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Neue Studie zur NS-Zeit an der Uni Münster: Geschichte der Frauenklinik im „Dritten Reich“ erforscht

Gemeinsam mit Birthe Heitkötter (v., m.) präsentieren Klinikdirektor Prof. Ludwig Kiesel, Dekan Prof. Wilhelm Schmitz, Archiv-Leiterin Dr. Sabine Happ, Dr. Dirk Paßmann und Silke Haunfelder (beide: Aschendorff) die neue Studie (v.l.n.r.; Foto: WWU/Grewer)

Münster (mfm/tw) – Dunkle Flecken auf weißem Kittel: Auch Ärzte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster waren in die Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt. Die Medizinerin Birthe Heitkötter hat der Aufarbeitung nun ein Kapitel hinzugefügt: In ihrer Doktorarbeit über die Geschichte der Frauenklinik von 1925 bis 1950 konzentriert sie sich auf die NS-Zeit und deren Aufarbeitung. Der Aschendorff-Verlag hat die Dissertation, die in der Schriftenreihe des Uni-Archivs erscheint, nun publiziert. Am Dienstag (5. November) referiert Heitkötter über die NS-Geschichte der Klinik.
„Die Frauenklinik ist 1925 gegründet worden. In den ersten zwei Jahrzehnten wurde sie stark von ihrem Gründer und Direktor geprägt“, erläutert Heitkötter. So legt die Autorin mit der Geschichte der Frauenklinik im Nationalsozialismus auch die Geschichte eines Arztes vor, der zugleich „mitlief“ als auch sich widersetzte: Professor Dr. Peter Esch sicherte sich einerseits durch seinen NSDAP-Beitritt den Amtserhalt und trug NS-Verbrechen wie die Zwangssterilisierungen psychisch kranker  Frauen mit; andererseits engagierte er sich nie aktiv für Gliederungen der NSDAP und zeigte mehrfach Zivilcourage. So weigerte sich Esch, angeordnete Sterilisationen osteuropäischer Zwangsarbeiterinnen an seiner Klinik vorzunehmen. Einen "volljüdischen" Assistenzarzt wies er rechtzeitig auf dessen in Deutschland aussichtlose Situation hin. „Esch war ein Mitläufer, aber kein Parteiopportunist“, schließt Heitkötter – „1943 wurde er gegen seinen Willen aus Altersgründen emeritiert. Esch fühlte sich dadurch gekränkt und zog die offizielle Begründung der Maßnahme in Zweifel.“ Der Mediziner starb 1952 in Münster und wurde auf dem Waldfriedhof Lauheide beerdigt.
Insgesamt arbeiteten in der NS-Zeit 21 Ärzte an der Frauenklinik. Zu 14 Ärzten fand Heitkötter Personalakten oder anderes Datenmaterial, zehn von diesen waren Mitglieder der NSDAP. Das entspricht 71 Prozent der Ärzte, über die Daten vorliegen – reichsweit liegt der (allerdings auf dünner Datenbasis gründende) Wert unter Ärzten bei 45 Prozent. Die Forschung an der Frauenklinik habe sich kaum an NS-Interessen orientiert, sagt Heitkötter: „Wissenschaftliche Arbeiten, die Zwangssterilisierungen ‚erblich Minderwertiger‘ anpriesen, gab es nicht.“ Stattgefunden haben diese Verbrechen in Münster trotzdem: „Akten belegen, dass Zwangssterilisierungen nach dem ‚Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses‘ erfolgten. Wie häufig, lässt sich allerdings wegen fehlender Patientenakten nicht mehr beantworten – und welche Ärzte die Eingriffe durchgeführt haben, ist ebenfalls unklar.“ 1945 begannen – nach einer kriegsbedingten Verlagerung der Klinik nach Bad Salzuflen – die Entnazifizierungsverfahren der britischen Militärregierung, die laut Heitkötter einer „Persilscheinkultur“ glichen: „Alle Ärzte wurden als Mitläufer eingestuft oder entlastet, niemand musste seinen Posten räumen.“
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichte die intensive Archivarbeit: Von 2009 bis 2012 lief in Münster unter Leitung des Medizinhistorikers Prof. Hans-Peter Kröner ein umfassendes Projekt zur Geschichte der Medizinischen Fakultät in der Zeit des ‚Dritten Reiches’ und der frühen Nachkriegszeit. Die Veröffentlichung über die Frauenklinik unterstützen der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Uni-Klinikums und die Medizinische Fakultät der Uni Münster. Die meisten Akten, mit denen Heitkötter sich befasste, stammen aus dem Universitätsarchiv. Die Leiterin Dr. Sabine Happ, auch Herausgeberin der Studie, lobt diese: „Als Medizinerin hat Frau Heitkötter nicht nur einen historischen, sondern auch einen ärztlichen Blick auf die Entwicklung der Klinik. Besonders der ambivalente Klinikleiter Peter Esch wird hervorragend in seinen verschiedenen Facetten dargestellt. Die Arbeit ist eine gute Ergänzung zu den bisherigen Untersuchungen zur Geschichte der Medizinischen Fakultät.“
Am Dienstag (5. November) trägt Heitkötter um 18.00 Uhr im Hörsaal H3 des Hörsaalgebäudes am Schlossplatz (Schlossplatz 46) ihre wichtigsten Forschungsergebnisse vor. Jeweils dienstags zur gleichen Zeit beleuchten in den folgenden vier Wochen noch weitere Experten unterschiedliche Aspekte der Medizinischen Fakultät und ihrer Einrichtungen im Nationalsozialismus. Die Vortragsreihe unter dem Stichwort „Weißer Kittel, weiße Weste?“ hat Heitkötter in Kooperation mit dem AStA der Universität Münster organisiert, die Kosten trägt das Studierendenparlament. Das Programm ist online verfügbar: www.asta.ms.

Heitkötter, Birthe Franziska: Geburtshilfe und Gynäkologie im Nationalsozialismus. Peter Esch und die Frauenklinik der Universität Münster von 1925 bis 1950. Aschendorff-Verlag, Münster 2013. ISBN: 978-3-402-15886-9 (= Veröffentlichungen des Universitätsarchivs Münster. Band 7.)

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