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Großprojekt mit DFG-Förderung: Medizinische Fakultät der WWU stellt sich ihrer NS-Geschichte

Forschungsprojekt in historischem Ambiente: Das Gebäude, in dem die Arbeitsgruppe um Dr. U. Ferdinand. Prof. H.-P. Kröner und I. Màmali (v.l.) die Geschichte der Medizinischen Fakultät untersucht, ist selbst ein Architekturzeugnis aus der NS-Zeit

Münster (mfm/tb) – „Eine kleine Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster“ nannte Karl Eduard Rothschuh seine 1957 erschienene Abhandlung. „Klein“ war darin besonders die Passage über das „Dritte Reich“. Nur ein einziger Satz der 66 Buchseiten behandelte das heikle Thema. Der Verdrängung der Fünfziger Jahre folgte eine ganze Reihe von Einzelstudien, die die Verstrickung der münsterschen Hochschulmedizin in die NS-Diktatur beleuchten. Eine übergreifende historische Aufarbeitung aber steht bisher aus. Das wird sich nun ändern: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem münsterschen Medizinhistoriker Prof. Hans-Peter Kröner ein groß angelegtes Projekt zur „Geschichte der Medizinischen Fakultät der Universität Münster in der Zeit des ‚Dritten Reiches’ und der frühen Nachkriegszeit“ bewilligt.
Das Vorhaben hat eine Laufzeit von zunächst zwei Jahren mit Option auf Verlängerung um weitere zwei. An seinem Ende sollen neben einem Sammelband zur Fakultätsgeschichte mehrere vertiefende Fallstudien stehen. Am Beispiel einzelner Einrichtungen, so dem Hygiene- und dem Humangenetik-Institut sowie der Frauen- und der Nervenklinik, werden darin zentrale Forschungsfragen behandelt. Dazu zählen vor insbesondere der Einbezug in die Rassenforschung und -hygiene der NS-Zeit sowie die Entnazifizierung und Berufungspolitik der Fakultät nach 1945. Als eine wesentliche Grundlage der Forschungen ist eine biografische Datenbank geplant, die neben den - teils schon bekannten - Lebensläufen der Hochschullehrer auch solche von anderen Mitarbeitern und NS-Funktionären umfasst. Zwei Fachtagungen sollen die Ergebnisse des Forschungsprojektes vorstellen, das die DFG in der ersten Phase mit rund 300.000 Euro unterstützt.
„Uns geht es vor allem um das Herausarbeiten von Kontinuitäten und Brüchen zwischen den einzelnen Perioden“, erläutert Prof. Kröner. Der Untersuchungszeitraum sei daher nicht auf die NS-Zeit beschränkt, sondern umfasse die Jahre von 1925 bis 1965. „Die Eckdaten ergeben sich zum einen aus der Gründung der Medizinischen Fakultät und zum anderen aus dem Generationswechsel bei der Professorenschaft“, so der Historiker. Das zeitliche Spektrum ermögliche es, Verbindungslinien zu erkennen und das von Universität und Fakultät nach 1945 langte gehegte Selbstbild zu überprüfen. Diesem zufolge konnte das katholisch-ländliche Milieu Münsters den NS-Einfluss auf die Einrichtungen zwar nicht verhindern, aber zumindest verringern.
Neben diesem Mythos hat Kröner eine zweite Frage in den Mittelpunkt des Projektes gestellt und orientiert sich dabei am Ansatz von Mitchell Ash. Der Wiener Historiker definiert das Verhältnis von Wissenschaft und Politik als eine wechselseitige Ressourcenmobilisierung, bei der danach zu fragen sei, wer sich wen zunutze mache. Außer neuen Erkenntnissen für die Regional- und Universitätsgeschichte erhofft sich Kröner von dem Projekt daher auch Aussagen zu diesem dauerhaften Spannungsfeld. Mit „Universitäten und Fakultäten in Diktaturen des 20. Jahrhundertes“ wird sich dementsprechend das internationale Symposium befassen, das das Geschichtsprojekt 2012 beschließen soll.
Bis dahin kommen noch viele Archivbesuche auf die beiden Mitarbeiterinnen zu, die sich hauptamtlich um das DFG-Projekt kümmern. Dr. Ursula Ferdinand und Ioanna Màmeli werden aber nicht nur selbst am Thema forschen, sondern auch die Doktoranden betreuen, die die einzelnen Fallstudien übernehmen. Eine Arbeits- und eine Koordinierungsgruppe stehen dem Forscherteam um Prof. Kröner zur Seite und vernetzen das Projekt mit anderen Fakultäten sowie Universitäten.
Eine enge Zusammenarbeit ist vor allem mit der Kommission zur Erforschung der Geschichte der WWU in der NS-Zeit vorgesehen. Deren Leiter, der Historiker Hans-Ulrich Thamer, gehört zugleich der Arbeitsgruppe des DFG-Projektes an. Ebenso wie in der Medizin wird laut Thamer derzeit auch in anderen Fächern und Fachbereichen der Universität die eigene Rolle in der NS-Zeit erforscht. Erste Ergebnisse liegen bereits vor: So haben die beiden Mathematikprofessoren Dr. Jürgen Elstrodt und Dr. Norbert Schmitz eine umfangreiche „Geschichte der Mathematik an der Universität Münster“ veröffentlicht, die sich ausführlich auch mit der Zeit zwischen 1933 und 1945 befasst. Der Text steht auch im Internet (https://wwwmath.uni-muenster.de/historie).
Mit ersten Veröffentlichungen aus dem DFG-Projekt rechnet Prof. Kröner erst im kommenden Jahr. Auf bundesweiter Ebene sei die münstersche Medizin bei der Aufarbeitung ihrer Geschichte sicher kein Vorreiter, allerdings auch nicht das Schlusslicht, so der Historiker. Für acht der früher rund 20 Medizinischen Fakultäten lägen inzwischen entsprechende Einzelstudien vor, bei zwei weiteren, Münster eingerechnet, werde daran gearbeitet. „Dank der DFG-Förderung wird Münster in einigen Jahren vermutlich der am intensivsten untersuchte Standort sein“, freut sich Prof. Kröner über den Bewilligungsbescheid aus Bonn.

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