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Mehr als „nur“ papierlos – und manchmal in Küchenfolie eingewickelt: Tablet-PC verbessern die universitäre Lehre

Den Tablet-PC – eingewickelt in Küchenfolie – immer dabei: Studierende der Zahnmedizin bei einer Behandlung (Foto: FZ/M. Thomas)

Münster (mfm/tw) –  „Harvard will das papierlose Studium – wir wollen die individuelle Lehre“, sagt Privatdozent Dr. Thomas Stamm – und greift zur Küchen-Klarsichtfolie. Damit schlägt er sein iPad ein. So verpackt, darf der Rechner mit in den Behandlungssaal, auch mit Handschuhen lässt er sich dort noch leicht bedienen. Hygiene und einfache Handhabung, vor allem aber völlig neue didaktische Möglichkeiten: Tablet-PC ziehen zunehmend in die Lehre an den Hochschulen ein. Die medizinischen Fächer sind Vorreiter, die Zahnmediziner der Uni Münster sind vorn dabei. Wie der Oberarzt Stamm haben auch die Zahnmedizin-Studenten im achten Semester ihren Mini-Computer dabei, wenn sie zum Patienten gehen, Vorlesungen hören oder zuhause auf dem Sofa sitzen. Die Lehre wird besser, Dozenten und Studenten sind zufrieden. Deshalb soll das Projekt, an dem die Firma Apple beteiligt ist, ausgeweitet werden.
Wenn die Patienten in den Behandlungseinheiten der Zahnklinik versorgt werden, drängen sich schon mal zehn Menschen auf wenigen Quadratmetern – der Patient, die Angehörigen, der Arzt, die Schwester, die Studenten. Erklärungen, Nachfragen, Blick auf die Probleme am Patientengebiss. Seit die münstersche Zahnmedizin in einem Modellprojekt iPads einsetzt, können sich die Studenten über das mobile Endgerät direkt über den Patienten informieren, Fotos der Kiefer ansehen und nachschauen, unter welchen Zahnproblemen die Patienten an den anderen 23 Behandlungsplätzen des Lehrsaals leiden. Das entzerrt die enge Lehrsituation. „Kein Student soll im Behandlungssaal Leerlauf aus Platzmangel haben“, sagt Projektleiter Stamm: „Alle Studenten profitieren vom schnellen Informationszugriff. Jeder Studierende kann selbst entscheiden welcher Patienten-Fall ihn interessiert und gestaltet damit eigenständig seinen individuellen Lernprozess“.
Tablet-Computer sind eine neue Geräteklasse, die im Frühjahr 2010 auf dem Massenmarkt angekommen ist – in Form einer Tafel mit großem Touchscreen und ohne feste Tastatur, meistens etwas größer als ein DIN-A5-Blatt und um die 500 Gramm schwer. Die Anwendungsprogramme für Tablets heißen Apps. Das bekannteste und meistverkaufte Gerät ist Apples iPad. Die Harvard Medical School führte 2010 das iPad für alle Studenten ein, erklärtes Ziel war es, auf Papier weitgehend zu verzichten. In der Zahnmedizin ist Münster Vorreiter, so Stamm – allerdings sei Papierlosigkeit nicht das Ziel: „Wir gehen einen Schritt weiter, die Studierenden sollen damit Wissen generieren.“
Seit dem Spätherbst 2010 hat die Medizinische Fakultät insgesamt rund 80 iPads der ersten und der aktuellen zweiten Generation gekauft, die von den Studenten des achten Semesters uneingeschränkt genutzt werden können. Zunächst sollten die Geräte nur während der Lehrveranstaltungen ausgegeben werden. „Die Trennung zwischen Studium und Freizeit macht aber keinen Sinn“, sagt Stamm: „Auch außerhalb der Zahnklinik wird der Tablet-PC zum Beispiel für Literaturarbeit und Präsentationen genutzt. Viele neue Impulse für die Lehre kommen aus dem privaten Anwendungsbereich. Privat- und Campus-Leben sind heutzutage nicht mehr zu trennen. Das muss sich auch in den mobilen Endgeräten für die Lehre widerspiegeln.“
