Medizin als Zukunft, Punk als Gegenwart: Für Hansol Seung ist alles eine Frage der richtigen Zeit

Hansol Seung während eines von über 200 Shoreline-Konzerten in Europa innerhalb der letzten Jahre (Foto: Kathisterl)

Hansol Seung (Foto: Frederic Hafner)

Münster (mfm/hh) - „Ich bin Musiker“, sagt Hansol Seung. Wer den Sänger und Gitarrist der Punk-Band „Shoreline“ in Aktion erlebt, zweifelt nicht an diesem Satz. Der junge Mann hätte aber auch ganz anders antworten können. In seinem Hauptjob verdeckt ein Kittel den tatöwierten rechten Arm. Seine Patienten kennen Seung als Arzt am Universitätsklinikum Münster; gerade hat er dort eine Facharztausbildung zum Anästhesisten begonnen. Seine musikalische Karriere startete um einiges früher in Scheidegg im Westallgäu – mit einer Querflöte.

„Ich habe zunächst klassische Musik gespielt“, erinnert sich der Bayer. Nachdem seine Schwester eine Gitarre geschenkt bekam, wechselte er von der klassischen zur Punkmusik. Zum Green-Day-Album „American Idiot“ brachte er sich selbst das Gitarrespielen bei und gründete bald darauf die Schülerband „Silence Means Consent“. Der harte Sound hat ihn geprägt. „Im Punk und im Hardrock-Kontext finden sich viele humanistische Ideale“, sagt er. „Es geht darum, auf seine Mitmenschen zu achten und eine bestimmte ethische Grundhaltung einzunehmen. Das hat mich fasziniert.“

Neben Punk interessierte sich Seung in der Schule für Naturwissenschaften. Durch seinen sehr guten Schulabschluss brachte er die Voraussetzungen für das Medizinstudium mit. „Ich hätte mich vielleicht nicht dafür entschieden, wenn ich richtig hart dafür hätte kämpfen müssen“, sagt er. „Aber ich weiß, dass ich es aus heutiger Perspektive nochmal machen würde“. Die Medizinische Fakultät in Münster war für Seung eine Zufallsentscheidung. „Am Anfang war ich ein bisschen darüber schockiert, wie weit man in Münster gucken kann“, lacht er. Als Allgäuer vermisst er die Berge. Trotzdem ist er sich sicher, dass er vorläufig in Münster bleiben möchte. „Ich mag die Stadt und mein Lebensmittelpunkt ist hier“, sagt Seung.

Auch wenn der örtliche Fokus des Anästhesisten die OP-Säle des Universitätsklinikums Münster sind, gehört seine Band zu den wichtigsten Teilen seines münsterschen Lebens. „Als ich 2014 zum Medizinstudium an die Uni Münster kam, war mir klar, dass ich wieder eine Band gründen wollte“, sagt Seung. „Es war allerdings nicht leicht, einen Schlagzeuger zu finden“, lacht er. Seit 2015 spielt die Band „Shoreline“ zusammen und veröffentlichte bereits zwei selbstproduzierte Alben. „Auf dem ersten haben wir persönliche Erlebnisse und Konflikte verarbeitet“, sagt Seung. Das zweite Album ist politischer geworden und greift Veganismus, Konsumkritik und Rassismus auf. „Es geht um die großen Politpunk-Themen in einem persönlicheren und zeitgemäßen Gewand“, sagt er. So verarbeitet der Sohn koreanischer Einwanderer im Song „Konichiwa“ seine Erfahrungen mit antiasiatischem Rassismus.

Erlebnisse aus der Medizin hat Seung noch nicht in seinen Liedern aufgegriffen. „Ich habe darüber nachgedacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es machen möchte“, sagt er. Material böte die Medizin genug: Im Krankenhaus arbeiten Menschen mit Menschen, dabei entstehen Reibungen. Auch die Arbeitsbelastung könnte ein Thema sein, aber sie frustriert den Assistenzarzt nicht. „Ich könnte nicht so viel und vor allem nachts für einen normalen Konzern arbeiten“, sagt er. Auch das Krankenhaus sei ein „Konzern“, aber es gehe dort primär um die Patientenversorgung. „Ich halte die Arbeit im Krankenhaus für sinnvoll“, sagt Seung. „Arzt sein ist ein Beruf und gleichzeitig eine Aufgabe. Es geht darum, Wissen anzusammeln, um Menschen zu helfen, damit es ihnen besser geht“. Gewusst habe er das schon immer, aber erst durch die praktische Arbeit in der Klinik hat er es wirklich gespürt. „Es hat sich für mich etwas verändert, als ich angefangen habe zu arbeiten und merkte, dass das jetzt mein Beruf wird“, sagt er.

Wenn er sich im Moment zwischen der Musik und der Medizin entscheiden müsste, würde seine Wahl auf die Musik fallen. Er möchte das Gefühl haben, seinen Weg zu Ende gegangen zu sein. „Ich spiele heute in einer Punkband, aber ich weiß, dass ich mit 50 nicht mehr auf der Bühne stehen werde. Dadurch ist die Gewichtung klar verteilt“, sagt er. Seung ist sich sicher: Seine Zukunft ist die Medizin - aber Mitte 20 ist genau der richtige Zeitpunkt, um Punkmusik zu machen.

Band-Website: https://shorelineband.com/

Ein Shoreline-Konzert innerhalb der „Rockpalast“-Reihe des WDR gibt es bei Youtube

Text: Hannah Hofer

Mit diesem Bericht setzt der Alumni-Verein „MedAlum“ der Medizinischen Fakultät Münster seine Reihe von Porträts ungewöhnlicher „Ehemaliger“ fort. Basis der Serie ist das Absolventenregister von MedAlum.

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