Kompetenzen bei der Vergabe der Medizinstudienplätze zu berücksichtigen. Gibt das Verfahren, mit dem die Fakultät bundesweit Neuland betrat und bei dem das Verhalten der angehenden Studierenden in realitätsnahen Situationen bewertet wird, tatsächlich soziale Kompetenzen zu erkennen? Hält es einer wissenschaftlichen Überprüfung stand? Die Antwort lautet: ja. Eine Forschungsgruppe der Psychologie an der WWU hat das Thema anhand von drei Auswahlrunden erforscht und ihre Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift European Journal of Psychological Assessment publiziert.

„Bei vielen Auswahlverfahren besteht das Problem, dass Beobachterinnen und Beobachter gar nicht sinnvoll zwischen verschiedenen Kompetenzen - zum Beispiel Empathie, Durchsetzungsstärke, Kommunikationsfähigkeit - differenzieren können“, erklärt der Erstautor der Studie, Dr. Simon Breil vom Institut für Psychologie. Gemeinsam mit der Medizinischen Fakultät entwickelte er ein angepasstes Auswahlverfahren, dessen Stationen speziell auf unterscheidbare und klar interpretierbare Kompetenzen ausgerichtet waren. Das Resultat ist eindeutig: Die entscheidenden Kompetenzen konnten erfolgreich ins neue Auswahlverfahren eingebracht werden.

Das Setting: insgesamt fünf neue „Stationen“, in denen die Studierenden mit professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern interagierten. So musste ein unnachgiebiger Patient davon überzeugt werden, bestimmte Regeln zu befolgen. Anschließend bewerteten zuvor geschulte Ärztinnen und Ärzte, wie gut dies den Studierenden gelang. Über drei Auswahlsemester hinweg durchliefen mehr als 500 Studierende diese neuen Stationen und wurden insgesamt von 60 Ärztinnen und Ärzten beurteilt. Es zeigte sich: Die entscheidenden Kompetenzen, auf die es im Berufsleben ankommt, konnten von der „Jury“ differenziert und genau bewertet werden.

„Im Auswahlverfahren fokussieren wir uns aktuell auf drei soziale Kompetenzen, fachlich ausgedrückt sind das ‚Agency‘, ‚Communion‘ und ‚interpersonelle Resilienz‘“, erklärt Co-Autor Prof. Mitja Back. Studierende mit einer hohen Ausprägung in Agency sollten in der Lage sein, sich durchsetzungsstark, selbstsicher und entschlossen zu verhalten; solche mit Communion hingegen zeigen sich warmherzig, freundlich und mitfühlend. Interpersonelle Resilienz bezeichnet die Kompetenz, im Spannungsfeld interpersoneller Interaktionen gelassen, entspannt und emotional ausgeglichen zu bleiben - alle drei Kompetenzen sind für ein kompetentes ärztliches Handeln zwingend erforderlich.

„Im besten Fall wählen wir am Ende Studierende aus, die bereits eine hohe Ausprägung in allen drei Kompetenzen aufweisen und die sich im Laufe des Studiums in diesen Bereichen weiterentwickeln können. Dies sind Kernaspekte dessen, was gute Ärztinnen und Ärzte ausmacht“, sagt Prof. Bernhard Marschall, Studiendekan der Medizinischen Fakultät. Doch nicht nur in der Medizin ist dies aus Sicht der Psychologen von Vorteil: „Solch eine gezielte Erfassung sozialer Kompetenzen mittels des entwickelten Verfahrens kann auch für andere Studiengänge relevant sein“, so Mitja Back.

Das überarbeitete und nun wissenschaftlich evaluierte Auswahlverfahren kam 2018 und 2019 zum Einsatz; seine Erforschung erfolgte innerhalb eines vom Bund geförderten Verbundprojektes zur Studierendenauswahl in der Medizin (‚stav-Projekt‘). Studiendekan Marschall kann sich als damaliger Initiator des Verfahrens bestätigt fühlen – und musste es dennoch aussetzen: Aufgrund einer Software-Überarbeitung bei der Stiftung für Hochschulzulassung, der zentralen Stelle für alle zulassungsbeschränkten Studiengänge, kann an der WWU derzeit kein Verfahren nach sozialen Kompetenzen stattfinden. Marschall hofft auf ein Ende der Zwangspause: „Die Studie zeigt, dass es lohnend sein könnte, das Verfahren wieder einzuführen“.

Publikation:

Breil, S. M., Forthmann, B., & Back, M. D. (2021). Measuring distinct social skills via multiple speed assessments – A behavior-focused personnel selection approach. European Journal of Psychological Assessment. Advance online publication. https://doi.org/10.1027/1015-5759/a000657 Vordruck: https://psyarxiv.com/8maqt/

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