Dass Hygiene und Datenschutz gewährleistet sind, ist Grundvoraussetzung. Küchenfolie und Einweghandschuhe machen die Nutzung hygienisch, der Datenschutz wird auch technisch gesichert. „Zunächst einmal unterliegen die Studenten natürlich der Schweigepflicht“, sagt Stamm – „und die Patienten der Studentenkurse geben ihr schriftliches Einverständnis, dass ausgewählte Daten wie Fotos und Röntgenbilder anonymisiert für die Lehre und Publikationen genutzt werden dürfen.“ Während der Lehrveranstaltungen können die Zahnmedizinstudenten über die App „Dropbox“ auf die relevanten Bilder und Daten der Patienten, aber nicht auf die eigentliche Behandlungsakte, zugreifen. Über das drahtlose Internet der Uni Münster können Fachtexte geladen, gelesen und über spezielle Apps kommentiert werden, mit „Facetime HD“ kommunizieren Studenten von Angesicht zu Angesicht etwa zwischen Behandlungsplatz und Labor. Auch bei den Präsentationen, die Studenten regelmäßig vorbereiten müssen, hilft eine spezielle App, etwa „Keynote“.
Die verschiedenen Tablet-Computer unterscheiden sich nicht nur technisch, sondern vor allem hinsichtlich der Anwendungsprogramme. Apples iPad nutzt das Betriebssystem iOS, die meisten anderen Geräte setzen auf Android, an dessen Entwicklung Google großen Anteil hat. Für beide Plattformen existieren hunderttausende Apps, doch nicht für jede App gibt es ein ähnliches Gegenstück auf der jeweils anderen Plattform.
In der Lehre setzt Stamm auf OsiriX, eine Software zur Darstellung radiologischer Daten, mit der Anwender sich virtuell durch Skelett, Muskeln und Gewebeschichten des Patientenkörpers bewegen können. Das Programm läuft auf Apple-Rechnern, und nur für Mobilgeräte mit Apples iOS existiert eine App. Mit einer einfachen Farbfilterbrille können die Studenten den Patientenkörper dreidimensional betrachten - und dabei unterschiedliche Ebenen frei ein- und ausblenden. Solche technischen Gründe sprachen dafür, dass die Fakultät gerade auf diesen Typ setzt, außerdem hat Apple bei der Vorbereitung des Projektes technische Unterstützung geleistet und zu Schulungen eingeladen. Vom Erfolg des Projektes hat sich eine vierköpfige Delegation der Münchner Firmenzentrale bereits vor Ort überzeugt, auf der deutschen Website präsentiert Apple das münstersche Projekt ausführlich.
Manche Studenten brauchen Papiertexte, Marker und Kugelschreiber, andere lesen und lernen nur digital. Das Lernverhalten könne man kaum beeinflussen, sagt Stamm. Und natürlich werde kein Student gezwungen, einen PC anzunehmen. Verzichtet habe aber noch keiner: „Spätestens nach drei, vier Wochen sind die Studenten von den Möglichkeiten begeistert. Sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten finden sich für alle Lerntypen.“ Deshalb hofft Stamm, das Projekt bald auf das neunte Semester ausdehnen zu können, so dass jeder Student „sein“ Gerät ein Jahr lang behält. Auf lange Sicht, hofft er, könnten Sponsoren einspringen, um die Ausleihzeit auf die gesamte Studienlaufbahn ausdehnen zu können.
Bessere Vermittlung von Lerninhalt durch modernste Mobiltechnik, nahtlos von den Lehrsälen der Medizinischen Fakultät bis ins Wohnzimmer der Studenten – diese Vision möchte Stamm, der 2010 von den Zahnmedizinstudenten zum „Lehrer des Jahres“ gewählt worden ist, über das gesamte Zahnmedizin-Studium umsetzen. In seinem Büro hängen Nachdrucke der Plakate, mit denen Apple ab 1997 für seine Computer warb: „Think different“.

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